Manisches Dinieren beim Dichter daheim: "humanistää!" nach Ernst Jandl.

Foto: Nikolaus Ostermann

Wien – Ob er noch etwas essen wolle und ob sie auch tatsächlich satt sei? Nun ja, das erfahren wir natürlich nicht. Die Dialoge in Ernst Jandls Theaterstück aus der fremde (1978) sind nicht für die Konversation gedacht. Sie verzeichnen hingegen strophenweise und stets nur in der Möglichkeitsform (Konjunktiv) der dritten Person die Timeline eines depressiven Schriftstellers und seines aus "Nichtigkeiten" bestehenden Alltags. In seiner Wohnung erhält er Besuch von der Lebensgefährtin, ebenfalls Schriftstellerin, aber das Zusammensein macht es nicht besser. Unschwer erkennt man das Dichterpaar Ernst Jandl und Friederike Mayröcker.

Das autobiografisch motivierte Stück, für das Jandl 1980 den Mülheimer Dramatikerpreis erhielt, bildet das Rückgrat des neuen, großen Jandl-Abends am Volkstheater Wien. Ein Ausruf aus dem Stück die humanisten gibt ihm seinen Titel: humanistää! Regisseurin Claudia Bauer lässt entlang einer zweistündigen Show die Sprachkunst und -lust des im Jahr 2000 verstorbenen Schriftstellers, Jazzfans und Proponenten experimenteller Lyrik hochleben: Slapstick, Opern- und Sprechgesang, synchronisiertes Maskenspiel, zünftige Sprechnummern und -duette. All das wird aus dem Orchestergraben dirigiert von Jera H. Petriček Hrastnik, die sich im Beisein der Livemusiker Igor Gross und Lukas Lauermann gelegentlich mit einem Schirmchen gegen die Sprechfontänen an der Rampe wappnet.

Schnitzel schneiden

Der öde Dichterpärchenalltag nimmt in einer kleinen Essensstube seinen Anlauf, in der sich diverse, zum Verwechseln ähnlich drapierte Mayröckers und Jandls nur so am laufenden Band die Klinken in die Hand geben (Kostüme: Andreas Auerbach). Sie prosten einander mechanisch zu und säbeln die viereckigen Schnitzel zunehmend manisch bis zur orchestralen Explosion. Dann weitet sich die Bühne und schafft in einem durchscheinenden Geviert mit weiten Schwingtüren Platz für die Komödiantik eines klassen Ensembles (Bühne: Patricia Talacko).

Elias Eilinghoff, erst in diesem Herbst vom Münchner Residenztheater nach Wien übersiedelt, brilliert im Einakter die humanisten als Nobelpreisdichterfürst im Neandertalerfell neben Julia Franz Richter in der Rolle des gleichermaßen ausgezeichneten Historikers vulgo "universitäten professor kapazität von den deutschen geschichten", der seinerseits das selbstherrliche Loblied auf sich und die deutsch-österreichische Großkultur mit einer Fred-Feuerstein-Keule vorantreibt.

Falco-Sound

In den abgehobenen Herrendisput funkt eine Frau dazwischen, die – und das ist das einzige Update zum Originaltext, das sich das Leitungsteam bzw. Dramaturg Matthias Seier leistet – auf Schwangerschaft und Sprachfehler verzichtet, dafür in Gestalt von Hasti Molavian kräftig singt, und zwar das Lautgedicht karwoche: ein turm.

Der in Sofia geborene, in Linz aufgewachsene Samouil Stoyanov, ebenfalls abgeworben aus München: von den Kammerspielen, fegt tänzerisch übers Parkett, ein flockiges Multitalent mit Kottan-Schmäh, der in der Livesynchronisation auch Falco-Sound aufblitzen lässt. Seine zwingende, gefährliche, abgründige Performancekunst prädestiniert ihn für das dazwischengeschaltete Langpoem deutsches gedicht (1957), das Wörter in Abwandlungen vor sich hertreibt, um in ihnen schließlich zugedeckten Faschismus kenntlich zu machen ("eil eil/ itt itt").

"Ich was not yet in brasilien"

Nick Romeo Reimann treibt in aus der fremde in allerlei Körperbiegungen Schwingtürenschabernack, Bettina Lieder bricht dazwischen mit Mayröckers Text Nada. Nichts (1991) aus. Und zusammen – weiters Evi Kehrstephan, Uwe Rohbeck – geben sie alle in chorischen Szenen Stoff. Alle Sympathiepunkte gewinnt etwa calypso – "ich was not yet/ in brasilien/ nach brasilien/ wulld ich laik du go". Oder das Gedicht von zeiten: "sein das heuten tag/ sein es ein scheißen tag".

Claudia Bauer, die hiermit ihr spätes Debüt in Wien gibt, interessiert bevorzugt eine Dramensprache mit eigenem Anspruch. Sie hat Werner Schwab inszeniert, auch die kataloghaften Textströme eines PeterLicht. Wie sehr Sprache und Sprechen auch Körpergeburten sind, zeigt nun ihre Volkstheater-Inszenierung, die eingeschworene Jandl-Fans mit Komödienfreunden im Allgemeinen vereinen könnte. (Margarete Affenzeller, 17.1.2022)