Bis 2012 waren Gewinne aus dem Verkauf von Aktien, die mehr als ein Jahr im Depot lagen, steuerfrei. Finanzminister Brunner will diese Behaltefrist wieder einführen.

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Die ökosoziale Steuerreform ist noch gar nicht endgültig beschlossen, da diskutiert Österreich schon den nächsten Vorschlag: Vergangene Woche preschte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) mit der Forderung nach einer Entlastung für Aktionäre vor. Gewinne aus dem Verkauf von Wertpapieren, die eine bestimmte Zeit lang im Depot liegen, sollen steuerfrei sein – und nicht mehr mit der Kapitalertragssteuer (KESt) von 27,5 Prozent belastet werden.

Neu ist der Vorschlag Brunners keineswegs: Die Forderung nach der "Wiedereinführung einer Behaltefrist" steht seit 2020 im türkis-grünen Regierungsprogramm. Die Idee: Sparer sollen einen Anreiz bekommen, ihr Geld nicht auf ein Sparbuch zu legen, sondern in Unternehmen zu investieren. Damit könne man der schleichenden Geldentwertung entgegenwirken – vor allem in Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation.

Laut ÖVP sollen die Österreicher ihre finanzielle Vorsorge also auf breitere Beine stellen. Die Grünen ließen sich bei den Koalitionsverhandlungen von diesem Argument überzeugen – oder überreden. Auf den aktuellen Vorschlag Brunners reagierten sie eher zurückhaltend. Im Fokus stehe jetzt einmal die ökosoziale Steuerreform, hieß es auf Anfrage des STANDARD. Über die Behaltefrist werde derzeit nicht verhandelt.

Emotionale Diskussion

Ob der Zeitpunkt von Neo-Finanzminister Brunner bewusst gewählt war, lässt sich schwer sagen. Fakt ist, dass die Forderung polarisiert – vor allem im Kontext von mutmaßlichen Steuerdeals und dem Wechsel von Ex-Finanzminister Gernot Blümel zum Finanzunternehmen Superfund. Noch am Freitag nutzten praktisch alle Parteien und Interessenvertreter die Gelegenheit, sich öffentlich zu Wort zu melden.

Die SPÖ kündigte "massiven Widerstand" gegen den Plan an. Die ÖVP habe "überhaupt keinen Genierer mehr in ihrer Politik für die Reichen und Superreichen", ließ SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer verlautbaren. Die Arbeiterkammer warnte vor einem "ökonomisch unsinnigen Steuergeschenk an die reichsten zehn Prozent der Haushalte".

Zustimmung kam – wenig überraschend – von der Wirtschaftskammer. Generalsekretär Karlheinz Kopf sprach von einer Win-Win-Situation für Kapitalmarkt und Eigenvorsorge. Der Fachverband der Pensionskassen bezeichnete die Ankündigung Brunners als "gutes Signal zum Jahresauftakt".

Steuerentlastung für Reiche

Die Wiedereinführung einer Behaltefrist wäre zweifellos eine Entlastung für Aktionäre – und damit für Menschen, die genug Geld haben, das sie in den Kapitalmarkt investieren können. Geringverdiener hätten davon wenig bis gar nichts. Arbeiterkammer und Gewerkschaft kritisieren, dass vor allem die reichsten zehn Prozent der Haushalte profitieren würden. Dort konzentriere sich 90 Prozent des Einkommens aus Vermögen.

Laut Daten der Österreichischen Nationalbank (OeNB) halten in den unteren zwei Einkommensfünftel jeweils weniger als zwei Prozent der Haushalte Aktien. Im reichsten Fünftel besitzen 11,3 Prozent der Haushalte Wertpapiere. Damit hätte die Maßnahme einen Umverteilungseffekt nach oben, kritisiert die Gewerkschaft. Dem Staat gingen jährlich 200 bis 300 Millionen Euro durch die Lappen.

Anreiz für Einstieg

Bei der ungleichen Verteilung des Aktienvermögens hakt auch Monika Köppl-Turyna ein, Chefin des wirtschaftsliberalen Forschungsinstituts Eco Austria. Sie argumentiert allerdings in die andere Richtung: Dass so wenig Leute in Österreich Aktien besitzen, sei genau das Problem – aber kein Naturgesetz. Eine Steuerentlastung wäre ein Anreiz dafür, in den Aktienmarkt einzusteigen.

Dazu kommen "Second order"-Effekte, erklärt Köppl-Turyna im Gespräch mit dem STANDARD. Eine Senkung der Kapitalertragssteuer treibe Investitionen und Innovationen an, das sei wissenschaftlich gut belegbar. Die Reform hätte also positive Effekte für die Gesamtwirtschaft – und nicht nur für Leute, die selbst Aktien halten.

Mehrere Optionen

Einen konkreten Zeitplan gibt es entgegen anderslautender Meldungen noch nicht. Finanzminister Brunner stellte bereits klar, dass die Reform nicht unbedingt 2022 kommen muss. Und: Schwarz-weiß ist die Diskussionen keinesfalls. Sollte sich die Koalition auf die Einführung einer Behaltefrist einigen, bliebe viel Raum für Diskussion. Verhandelt werden könnte etwa über die Länge der Frist und maximale Freibeträge.

Längere Fristen würden nachhaltige Investitionen fördern. Wäre der Verkauf einer Aktie etwa erst ab fünf Jahren steuerfrei, würde man langfristige Anleger bevorzugen und Spekulanten, die regelmäßig handeln, benachteiligen. Das könnte auch für mehr Stabilität am Markt sorgen.

Zieht man für die Steuerbefreiung einen Höchstbetrag ein – so wie das etwa in Deutschland der Fall ist –, wären kleinere Investoren bevorzugt. Für Großanleger würde sich nicht viel ändern. Spätestens wenn diese Details verhandelt werden, wird sich zeigen, worum es den Regierungsparteien tatsächlich geht. (Jakob Pflügl, 17.1.2021)