Im Gastblog untersucht Daniel Witzeling, wie die Freiheitliche Partei Personen anspricht, die andere politische Ausrichtungen haben.

Sind Sie zufrieden mit der aktuellen politischen Lage und unseren gewählten Vertretern und Vertreterinnen? Ist Österreich auf dem richtigen Weg in eine gute Zukunft? Wenn Sie diese Fragen uneingeschränkt mit "Ja" beantworten können, gehören Sie zu einigen wenigen, die ihre innere Mitte und Ausgeglichenheit gefunden haben, um über den Dingen stehen zu können. Für alle anderen ergibt sich immer mehr die Herausforderung, aus dem Status quo das Beste zu machen. Dies ist aber nicht immer ganz leicht.

Kein Wunder, dass sich in Zeiten wie diesen Themen wie Meditation und Achtsamkeit im Netz großer Beliebtheit erfreuen. So wird unter anderem geraten, im Moment zu leben und auf der Welle des Lebens zu reiten, anstatt mit aller Gewalt gegen den Strom zu schwimmen. Etwas weiter gesponnen, stellt der aktuelle FPÖ-Chef Herbert Kickl eine österreichische Mutation der Achtsamkeit auf dem Gebiet des Populismus mit speziellem Fokus auf Frustration dar.

Der Wählerschaft zuhören

Als analytische Kategorie wird Populismus relevant, wenn das Phänomen FPÖ und das Wiedererstarken der Partei trotz immer neuer Skandale erklärt werden soll.

Herbert Kickl suchte auf Corona-Demos die Nähe zum Publikum.
Imago/Michael Kristen

Herbert Kickl verfügt über eine scharfe Wahrnehmung, was die Stimmungsströme bei den Wählerinnen und Wählern betrifft. Die Fähigkeit, die viele Politiker und Politikerinnen aufgrund ihrer vermeintlichen Überlegenheit verloren haben, hat der FPÖ-Bundesparteiobmann bei einem seiner Lehrmeister, Jörg Haider, lernen können: Den Menschen zusehen, zuhören und daraus Schlüsse ziehen, wie sie fühlen. Das alles geht ohne Expertinnen, Experten, Umfragen, Coaches und Agenturen.

Partei der Alternativlosigkeit

Mit stilisiertem, leicht artifiziell wirkendem Kärntner Dialekt schwingt Herbert Kickl eine Rede bei Corona-Demonstrationen und scheint, mit seinen Aussagen etlichen Teilnehmenden aus der Seele zu sprechen. Um an die Rhetorik eines Jörg Haider oder Franz Josef Strauß auf emotionaler und kognitiver Dimension heranzukommen, wird er zwar noch einige Berge erklimmen müssen – doch in Zeiten wie diesen, scheinen seine Fähigkeiten vollkommen auszureichen.

Für viele haben Kanzler und Co dieser Entwicklung recht wenig entgegen zu halten, insbesondere auf der Gefühlsebene. Zu lange war es den Politikerinnen und Politikern wichtig, falsch verstandene Stärke zu demonstrieren, weil man glaubte, die Bevölkerung dadurch abzuholen und so auf den richtigen Weg zu leiten. Dass dies allerdings als Härte und Vertuschen von Unsicherheit aufgefasst werden könnte, wurde – wenn überhaupt – erst sehr spät bemerkt.

Bei den Unzufriedenen handelt es sich nicht um die Mehrheit. Aber dieser Teil der Bevölkerung wird stets als kleine, unbedeutende Minderheit dargestellt – und genau das kippt kontinuierlich Öl ins Feuer. Hier fallen Angst und Alternativlosigkeit paradoxerweise auf den Nährboden der FPÖ. Ausgerechnet die Partei, die bei anderen Themen ebenso den Dampfhammer der Härte schwingt, gibt sich zuweilen verständnisvoll. Sie gibt jenen Unterschlupf, die sich in die Enge getrieben fühlen und als einzigen Ausweg Widerstand und Ungehorsam ihrerseits sehen.

Die psychohygienische Heimatpartei?

So gesehen, stellt Kickl, ähnlich wie Donald Trump in den USA, ein psychohygienisches Ventil für die Wütenden und Frustrierten dar, die ihr individuelles Territorium durch den Staat bedroht sehen. Dass sich in diesem Auffangbecken neben jenen, die im Establishment aus SPÖ und ÖVP keine Heimat gefunden haben, nun ebenfalls eine immer größer werdende Zahl an Menschen befindet, die in vielen Teilen gar nicht auf Linie der FPÖ sind, findet, gibt zu denken.

Man sollte den Indikator-Effekt des dritten Lagers in Österreich nicht unterschätzen. Alle Dämonisierung beiseitegelassen, könnte man dadurch einiges lernen, denn viele Freiheitliche haben es im Überlebenskampf perfektioniert, ihre Seismografen in Richtung der affektiven Schwingungen der Bevölkerung zu adjustieren und sich nicht in Debatten zu verzetteln. (Daniel Witzeling, 5.8.2022)

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