Vor zweieinhalb Jahren war vieles undenkbar, was wir heute Normalität nennen. Und abgesehen von eingefleischten Corona-Leugnern gibt es kaum noch jemanden, der nicht verstanden hat, wie eine Infektionswelle eingebremst werden kann: impfen, Maske tragen, testen, Kontakte reduzieren. Die große Mehrheit der Bevölkerung hält sich weitgehend an die bekannten Regeln. Ein kleiner Teil läuft dagegen lautstark Sturm. Das nervt, enttäuscht, erzeugt Wut. Viele gönnen den Impfgegnerinnen und Maßnahmenskeptikern deshalb überhaupt keine Freuden mehr.

Das ist menschlich verständlich. Es dauert alles schon viel zu lange. Jeder hat die Krise satt, und die Schuldigen sind vermeintlich einfach ausgemacht: all jene, die sich nicht solidarisch zeigen. Die Statistik bestätigt die These im Kern. In Wien sind beispielsweise nur 29 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner nicht oder nicht ausreichend geimpft, sie belegen aber 86 Prozent der Covid-Intensivbetten. Auch gegen Omikron hilft impfen und boostern, obgleich etwas weniger, das zeigen internationale Daten. Kurzum: Wer nicht mitmacht, birgt mehr Risiko – für sich und für die Gemeinschaft.

An diesem Montag wurde der Lockdown für Ungeimpfte verlängert.
Foto: imago images/Bihlmayerfotografie

Dennoch, und das bekommt man mit grünem Pass in der Tasche fast gar nicht mehr mit: Mehr als eine Million Menschen in Österreich dürfen seit Mitte November das Haus nur aus wenigen bestimmten Gründen verlassen. An diesem Montag wurde der Lockdown für Ungeimpfte verlängert; eine eigene Pressekonferenz gab es dazu nicht. Menschen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen stellt einen weitreichenden Eingriff dar. Die Wirksamkeit des bevölkerungspartiellen Lockdowns ist unter Experten nicht unumstritten. Wann er endet? An welche Bedingungen ist er geknüpft? Unklar.

Schlechte Administration

Der Gesundheitsminister verkündete lediglich, dass durch Omikron nun die Auslastung der Normalstationen der Gradmesser sei – nicht mehr die Intensivbettenbelegung, wie eigentlich einst. Konkreter wurde er nicht. Man muss sagen: So vernünftig die Maßnahme epidemiologisch wie auch politisch sein mag – das ist an Erklärung zu wenig.

Ähnlich verhält es sich mit der Impfpflicht. Bekanntlich war die Regierung lange Zeit strikt dagegen. Jetzt kommt sie doch; begleitet – wie bei so vielen Covid-Maßnahmen – von schlechter Administration. Die Impferinnerungsschreiben können wohl erst Wochen später verschickt werden als ursprünglich geplant. Auch sonst sind unzählige Fragen offen. Und die Überzeugungsarbeit der Regierung für die Impfpflicht läuft gar nicht bis schleppend.

Die FPÖ will hingegen gar niemand mehr ins Boot holen. Überzeugen kann man die Freiheitlichen wohl auch tatsächlich nicht. Aber die FPÖ ist jene Partei, die an vielen der Skeptiker dran ist, die es zu erreichen gilt. Wenn die Regierung, wie vom Kanzler abwärts stets betont wird, der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken möchte, braucht es mehr Dialog. Auch und gerade mit jenen, die auf der anderen Seite stehen.

Das Mindeste ist aber, dass Grundrechtseingriffe immer und immer wieder aufs Neue erklärt und begründet werden – auch wenn sie Menschen betreffen, für die man kein Verständnis mehr hat. Es wird eine Zeit nach Corona geben. Das Verhältnis zwischen Enttäuschten und dem Staat wird dann auch davon geprägt sein, wie wir jetzt mit ihnen umgehen. (Katharina Mittelstaedt, 15.1.2022)