Die Mittelschullehrerin Maria Lodjn berichtet im Gastbeitrag über den zermürbenden Schulalltag während der Pandemie.

Covid und kein Ende? Die Pandemie belastet Kinder und Jugendliche psychisch massiv.
Zeichnung: Armin Karner

Es ist Mittwoch. Mit einigen Kolleginnen und Kollegen stehe ich im Schulhof. Eine Kollegin scrollt sich durch die Testergebnisse der Gurgeltests von gestern. "Drei positive. Bei vier Schülerinnen und Schülern fehlt das Ergebnis", resümiert sie. Fehlende Ergebnisse sind kein gutes Zeichen, zumeist handelt es sich dabei um positive Bescheide. Meine ursprünglich gute Laune rasselt in den Keller. Hört das denn nie auf?

Der Tag beginnt in der Deutschförderklasse. Leere Plätze fallen den Schülerinnen und Schülern sofort auf. "Wo Nandi?", will Ramin wissen. "Corona", antwortet Elif. Mein Vorsatz, positive Testergebnisse nicht an die große Glocke zu hängen, scheitert ähnlich schnell wie sämtliche Neujahrsvorsätze der vergangenen Jahre. Die Kinder wissen ohnehin, was los ist. Zumal wir ab dem ersten positiven Fall täglich PCR- und Antigen-Tests durchführen müssen. "Sumea auch Corona?", fragt mich Ali. Stimmt, sie fehlt seit zwei Tagen. "Alle immer Corona", fasst Ramin zusammen.

In der zweiten Stunde gibt es in der Nachbarklasse einen positiven Antigen-Test. Elisa steht bleich auf dem Gang, wirkt, als wäre sie in einer Art Schockstarre. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Während der Gangaufsicht erzählt mir eine Kollegin, dass Viki seit einer Stunde auf der Toilette sitzt und weint. Die Kollegin hat es nicht geschafft, das Mädchen von dort rauszubekommen. Während ich dieser Erzählung lausche, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich zwei Schüler prügeln. Warum, weiß keiner der beiden nachher so genau. Es ist einfach passiert. Irgendwas musste raus, so viel ist mir klar.

Fluchen und schimpfen

So sieht es zurzeit bei uns an der Schule aus. Die einen weinen still, andere laut. Die einen sind unendlich wütend, die anderen legen den Kopf auf den Tisch und verkriechen sich in der Kapuze ihrer Hoodies. Wieder andere suchen dauernd den Kontakt zu mir. Auch das erfolgt auf unterschiedliche Arten. Die angepassten Schülerinnen und Schüler weichen nicht von meiner Seite, die weniger angepassten fluchen und schimpfen so lange, bis ich mich ihnen zwangsläufig widme.

Nur an eines kann ich mich kaum erinnern, wenn ich am Abend den Schultag noch einmal in Gedanken vorbei ziehen lasse: dass Kinder und Jugendliche Spaß gehabt haben. Klar, kaum wird die Stimmung ausgelassener, rutschen Masken über die Nase, der notwendige Abstand verringert sich in Sekundenschnelle. "Maske rauf, bitte", ist mein Standardsatz. Nicht immer stimmt mein Ton. Die Zeiten der Pandemie kosten uns alle, Schülerinnen und Schüler, Eltern wie Lehrkräfte viel Energie.

"Muss besser werden"

Fast zwei Jahre lang habe ich bestritten, dass diese Schülerinnen und Schüler einer verlorenen Generation angehören. Ich war überzeugt, dass Defizite im Bereich Mathematik oder Deutsch oder sonst wo nicht das Ende der Welt bedeuten würden. Alles kann nachgeholt werden, und alle Schülerinnen und Schüler in Europa haben genau das gleiche Problem. Jetzt rudere ich zurück, aber nicht wegen Mathematik oder Deutsch, sondern weil es unseren Kindern und Jugendlichen ganz schlecht geht. Sie driften in Depressionen, Essstörungen oder gefährliche Aggressionen ab. Sie wirken verloren. Sie brauchen dringend Hilfe. An der Schule gibt es eine Psychagogin und eine Schulsozialarbeiterin, die keine Kapazitäten mehr haben. Man kann den Eltern erklären, dass ihre Kinder Hilfe brauchen. Man kann Adressen oder Einrichtungen empfehlen. Aber viele unserer Eltern können mit Therapie wenig angefangen, sind verunsichert und glauben nicht, dass eine verwundete Seele krank machen kann. Über Probleme wird wenig geredet. "Muss besser werden", hat mir unlängst ein Vater erklärt, dessen Tochter völlig durchhängt.

Die Tochter wiederum hat wenig Lust, mit ihrem Vater Probleme zu besprechen. Wer will das schon in der Pubertät? Als ich sie vor dem Schultor treffe, gesteht sie mir, dass sie ihren Vater auch nicht zusätzlich belasten will. Aber dass sie auch keine Lust hat, wie ein "Opfer" dazusitzen und zu weinen. "Ich mach lieber das", sagt sie und zeigt mir ihre blutigen Fingerknöchel. Mit der Faust hat sie in der Pause gegen die Wand geschlagen. Und zu all dem seelischen Leid gesellt sich noch der Leistungsdruck. Denn, egal was ist, die Noten müssen stimmen.

Geringstes Problem

Wir alle, die im System Schule arbeiten, vom Bildungsministerium bis zu all meinen Kolleginnen und Kollegen, müssen zur Kenntnis nehmen, dass unsere Kinder und Jugendlichen viel mehr brauchen als ein gut gemeintes Förderprogramm in Deutsch, Mathematik oder sonst wo. Schulische Defizite sind derzeit unser geringstes Problem. Kinder und Jugendliche brauchen ein niederschwelliges Therapieangebot, das nichts kostet und sofort verfügbar ist. Die Planstellen von Psychagoginnen und Psychologen, Beratungslehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern müssen so erhöht werden, dass es, adaptiert an die Schülerinnen- und Schülerzahl, genug Betreuung vor Ort gibt. Vielleicht könnte man die Kinder mit oder ohne Eltern auf Reha schicken. Drei Wochen Therapie, Spaß und irgendwo abhängen, wo alles, was mit Corona zu tun hat, vergessen werden kann. Abstand bekommen von Situationen, die fast nicht zu ändern sind. Das alles kostet viel Geld, aber weniger als eine Generation, die mit den Folgen der Pandemie nicht mehr fertig wird.

Wir können mit den Kindern lachen oder auf eine Deutschstunde verzichten und in den Park gehen. Ausgelassen fangen spielen oder nur plaudern, raus aus dem tristen Alltag. Den Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass wir uns nichts sehnlicher wünschen, als sie wieder ein bisschen glücklicher zu sehen. (Maria Lodjn, 17.1.2022)