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Nach etwa zehn Stunden konnten Einheiten der Bundespolizei FBI die Geiseln befreien.

Foto: AP/Smiley N. Pool

Dallas – Die Polizei hat die Geiselnahme in einer Synagoge im US-Bundesstaat Texas mit einer Befreiungsaktion beendet. Alle Geiseln in der Kleinstadt Colleyville unweit von Dallas seien "am Leben und in Sicherheit", teilte der texanische Gouverneur Greg Abbott am Samstag (Ortszeit) auf Twitter mit. Die erste der vier Geiseln war schon vorher freigelassen worden. Der Geiselnehmer, der offenbar eine inhaftierte Terroristin hatte freipressen wollen, starb bei dem Einsatz.

Etwa zehn Stunden nach dem Beginn der Geiselnahme startete die Befreiungsaktion in der Synagoge. "Das Geiselbefreiungsteam stürmte die Synagoge", sagte Colleyvilles Polizeichef Michael Miller bei einer Pressekonferenz. "Der Verdächtige starb." Journalisten berichteten von einer lauten Explosion und Schüssen in der Synagoge, kurz bevor Abbott die Befreiung der Geiseln verkündete.

Rabbiner und drei weitere Menschen als Geiseln

Wie US-Medien berichteten unter Berufung auf Ermittler, hatte der Mann am Samstagvormittag (Ortszeit) während eines Gottesdienstes in der Synagoge der 26.000-Einwohner-Stadt vier Geiseln genommen und sich über Stunden mit ihnen in dem Gebäude verschanzt. Unter ihnen war der Rabbi. Der Gottesdienst wurde auf der Facebook-Seite der Gemeinde live übertragen. Die lokale Zeitung "Fort Worth Star Telegram" berichtete, in dem Livestream sei die Stimme eines wütenden Mannes zu hören gewesen, der geschimpft und geflucht und unter anderem über Religion gesprochen habe. Er habe mehrmals gesagt, er wolle niemandem wehtun, und er glaube, dass er sterben werde. Irgendwann brach die Übertragung ab.

Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot von etwa 200 Beamten an – darunter Spezialeinheiten, die auf Geiselnahmen spezialisiert sind. Experten der Bundespolizei FBI hielten den Tag über mit dem Geiselnehmer Kontakt und verhandelten mit ihm. US-Präsident Joe Biden ließ sich über die Entwicklung der Lage informieren.

Ermittlungen zu Hintergründen laufen

Der zuständige FBI-Beamte Matt DeSarno sagte, alle vier Geiseln seien wohlauf und unverletzt. Der Geiselnehmer sei identifiziert. Angesichts der laufenden Ermittlungen könne die Polizei aber keine näheren Angaben zu ihm machen. Umfangreiche Nachforschungen mit Blick auf sein Motiv und mögliche Kontakte seien im Gang. "Unsere Ermittlungen werden globale Reichweite haben", betonte DeSarno. Nach bisherigen Erkenntnissen sei der Geiselnehmer auf ein Thema fokussiert gewesen, das nicht speziell die jüdische Gemeinschaft betreffe. Der Polizeichef von Colleyville, Michael Miller, sagte, es sei bisher unklar, warum der Mann die örtliche Synagoge als Ziel ausgewählt habe.

Mehrere US-Medien, darunter die "Washington Post" und der Sender CNN, berichteten übereinstimmend unter Berufung auf Ermittlerkreise, der Mann habe die Freilassung der pakistanischen Wissenschafterin Aafia Siddiqui aus einem nahe gelegenen Gefängnis in Texas erreichen wollen. Siddiqui wurde im Juli 2008 im afghanischen Ghazni festgenommen und 2010 wegen eines Angriffs auf US-Soldaten in Afghanistan von einem US-Bundesrichter zu 86 Jahren Haft verurteilt. Beim Verhör auf einer Polizeiwache hatte sie eine am Boden liegende Waffe an sich genommen und auf einen US-Soldaten und einen Übersetzer gezielt, ohne diese zu treffen. Siddiqui war zuvor in einer der Top-Universitäten der USA, dem MIT in Cambridge, ausgebildet worden. Später wurde ihr Name von US-Behörden auf eine Liste von Verdächtigen gesetzt, die mit Al-Kaida-Terroristen in Verbindung stehen könnten.

Mehr Polizeipräsenz bei Synagogen

Die Polizei äußerte sich nicht zu dem Motiv des Täters. Offen ließen die Behörden auch, wie sich die Szene der Geiselbefreiung abspielte, wie der Geiselnehmer bewaffnet war und ob er von Einsatzkräften getötet wurde oder sich womöglich selbst das Leben nahm.

US-Präsident Joe Biden erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme: "In den kommenden Tagen werden wir mehr über die Beweggründe des Geiselnehmers erfahren." Er betonte, jeder, der Hass verbreiten wolle, müsse aber wissen: "Wir werden uns gegen Antisemitismus und gegen die Zunahme des Extremismus in diesem Land stellen."

Der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett äußerte sich nach der Befreiung in einem Tweet erleichtert und dankbar. "Dieser Vorfall hat uns deutlich vor Augen geführt, dass Antisemitismus noch lebendig ist, und dass wir ihn weltweit weiter bekämpfen müssen."

Behörden in anderen US-Städten, unter anderem in New York und Los Angeles, teilten mit, angesichts der Lage in Colleyville hätten sie ihre Präsenz bei Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen aus Vorsicht vorerst verstärkt. (APA, 16.1.2022)