Hans Peter Doskozil ist dabei, das kleine Burgenland zu einer sozialdemokratischen Modellregion zu machen. Mit Vorbildcharakter für die ganze SPÖ.

Foto: Matthias Cremer
"I hob’ sie gern. I muaß net olles, wos sie sogt, immer hean!"
(Oststeirische Großvaterweisheit, via STS)

Zwischen dem Verstehen und dem Missverstehen zieht sich die dünne Linie des Verstandes mit all seinen Marotten und Unzulänglichkeiten; seinem Hochtraben und seinem Unterspielen; seinen Ab-, Rück-, Hin- und Vorsichten; seinen Hinterhalten; und seiner Hinterfotzigkeit.

Ein jeder kennt das leidvoll von sich selbst und seinen Beziehungsgeflechten. Wie sehr man da auf einmal mit der Goldwaage die Wörter wiegt! Wie weit geöffnet da die falsche Kehle ist, in die man schon die kleinste Kleinigkeit kriegt! Schnell schnappt man schnippisch ein im vermuteten Hintersinn. Das Partizip Perfekt dazu heißt eing’schnappt.

Will man über die aktuelle Lage der SPÖ reden, wird man um dieses so schön schillernde Wörtchen wohl nicht umhinkönnen. Denn das ist das Bild: Zwischen Pamela Rendi-Wagner, der Bundesparteivorsitzenden, und dem übers Landesmaß gewichtigen burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hängt der Parteisegen so sehr schief, dass man in Wien ein verunglücktes Pressegespräch des burgenländischen Geschäftsführers Roland Fürst im Handumdrehen als pannonisches Scheidungsgelüst verstand.

Umgekehrt wiegt man in Eisenstadt jede auch noch so zaghafte Wortmeldung der Bundespartei mit einer Apothekerwaage, die so fein kalibriert ist, dass sie sogar ausschlägt, wenn es still ist in der Wiener Löwelstraße. Ja, gerade dann.

Rote Fisimatenten

Die volksmundige Poesie kennt einen schönen Ausdruck für den dazu passenden Gesichtsausdruck: ein Schnoferl ziehen. Prototypisch die jüngsten Impfpflicht-Dissonanzen. Doskozil rügte, man solle doch die legistischen Schlampereien der Regierung nicht durch Zustimmung ausbügeln. Rendi-Wagner, die für die Impfpflicht ist, zog ein Schnoferl. Doskozil als Reaktion darauf auch. Am Ende standen einander, wiederum, zwei Leberwürste gegenüber, die ihr Beleidigtsein vor sich hertrugen, als wäre das allein schon ein politisches Programm.

Es ist verführerisch, die roten Fisimatenten als eine Beziehungskiste zu beschreiben. Zumal hier auch noch die verschärfenden Geschlechtsgemeinplätze miterzählt werden können: Die kluge, fesche, moderne Frau beißt auf den altg’vaterischen Granit des keppelnd mansplainenden Alpha-Machos, der seinen Sitz im Parteipräsidium nur deshalb hingeschmissen hat, weil er dort nicht nach Belieben – ja, schaut ihn euch an! – manspreaden kann.

Wohl oder Wehe

Es wäre freilich schade, die Auseinandersetzung zwischen dem Burgenländer und seiner Parteichefin darauf reduzieren zu wollen. Da geht es schon um mehr, um Inhaltliches nicht nur der hiesigen Sozialdemokratie. Entlang der Themen, die Hans Peter Doskozil ja keineswegs als Einziger anspricht, wird sich nämlich das Wohl oder Wehe der europäischen Sozialdemokratie entscheiden.

Es gehe, heißt es nicht nur im Burgenland, schlicht darum, ob es gelingt, die Erbsünde der demokratischen Linken zu tilgen, die sich am Ende des 20. Jahrhunderts auf Kosten der Eigenen mit dem damals so goldig scheinenden Neuliberalismus ins Lotterbett gelegt haben. "Im Burgenland", sagt Doskozil, "endet der dritte Weg." Der also, den der Brite Tony Blair oder der Deutsche Gerhard Schröder – der Genosse der Bosse – als Regierungschefs beschritten haben.

Der pannonische Vorwurf an die Wiener Zentrale in der Löwelstraße ist, dass man diesbezüglich zaudert. Sich stattdessen ein merkwürdiges Linkssein zurechtspinne, das besser in die Salons als an die Werkbank passe. Roland Fürst, ein gelernter Betriebsschlosser, nimmt zu deren Beschreibung bei der deutschen Linken Sahra Wagenknecht Anleihe. "Lifestylelinke" nennt er die Salonlinken. Die rufen dann "Rechts-außen" ins Burgenland zurück. Man bleibt einander, wie in solchen Beziehungskisten üblich, nichts schuldig.

Verstaatlichung

Den Hans Peter Doskozil einen Rechts-außen zu nennen zeugt freilich eher von politischer Unbedarftheit oder parteiinterner Boshaftigkeit. Doskozils Programm und Handeln sind auf eine Weise "links", die, wäre die ÖVP eine Spur ideologischer, als sie es zurzeit ist, Stoff genug hergäbe für eine spannende politische Auseinandersetzung. Und damit vielleicht eine breite gesellschaftliche Debatte über die mögliche oder unmögliche ökonomische Rolle des Staates in der heutigen Zeit.

Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird im Burgenland gerade verstaatlicht und in der eigenen Landesholding zusammengefasst. Bedenken wegen allfälliger Marktverzerrungen – eine eigene Agentur soll zum Beispiel die 60 Unternehmen der Holding kommunikativ servicieren – werden nonchalant vom Tisch gewischt. Selbst den Jagdverband hat man in öffentliche Hand genommen. Das jüngste Kind ist die See GmbH, mit der das Land den Schilfgürtel des Neusiedler Sees bewirtschaften und den See vom Schlamm befreien will.

Ein Lercherl

Im Vergleich dazu ist der Vorschlag der Bundesvorsitzenden, der Staat solle sich künftig auch als Partner der Wirtschaft verstehen, ein Lercherl. Rendi-Wagner präsentierte den Vorschlag nach der Präsidiumsklausur, zu der Doskozil affrontativ nicht erschienen ist. Mit seinem Hintergrund hätte er dem handzahmen Vorschlag der Chefin Gewicht verleihen können. Aber gerade das schien er nicht zu wollen.

Hans Peter Doskozil hat einen immensen Vorteil gegenüber allen anderen roten Granden: eine absolute Mehrheit. Im Burgenland könne er, meinte er bei der Amtsübernahme, modellhaft zeigen, was echte sozialdemokratische Politik sei. Der 1700-Euro-Nettomindestlohn im Land, in der Landesnähe und in immerhin schon 106 von 171 Gemeinden, ist seit dem Vorjahr in Kraft.

Meister der Exekutive

Die Bundespartei hält von so was nicht viel. Die Parteichefin will eine Viertagewoche. Burgenlands Klubchef Robert Hergovich präsentierte erst am Montag eine Umfrage, wonach 51 Prozent den Mindestlohn wollen, "nur 30 Prozent die kurze Woche". In der oststeirischen Lederindustrie wurde unlängst übrigens für einen Mindestlohn von 1500 brutto gestreikt.

Mindestlohn, öffentliche Wirtschaft, leistbares Wohnen durch Entmachtung der auf dem Land entscheidenden Wohnbaugenossenschaften; die Umstellung auf biologische Landwirtschaft; der weitere, forcierte Ausbau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen; die Anstellung pflegender Angehöriger als eine erste Antwort auf den sich verschärfenden Pflegenotstand. – Das alles ist im Burgenland in den vergangenen zwei Jahren ins Laufen gebracht worden.

Dazu kommt, dass Doskozil, der sich noch nie der Mühsal des parlamentarischen Klein-Kleins hat unterwerfen müssen, ein Meister der Exekutive ist. Das Burgenland ist – das zeigt nicht zuletzt Österreichs höchste Impfquote – sehr gut verwaltet.

Königsdisziplin

"Rechts" an Doskozil wäre höchstens, wenn polterndes Ungehobeltsein schon rechts wäre. Christian Stiller, Doskozils Sprecher, klingt, was das betrifft, allerdings recht resigniert: "Wir sind es allmählich müde, immer darauf hinweisen zu müssen, dass wir in Migrationsfragen eh auf Parteilinie sind. Die SPÖ-Position heißt ja nicht umsonst Kaiser-Doskozil-Papier."

Es zählt zu den Königsdisziplinen politischer Kommunikation, ein verbreitetes Vorurteil aus der Welt zu schaffen. Das trägt einer wie ein Binkerl, das umso schwerer wird, je mehr man sich rechtfertigt. Am Mittwoch stellte Hans Peter Doskozil klar, dass an den von seinem Geschäftsführer gerüchtsanhängig gemachten Abspaltungswünschen so mancher Funktionäre nichts dran sei. Man sei und bleibe eine einheitliche Partei. "Daran hat sich auch jeder Spitzenfunktionär der SPÖ im Burgenland zu orientieren." Machtworte sind nicht immer ein Zeichen von Machtfülle.

Instinktpolitiker

Hans Peter Doskozil ist, das geben gerne auch seine innerparteilichen Kritiker zu, ein Instinktpolitiker. Er hat im kleinen Finger, wozu andere sich ansehnliche Beraterstäbe leisten. Aber auch ihm wird klar sein, dass ihm die jüngsten Quertreibereien schwer geschadet haben in seiner Ambition übers Burgenland hinaus.

Selbst enge Verbündete im Kampf gegen oder um die Löwelstraße raunen ihm das gute, alte "Si tacuisses, philosophus mansisses" zu. Aber das mit dem Schweigen ist halt Doskozils Sache nicht.

Doskologen – nicht nur in der SPÖ ist die Doskologie eine eigene politbeobachtende Disziplin geworden – glauben deshalb, dass der Kampf um die Parteiführung weitergehen wird. Parteiinterne Freundesstimmen fordern, er möge sich doch bitt’ schön endlich deklarieren. Mag sein, das ist der wunde Punkt des so robust scheinenden Hans Peter Doskozil: dass er sich dann doch nicht so ganz traut. Mut, heißt es auch in Eisenstadt, kann man nicht kaufen. (Wolfgang Weisgram, 15.1.2022)