Man muss sich FPÖ-Chef Herbert Kickl am Samstag als sehr glücklichen, "aufgeladenen" Menschen vorstellen.

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Fast drei Stunden Warmup für den eigentlichen Show-Act des Tages können lang werden, sehr lang. Vor dieser Herausforderung standen die Organisatoren der "Demonstration für die Freiheit und gegen den Impfzwang", darunter federführend die FPÖ, am Samstag.

Immerhin, die Sonne schien über dem Heldenplatz, aber Mitte Jänner ist es draußen halt doch ziemlich kalt. Es war eine von mehreren Demonstrationen von Corona-Leugnerinnen und -leugnern sowie Impf-Verweigernden an diesem Tag, die laut späteren Polizeiangaben insgesamt rund 27.000 Menschen in die Bundeshauptstadt gezogen haben, allerdings die einzige, die man via Livestream auch ins Haus geliefert bekam. FPÖ-TV hielt ab Mittag die Kameras drauf und DER STANDARD betrieb dreieinhalb Stunden Binge-Watching mit dem, was die Initiatorinnen und Initiatoren so alles aufboten, um die Menschen, die schon gegen Zwölf gekommen waren, bei Laune zu halten. Denn FPÖ-Chef Herbert Kickl wurde erst gegen 15 Uhr erwartet.

12.20 Uhr: Den Anfang musste "der Mike", so wurde er vom Moderator vorgestellt, machen. Ein Mann in rot-weiß-schwarzer Thermojacke spielte, als Partnerin auf der Bühne nur seine Gitarre, den Song, den das Musikmagazin "Rolling Stone" einmal auf Platz 155 der "Liste der 500 besten Songs aller Zeiten" gereiht hat und der vor allem in der Coverversion von Tina Turner, damals noch mit Ike, berühmt wurde, aber eigentlich von Creedence Clearwater Revival stammt: Mit "Proud Mary" schipperte die Demogesellschaft am Heldenplatz also erst einmal mit dem besungenen Schaufelraddampfer über den Mississippi und gönnte sich ein bisschen New-Orleans-Feeling. "Hey, hey, hey, hey, hey..." wurde als Stimmungsaufheller in die Menge gerufen.

Durchsage von der Bühne: "Die FFP2-Maskenpflicht herrscht. Die Polizei kontrolliert. Bitte setzt sie auf." Der Sänger teilt mit: "Ich setz' sie nicht auf. Das Mikro wird sicher net krank. Aber vielleicht sollt ma uns zum Teil dran halten." Der Teil, der in den folgenden dreieinhalb Stunden die FFP2-Maske überhaupt tragen wird, bleibt in der absoluten Minderheit, dazu kommen einige, die den Freiheitsappell auch auf ihre Nase ausweiten und die Maske modisch als Kinnschoner interpretieren oder als dünnen Schalersatz in Halshöhe baumeln lassen.

Mike spielt jetzt "an richtigen Hadern aus Österreich", der von etwas handelt, "was jetzt viele net dürfen, ihr wisst's, warum, i g'hör a dazu... Was ist die schönste Freizeitbeschäftigung im Winter – außer Sex?" Skifahren! Oder, weil ja Hadern aus Österreich: "Skifoan!" von Wolfgang Ambros.

"Vom Thema her" passt dann auch der nächste Song, sagt der Barde auf der Bühne: "A Mensch möcht i bleibn", noch einmal Ambros, dann geht's von der Piste unter Wasser: "Yellow Submarine" von den Beatles, und zuletzt wird noch "Die Blume aus dem Gemeindebau" besungen.

In der Kommentarspalte des Youtube-Kanals, auf dem FPÖ-TV läuft, fragt "dirk elst": Wo ist die verdammte JOHN OTTI BAND?

12.46 Uhr: Genug gesungen. Mike freut sich, dass sie alle "einen genialen Tag haben werden". Das Publikum freut sich vor allem auf einen: "Wir wollen Herbert sehen!" Das wird noch dauern... Zuerst noch eine Durchsage von einem der Versammlungsanzeiger und Gründer von "Fairdenken", Hannes Brejcha: "Die Polizei ersucht leider, auch im öffentlichen Raum FFP2-Maske zu tragen. Mir wurde schon die Verhaftung angedroht." Pfeifkonzert. Brejcha ruft von der Bühne: "Widerstand!"

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Dann gehörte die Bühne dem Musiker Ben Arslan. Vor zwei Jahren wollte er noch Superstar im Nachbarland werden als Teilnehmer bei "Deutschland sucht den Superstar". Damals urteilte Dieter Bohlen über ihn, am Samstag galt es, die "Jury" am Heldenplatz zu überzeugen. Arslan verriet den Zuhörerinnen und Zuhörern, "wie wir dieses korrupte System stürzen können: Das ist der Streik. Wir streiken, wir leisten Widerstand."

13 Uhr: Auftritt Martin Rutter, Corona-Maßnahmenkritiker und Ex-Politiker aus Kärnten. Er erklärt, dass man normalerweise ja "offiziell mit der Bundeshymne" starte, er aber möchte heute gern "alle Menschen mit Herz, Hirn, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, einbinden" – und ein Vaterunser beten. Nur 30 bis 40 Sekunden lang und "nur für jene, die es wollen", um zu zeigen, "dass wir friedlich sind, Nächstenliebe zeigen und nicht spalten wollen".

Pfiffe. Nicht so sehr begeisterte. Widerstand-Rufe. Leichte Irritation auf der Bühne. Widerstand gegen wen jetzt? Oder was? Kopfschütteln bei einigen im Publikum. Im Forum postet "validuser": "haha, bitte betets um a Hirn."

Auftritt "Mark", der den Vorbeter geben wird. "Gott will in uns wohnen. Beten wir ein Vaterunser für uns, unsere Nation, die ganze Welt." Er bittet auch die Exekutive: "Betets mit."

"Mark" schließt mit den Worten "Gott schütze Österreich."

Gott wird an diesem Samstagnachmittag am Heldenplatz noch sehr oft zitiert, angefleht, im Mund geführt werden.

Dann, endlich, aus Sicht derer, die für die nicht kirchliche Urform der Corona-Demo gekommen sind: die Bundeshymne. Es geht "offiziell" los.

Demo-Organisator Brejcha, die ganze Zeit hinter einer blau verspiegelten Sonnenbrille, hat Neuigkeiten, also eigentlich ist es nicht neu, was er erzählt, er sei soeben "zum zweiten Mal verwarnt worden" von der Exekutive... das FFP2-Maskenproblem ist noch immer virulent. "Obwohl ich eine offizielle Maskenbefreiung habe", sagt Brejcha und rechnet damit, "dass ich verhaftet werde. Jetzt geht's ab, liebe Freunde. Ihr werdet mich nie brechen", schreit er ins Mikrofon: "Sie sollen mich einsperren, wir kämpfen für das Gute, liebe Freunde. Widerstand!" Victory-Zeichen.

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Dann ein regelmäßiges Demo-Zwischenspiel. Der "Bundesländer-Check". Vorarlberger da? Mit gutem Gehör vielleicht ganz hinten zwei, drei. Ist aber auch weit weg von Wien, liegt die Erklärung nahe. "Oberösterreich ist immer eine Macht in Wien", auch bei Corona-Demos. Und dann eine en passant ausgesprochene Drohung von Brejcha, der allen Abgeordneten, die für die Impfpflicht stimmen würden, ausrichtet: "Wir werden jeden einzelnen nach Nürnberg 2.0 bringen."

SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner reagierte empört auf diese Aussage des "bekannten Rechtsextremen und Verschwörungsideologen" Brejcha, wie er in einer Aussendung schrieb: "Diese unverblümte Holocaustverharmlosung durch die Gleichsetzung von Nationalratsabgeordneten in der Corona-Krise mit Nationalsozialisten ist brandgefährlich und hat nichts auf der Bühne einer Parlamentspartei zu suchen!"

Gegenschnitt, nicht aus der FPÖ-Kamera, sondern von Teilnehmenden vor Ort, die es dokumentiert haben. Im Publikum hielt bei derselben Demo jemand ein Schild mit dem Konterfei von Adolf Hitler und dem Slogan "Impfung macht frei" hoch.

Die Polizei twitterte später: "Die Person wurde bereits angehalten und zur Anzeige gebracht. Das Plakat wurde sichergestellt."

Die Polizei konfiszierte übrigens auch eine Reichskriegsflagge. In diesem Fall wird unter anderem wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz bzw. des Abzeichengesetzes ermittelt.

Allgemein war der Demotag besonders herausfordernd für die Beamtinnen und Beamten, teilte die Polizei am Samstagnachmittag mit. Neben der FFP2-Masken wurden auch Personen kontrolliert, die polizeiähnliche Uniformen trugen – allerdings mit der Aufschrift "Personenschützer" auf dem Rücken statt "Polizei". Einem Polizeisprecher zufolge wurden diese nach dem Sicherheitspolizeigesetz angezeigt, weil sie polizeiähnliche Uniformteile verwendeten. Zusätzlich hatten sie Pfeffersprays bei sich, was ebenfalls verboten ist.

Zurück zu Brejcha auf die Bühne am Heldenplatz. Nachdem er den Leuten "viel Spaß" gewünscht und noch einmal "Widerstand! Widerstand! Widerstand!" skandiert hat, blieb noch eine Bitte auszusprechen: "Wir brauchen ein bisschen Kleingeld." Ein Spendenkübel wurde herumgereicht. Zumindest den regelmäßigen Kirchgängerinnen und Kirchgängern, dürfte das so bekannt gewesen sein wie das Vater Unser. Brejcha: "Ich liebe Euch! Österreich!"

13.11 Uhr: Martin Rutter ist zurück auf der Bühne. Noch zwei Stunden, bis "Herbert" kommt, wenn er pünktlich kommt. "Liebe Widerständler", adressiert Rutter die Menschen vor sich: "Das System hat versagt. Durch Unfähigkeit oder Absicht?" Eine Frage, die er noch öfter stellen wird. Er kündigt rund "200 Demos und Spaziergänge" in den nächsten Wochen an, mit denen man das verhasste Impfpflichtgesetz zu Fall bringen möchte.

Das Publikum wird von der Bühne aus darüber informiert, dass der "lungenkranke" Hannes Brejcha "abtransportiert" wurde. Später bestätigte die Polizei, dass es eine Festnahme gegeben habe, weil sich ein Aktivist trotz mehrerer Aufforderungen geweigert hatte, eine Maske aufzusetzen.

Bühne frei für eine "widerständige Krankenschwester" aus Kärnten, Jasmin. "Hallo, wie geht's euch, liebe Freunde der Freiheit?" Jasmin fragt, das Bundeskanzleramt in Sichtweite: "Was tut dieses Wesen namens Nehammer? Droht dem österreichischen Volk noch mehr." Ein besonderes Ärgernis sind der "widerständigen Krankenschwester" interessanterweise die 2G-Kontrollen im Handel. "Frage an den Handel" zu diesem "Hochverrat am eigenen Volk: "Ihr macht's da mit? Sagt nein!"

Erneuter Auftritt hienieden: Gott. "Unrecht wird von Gott nicht ungesühnt bleiben", sagt Jasmin: "Gott lässt sie austoben in ihrer Bosheit." Nehammers Bosheit wird genannt. "Dann wird er eingreifen." Gott, wenn es nach Jasmin geht.

Nehammer hingegen konnte am Samstagnachmittag seine Heimquarantäne verlassen. Bei ihm hat die Wissenschaft in Form eines PCR-Tests eingegriffen und einen negativen Corona-Status bescheinigt. Jasmin hielt da noch immer dagegen: "Niemand besiegt Gott." Es gehe um das "kostbarste Geschenk", die Freiheit! "Gott schütze Österreich!"

13:35 Uhr: Martin Rutter, jetzt mit Haube, kündigt Andreas Sönnichsen an. Der ehemalige Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin am Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien war immer wieder als Coronamaßnahmen-Gegner in Erscheinung getreten und Mitte Dezember von der Med-Uni zuerst freigestellt, schließlich per 1. März 2022 gekündigt worden. Die Uni begründete den Schritt damit, dass Sönnichsen auch mehrfach gegen die hausinternen Corona-Regeln und entsprechende Weisungen verstoßen habe, was wiederum von Sönnichsen bestritten wird.

Am Samstag steht Sönnichsen auf der Bühne und ruft der Menge vor sich zu: "Hallo Wien! Hallo Österreich! Ich freue mich, dass so viele da sind, um gegen diesen Wahnsinn anzukämpfen, ich freue mich, dass ihr mich unterstützt!" Seit zwei Jahren würden Angst und Panik verbreitet. "Wir" – also er, die Demonstrierenden, alle, "die sich nicht fürchten", werden "kleingemacht, diffamiert" und wenn sie "Pech haben", verlieren sie auch noch ihren Arbeitsplatz. "Keiner von uns leugnet diese Erkrankung oder dass Menschen daran sterben." Aber: In Österreich würden jeden Tag 250 Menschen sterben, sagt Sönnichsen: "Corona ist eine völlig unbedeutende Ursache im Vergleich zu vielen anderen Ursachen." Was Angehörige von Corona-Toten vermutlich nicht so locker aussprechen würden. Sönnichsen hingegen sieht die "Leugner auf der anderen Seite", die, die die "Schäden leugnen, die sie angerichtet haben durch die Masken und die Impfung".

Er redet von "gefälschten Studien", wirft das rhetorische Stöckchen "Widerstand!", das Publikum apportiert vielstimmig: "Widerstand! Widerstand! Widerstand!". Sönnichsen will, dass Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres seinen Hut nehmen möge und "die Marionetten der Pharmaindustrie in der Regierung gleich mit!" Denn Omikron ist in Sönnichsen Weltsicht "nicht mehr als ein etwas heftigerer Schnupfen".

Und auch er sucht Zuflucht bei wem? Bei der Wissenschaft? Nein! Bei Gott! "Zum Glück hat uns der liebe Gott mit einem guten Immunsystem ausgestattet. Wir brauchen diese Impfung nicht." Und die "2G-Apartheid auch nicht". Und diese Regierung erst recht nicht: Die "ist reif, abzutreten. Wir alle werden so lange weiterkämpfen, bis dieser Wahnsinn endlich beendet ist. Danke euch."

13.43 Uhr: Martin Rutter, wieder ohne Haube: "Das sind die mutigen Leute, die wir brauchen. Die müssen oben aufikummen und müssen durchputzen durchs System", kärntnert er und kündigt einen Programmpunkt "für Polizisten, die selber denken" an. Zwei Vertreter eines offenen Briefs einer Gruppe von rund 600 Exekutivbeamtinnen und -beamten, die sich "Polizisten für Grund- und Freiheitsrechte" nennt, gerichtet an Innenminister Gerald Karner (ÖVP). Darin fordern sie, dass Schluss sein müsse mit der Diskriminierung ungeimpfter Polizistinnen und Polizisten. Franz Wohlmuther, pensionierter Polizist aus der Steiermark, in Warnweste, und Polizeiseelsorger Uwe Eglau "zeigen Gesicht". Wohlmuther kam bestens vorbereitet zum Heldenplatz, war er doch zuvor im Stephansdom: "Ich habe gebetet dort – ohne Weihwasser, zu unserem Jesus Christus".

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Eglau sieht sich auf den Spuren des von ihm verehrten Franz Jägerstätter, der als Kriegsdienstverweigerer von den Nazis hingerichtet wurde. Andere würden sich vor möglichen dienstrechtlichen Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie ihre Meinung offen sagten, aber, so Eglau: "Franz, wenn ich jetzt in deine Fußstapfen trete und ein bisschen zum Bekenner werde, dann macht's nichts – und deswegen habe ich meinen Namen hergegeben. Ich erkenne mein geliebtes Vaterland nicht wieder. Die Spaltung geht bis in die Familien, auch in meine." Eglau will mit den anderen dafür sorgen, "dass diese Form der Regierung ein Ende hat". Und wieder ruht die Hoffnung oben Richtung Himmel: "Dafür segne euch Gott und stehe Gott zu unserem Österreich."

13:57 Uhr: Gott hat keine Mittagspause, wenn Alexander Tschugguell, ein Vertreter des "katholischen Widerstands" auf die Bühne kommt. Er setzt auf die Stärke des Widerstands der Corona-Maßnahmen- und Impfpflichtgegner: "Wir sind so stark, dass die Regierung zurückrudern muss. Wir werden nicht aufhören, bis die letzte totalitäre Maßnahme verschwunden ist." Er fordert die Meinungsfreiheit zurück und setzt dabei auf "die Liebe": "Wir haben eine Waffe, die unbesiegbar ist und das ist die Liebe. Die wahre Liebe." Nächsten-, Freiheitsliebe. "Die Wahrheit ist wie ein Löwe: Lass sie frei und sie verteidigt sich selbst." Tschugguell jedenfalls ist dazu entschlossen, "mit der Hilfe Gottes, und im Vertrauen auf den Beistand der Mutter Gottes von Mariazell, der großen Schutzfrau Österreichs, des heiligen Erzengels Michael, des heiligen Leopold, des seligen Kaisers Karl und aller heiligen Schutzengel Österreichs diesen Kampf mit Entschlossenheit, Tatkraft und Mut bis zum Ende zu kämpfen". Natürlich ohne sich impfen zu lassen. "Gott schütze Österreich."

14:08 Uhr: Noch eine Stunde, bis Kickl kommt. Besuch aus der Schweiz ist auch da. Zwei Männer mit je zwei großen Kuhglocken oder, wie sie dort auch genannt werden, Trycheln. Diese Gruppe ist als "Freiheitstrychler" seit Herbst 2020 in der Schweiz gegen die Corona-Maßnahmen unterwegs. "Servus Wien, Servus Österreich, Servus Welt!" Die Welt, also der Schweizerische Teil davon, hat "Freiheitsglocken" und "Friedensglocken" mitgebracht.

14:15 Uhr: Der Moderator begrüßt nun "im Namen der FPÖ".

"Herbert! Herbert! Herbert!", ahnt das Publikum, dass er nah ist. Zuerst müssen aber "Betroffene" auf die Bühne. Zuvor sagen die Schweizer den Österreicherinnen und Österreichern, zumindest denen, die am Heldenplatz stehen, noch: "Gruezi Österreich! Ihr seid der Chef in diesem Land. Nicht die Politiker, nicht die Polizei. Jeder einzelne von euch. Freiheitskämpfer aller Länder, vereinigt euch!"

Dann aber dürfen die "Betroffenen" betroffen sein, "weil es in der Systempresse ja sowieso nicht geschrieben wird". Samira, klinische Sozialarbeiterin, klagt darüber, dass sie als Ungeimpfte von "Projekten und Ausflügen ausgeschlossen" wurde, ein junger Mann hat Probleme mit 3G im AMS-Kurs, eine Frau mit einem "Mann von einem anderen Kontinent" und "supervernetzt, was weltweit vor sich geht", ist sich sicher, dass ihre Freundin, die "drei Brustkrebs hatte", drei Wochen nach der Impfung gestorben ist – an der Impfung, "alle anderen schieben es auf den Krebs." Jasmin, Mutter von sieben Kindern, zwei Kreuze als Ohranhänger, beklagt die Spaltung "im Kindergarten, in der Volksschule und in der privaten Mittelschule": "Es herrscht überall dasselbe Regime."

Und dann kommen noch zwei Kinder, die einzigen an dem Nachmittag, die auf der Bühne eine Maske tragen. Ein Mädchen hat eine Österreich-Flagge um die Schulter gehängt, dem anderen rutscht die große Haube ins Gesicht. "Ich möchte 2019 zurückhaben, möchte leben wie früher." Und was tun die Lehrer? "Sagen: Impfen ist gut, geht impfen." Das mag sie nicht.

Und das Publikum auch nicht. Pfeifkonzert. "Die Regierung muss weg!"

14:31 Uhr: Martin Rutter feuert weiter an: "Die Regierung muss weg! In diesem Sinne: Behalten wir diese jungen mutigen Mädchen in Kopf, Herz und Seele. Alles Gute! Wir sehen uns dann auf der Straße!" Vorher aber gehört die Bühne noch der FPÖ-Spitze. Udo Landbauer aus Niederösterreich freut sich über das "Kaiserwetter": "Wir lassen uns nicht schlechtmachen, nicht auseinanderdividieren und spalten. Es geht um unsere Freiheit."

14:45 Uhr: Die Freiheitstrychler holen ihre Arbeitsgeräte. "Machts an Lärm!" Ein bisschen klingt es wie Almabtrieb mitten in der Großstadt. Hat man auch nicht alle Tage. Hört man auch nicht alle Tage.

14:47 Uhr: "Wir wechseln jetzt an die Universität": Studentin Julia Kicin wurde ein bisschen berühmt in Teilzonen des Internets, weil sie sich an der WU Wien geweigert hat, die Uni zu verlassen, obwohl sie keinen 3G-Nachweis erbrachte. Die Polizei beamtshandelte sie vorbildlich und führte sie dennoch ab. Jetzt will auch sie "Gesicht zeigen für die vielen Studenten, die dazu noch nicht den Mut aufgebracht haben".

14:54 Uhr: Der FPÖ-Moderator möchte, dass in der Hofburg nebenan "das Geschirr scheppert", weil jetzt FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz und ein Gast aus Südtirol kommen. "Servas, griaß eich, Freiheitskämpfer aus ganz Österreich!" Er will die Regierenden "von ihren Futtertrögen" wegbringen, sieht die erste Halbzeit gewonnen: "Wir gehen jetzt in die letzten fünf Minuten und werden diesen Impfzwang zu Fall bringen", brüllt er in die Menge: "Wir san net do, weil's so lustig ist. Wir san do aus Notwehr, weil wir uns unsere Freiheit nicht nehmen lassen. Wenn die oben drucken, dann drucken wir z'ruck." Die "wahren Covidioten" seien die, "die unsere Kinder schikanieren... weil wir sind das Volk!"

15:01 Uhr: Der Gast aus Südtirol brüllt nun auch: "Wir sind das Volk! Griaß di, Vaterland! Griaß di, Wien! Griaß di, Freiheitskämpfer!", sagt der "Tiroler", der dann ein "Gedicht" vorträgt. Es geht um Wölfe. "Wir sind Wölfe!", bekommen die Demo-Besucherinnen und –Besucher zu hören. "Wir sind nicht dressierbar, schon gar nicht von Geisteskranken. ... Doch wir sind Wölfe. Auf in die Schlacht! Egal, welches Land, egal, welcher Staat. Wir brauchen euch nicht, denn wir sind in Freiheit geboren." Die Reimfolge ist eher unsystematisch oder bewusstes Stilmittel. Jedenfalls ist der wichtigste Satz klar: "Wir sind Wölfe. Wir verlassen den Wald und gehen auf die Straße." Wölfe in der Bundeshauptstadt. Applaus am Heldenplatz.

Das "Gedicht" geht noch weiter. "Wir tragen sie mit Stolz, alle diese Narben... lieber stehend sterben, als kniend schweigen."

Die Wölfe sind angetan. Applaus.

Und dann doch noch, nun, ja, gewissermaßen ein Reim: "Und merkt euch eins: Uns geht nicht die Luft aus / in diesem Scheißhaus." Und noch ein etwas holpernder, um einen Buchstaben verschobener: "Denn die Wahrheit siegt immer / und am Ende sind wir die Gewinner."

Fertig? Nicht ganz. "Freiheit! Hu! Freiheit! Hu! Freiheit! Hu!" Immer schneller skandiert vom Herrn auf der Bühne, er breitet die Arme aus und klatscht sie über dem Kopf zusammen: "Freiheit! Hu! Freiheit! Hu!" Die Wölfe heulen "Hu! Hu! Hu!"

Und jetzt, endlich, kommt "unser Herbert Kickl".

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15:09 Uhr: "Danke, liebe Freunde Freunde der Freiheit. Freiheitskämpfer muss man in Zeiten wie diesen sagen", eröffnet der FPÖ-Chef. Er ist nachgerade beseelt von dem, was er sieht, was er spürt, wird er später noch mehrfach betonen: "Es kommt von innen heraus" – die Menge beschere ihm "ein solches Glücksgefühl, einen so unauslöschlichen Moment", man vertraue einander zu hundert Prozent: "Ich euch, ihr mir. Das ist das Band, das uns verbindet."

Besondere Freude bereitet Kickl "der Trompeter da vorn": "Der taugt mir." Den werde man mitnehmen ins Parlament: "Da kommen dann die Aerosole heraus, die für die Herrschaften gefährlich werden. Das ist die Musik der Freiheit", sagt Kickl und teilt seine Glücksgefühle gleich noch einmal mit der Menge vor sich. Er "lädt sich auf" bei dieser Demonstration, das sei etwas ganz anderes als die "mieselsüchtige Stimmung" in der Regierung, die sich "in ihren Katakomben versteckt hat, diese feigen und hinterhältigen Gestalten". ÖVP und Grüne steckten mit der geplanten Impfpflicht "in ihrer Gamechanger-Sackgasse, in die sie sich selbst hineinmanövriert haben, und sie arbeiten an ihrer Fluchtmutation aus dieser Sackgasse. Denen geht der Allerwerteste auf Grundeis."

Bundeskanzler Karl Nehammer, dreifach geimpft, unlängst an Corona erkrankt, konkret der Omikron-Variante, und am Samstag PCR-negativ getestet, wird "Corona-Karl" und "Pfizer-Koarl" genannt, der die "Nachdenkpause" in Sachen Impfpflicht nicht genutzt habe. Für das Impfpflichtgesetz gelte, sagt Kickl: "Game over statt Gamechanger." Dafür gibts Applaus. Getröte und Pfeifkonzert. "Für diese Lemurengruppe", schickt Kickl hinterher.

Kickl erklärt dann, nachdem er das Publikum bereits quasi zu seinem persönlichen Akku ernannt hat, dass dieses auch die Funktion eines Immunsystems hervorragend erfülle: "Ihr alle, die ihr da seid, die zuschauen, diese riesige Protestbewegung, wir gemeinsam sind so etwas Ähnliches wie das natürliche Immunsystem für die Demokratie und Verfassung in diesem Land. Da brauch ma kan Booster! Dieses Immunsystem wehr sich gegen alle Grauslichkeiten und gegen diese Bundesregierung in ihrer Gesamtheit. Es wehrt sich nicht nur, es setzt sich durch. Ihr seid der Beweis, dass dieses Immunsystem arbeitet", lässt Kickl die Leute vor sich wissen.

An Nehammer arbeitet sich Kickl dann noch einmal ab, wenn er ihn "Kandesbunzler" nennt, weil er ja "kein Bundeskanzler" sei. Aber damit werde ohnehin bald Schluss sein: "Dieses Immunsystem wird dafür sorgen, dass es sich in Bälde ausgenehammert, ausgemücksteint, ausgeedtstadlert und ausgekarnert hat." Und eine Namensrampe hat sich Kickl noch gebaut: "Ausgehackert haben" wird es sich seiner Meinung nach nämlich auch bald. "Bevor er euch die Hacken klaut, wird der Hacker abgebaut", reimt der blaue Parteichef über den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Wenn all diese Hindernisse auf dem Weg zur Verhinderung der Impfpflicht aus dem Weg geräumt sind, "wenn uns das gelingt, dann gibts Neuwahlen", spricht Kickl seine große Hoffnung aus. Dann werde Schluss sein mit dieser Umprogrammierung, dem "great reset", mit dem "freie Leute zu Befehlsempfängern gemacht werden sollen, der aus Gesunden Kranke macht. Der wird dann abgeschafft – und ich helfe gern mit, wenn ihr das wollt."

Der Akku lädt. Die Menge applaudiert.

"Wir sind knapp vor diesem Ziel, dass wir Neuwahlen haben", sagt Kickl noch: "Denen schlottern die Knie. Dieses Impfpflichtgesetz ist die letzte Verteidigungsbastion dieser totalitären Regierung. Es ist ihr wichtigstes Symbol." Kickl redet etwas von "einer Vergewaltigung der Grund- und Freiheitsrechte und wir sollen Lustgewinn haben. Ja glauben die, wir sind deppert? Neun Millionen Masochisten in diesem Land? Sicher nicht."

Dann hat er noch eine kleine Liste mit Dingen, die weg müssen: "Weg mit diesem Impfzwang! Weg! Weg mit dem Lockdown für Ungeimpfte! Das ist ja wie im Häf'n." Nur raus zum Spazierengehen oder zur Arbeit in die "Häf'nwerkstatt". Und natürlich "weg mit dieser Maskierung, vor allem für Kinder! Und noch was gehört weg: die sinnlosen Massentests." Und noch was: "Die Epidemie der Verantwortungslosigkeit und Blödheit. Des g'hört a weg."

Wer oder was nicht weg gehört, ist für Kickl klar. "Wir sind der Souverän. Wir sind der Chef in diesem Land! So geht man nicht mit Ungeimpften um!" Die "Wahrheit" sei jedenfalls auf ihrer Seite.

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Und bei dieser Seite der Welt will sich der FPÖ-Chef dann noch bedanken mit einem "großen Dankeschön, dass ihr euch nicht biegen, brechen habts lassen. Bitte haltet weiter durch. Ihr ladets mich auf. Ihr seids meine Helden, meine Vorbilder, meine Ladestation! Das ist der Heldenplatz, das Herz von Wien. Ihr seids das Herz des Heldenplatzes heute."

Und dann schlägt es plötzlich, ganz laut, das Herz des Heldenplatzes... aus dem Mund von Kickl: "Bum-bum wie Wahr-heit! Bum-bum wie Frei-heit!", ruft er: "Schicken wir in diese Labors der neuen Normalität, das Bundeskanzleramt und die Ministerien, einen riesigen Rücktrittsbooster in Form eines Pfeifkonzerts. Pfeifen wir die Pfeifen aus!"

15:39 Uhr: Die Wölfe, ähm, die Pfeiforgane tun wie gefordert. Sie pfeifen. So sehr, dass Kickl vermutet, dass der genesene Bundeskanzler "jetzt an Demokratie-Tinnitus" hat. Er aber, Kickl, ist am Ende seiner Rede aufgeladen, Akku voll: "Ihr wisst gar nicht, wie glücklich ihr mich macht, weil ich einer von euch sein darf."

Dann wirft auch Kickl noch einen Blick in den Himmel, nicht, weil er dort einen Gott vermutet, nein, Bruno Kreisky ruft der FPÖ-Chef an: "Bruno, schau oba, was die mit deinem Erbe machen", bietet Kickl SPÖ-Impfgegnern die freiheitliche Freundschaft an: "Wir nehmen's", das rote Erbe: "Wir kümmern uns um die, die euch zu minder sind."

15:44 Uhr: "Jetzt aber wirklich zum Schluss", hat Kickl noch eine Botschaft mit einem seiner Lieblingsgags des Tages: "Es wird alles super, wenn wir nicht aufgeben. Unsere große Kraft: Neuwahlen. Und dann gibt's Gerechtigkeit und endlich keinen Kandesbunzler mehr, sondern einen Bundeskanzler."

Die Botschaft ist angekommen: "Herbert! Herbert! Herbert!" lautet der Vorschlag aus dem Publikum. Dem bleibt nur noch zu sagen: "Ende gut, alles gut. Und wenn's net guat ist, dann is es net des End'! Es lebe die Freiheit! Es lebe die Wahrheit! Es lebe die Demokratie! Auf mi könnts ihr zählen! I bin da, wenn ihr mi brauchts!"

Nach 38 Minuten ist Kickl am Ende. Die Demonstration kann losgehen. "Herbert bleibt natürlich bei uns. Gehts jetzt bitte langsam, gesittet raus auf den Ring. Wir sehen uns draußen."

15:50 Uhr: Die Kameraleute von FPÖ-TV halten weiter drauf. Wir drücken nach 210 Minuten Demo-Schauen auf die Stopptaste. (Lisa Nimmervoll, 15. 1.2022)