Der Prozess am Oberlandesgericht in Koblenz, bei dem am Donnerstag ein ehemaliger Geheimdienstfunktionär des syrischen Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 27-fachen Mordes, Folter und Vergewaltigung schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ist von zweifacher Bedeutung. Vor dem deutschen Gericht stand der Angeklagte als Individuum, das für seine Taten zur Verantwortung gezogen wurde, obwohl sie nicht in Deutschland und nicht von und an Deutschen verübt wurden. Das ist ein starkes Zeichen. Das kann auch in anderen Staaten passieren, auch in Österreich.

Darüber hinaus wurden bei dem Prozess zum ersten Mal von der Justiz systematisch Mechanismen, Methoden und Befehlsketten eines gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Unrechtssystems aufgerollt, dem seit Beginn des Aufstands in Syrien im Jahr 2011 zehntausende Menschen zum Opfer gefallen sind. Dieses Material steht für künftige Strafverfolgungen – und für Historiker – zur Verfügung.

Im laut der deutschen Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess wegen staatlicher Folter in Syrien wurde am Donnerstag der Hauptangeklagte schuldig gesprochen.
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Dass ein deutsches Oberlandesgericht diese Aufgabe übernommen hat, liegt auch daran, dass die internationale Gerichtsbarkeit blockiert ist. Für die Einrichtung eines Syrien-Sondergerichtshofs oder aber für die Überweisung Syriens an den Internationalen Strafgerichtshof bräuchte es die Zustimmung von Russland und China im Uno-Sicherheitsrat. Es wird sie nicht geben. Deshalb also der Rekurs auf das "Weltrechtsprinzip", wonach Völkerrechtsstraftaten auch in Staaten verfolgt werden können, deren Hoheitsgebiet oder Bürger gar nicht betroffen waren. Es ist nicht der erste Prozess dieser Art, aber der erste, der sich mit Regimeverbrechen in Syrien befasst hat. Ein erster Angeklagter wurde bereits vor einem Jahr verurteilt, nun folgte Anwar R., der als Gefängnischef eine definierte institutionelle Rolle im System spielte.

Aber gleichzeitig ist es für viele wohl auch ein bitterer Tag: Die Gefängnisse in Syrien sind nach wie vor voll, und dass sich jene, die in der Hierarchie wirklich ganz oben stehen, allen voran Bashar al-Assad, jemals verantworten werden, ist aus jetziger Sicht unwahrscheinlich. Das Assad-Regime hat mit russischer und iranischer Hilfe Aufstand und Krieg überlebt. Elf Jahre nach dessen Beginn gibt es zumindest bei den arabischen Nachbarn Syriens die Tendenz, die Beziehungen zu Damaskus wieder zu normalisieren. Und der Westen verlangt weiter eine Perspektive für Assads Abgang und kommt damit politisch seit Jahren nicht weiter. (Gudrun Harrer, 14.1.2022)