Wie viele Schulen sich an den Streiks beteiligen werden, können die Schülervertreter noch nicht sagen – ein Schulsprecher rechnet mit über hundert.

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Bei der Frage, was sich Dienstagmorgen an wie vielen Schulen Österreichs abspielen wird, tappt man einen Tag zuvor noch im Dunkeln. Nachdem Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) dem Ruf nach weitreichenden Erleichterungen bei der Matura 2022 nicht innerhalb seiner Schonfrist – die am Montag endete – nachgekommen ist, steht aber eines fest: An Österreichs Schulen wird gestreikt. Unterschiedliche Schülergruppen wollen sich mit lokalen Aktionen, kleinen Versammlungen in Pausenhöfen oder der Flutung des Internets unter dem Hashtag "Wir streiken" Gehör verschaffen – und auf ihre angespannte schulische und psychische Situation aufmerksam machen.

Fehlende Freiwilligkeit

Denn nach zwei Jahren pandemischen Schulmanagements scheinen die Nerven der Schüler und Schülerinnen blank zu liegen. Daran hat auch Polascheks Ankündigung, die Matura mit Erleichterungen stattfinden zu lassen, nichts geändert. Letzte Woche hatte er in Aussicht gestellt, die Arbeitszeit bei der schriftlichen Matura um eine Stunde zu verlängern sowie die Note der Abschlussklasse in die Maturanote einfließen zu lassen. Im Gegensatz zu den vergangenen zwei Jahren soll die mündliche Matura – wenn auch im Themenbereich gestrafft – dieses Jahr aber wieder stattfinden. Das brachte das Fass für die SPÖ-nahe Aktion kritischer SchülerInnen (AKS) zum Überlaufen.

"Da lastet nun ein enormer psychischer Druck auf den Schülerinnen und Schülern", sagte AKS-Vorsitzende Flora Prantl dem STANDARD. Denn letztlich sei der diesjährige Maturajahrgang am stärksten von der Pandemie betroffen. Prantl fordert daher die Wahlfreiheit für Maturantinnen und Maturanten: "Die Maturantinnen sollen selber entscheiden, ob sie zur mündlichen Matura antreten oder nicht." Falls sie das nicht wollen, soll das Maturazeugnis aus den Noten der letzten beiden Schuljahre zusammengesetzt werden. Auf Freiwilligkeit setzt die AKS auch bei der Präsentation der vorwissenschaftlichen Arbeiten.

Matura als "Schlüsselmoment"

Aus dem Bildungsministerium heißt es auf STANDARD-Nachfrage, dass man sich der Auswirkungen der Pandemie bewusst sei und deshalb eine "Vielzahl an Erleichterungen bei der Matura" geschaffen habe – etwa die Einschränkung der Themenbereiche und Ersatzprüfungstermine. Die Freiwilligkeit wird aber klar abgelehnt: Die Matura sei ein "Schlüsselmoment im Leben einer Schülerin oder eines Schülers", in dem das Wissen präsentiert werden könne – "wir sind daher froh, dass auch die mündliche Matura aus derzeitiger Sicht dieses Jahr unter allen nötigen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden kann".

Schulsprecher: "Verantwortungslose Politik"

Ein Zeichen gegen "die verantwortungslose Politik der Bundesregierung" will am Dienstag auch – unabhängig von der AKS – ein Zusammenschluss von Schulsprecherinnen und Schulsprechern setzen. Was sie sich von der Politik wünschen, haben sie bereits vergangene Woche in einem offenen Brief an die Regierung kundgetan – und diese Forderungen gehen weit über Erleichterungen bei der Matura hinaus.

Flächendeckende PCR-Testungen, Luftreiniger und langfristige Sicherheitskonzepte: Die Liste an Forderungen ist lang, ebenso wie jene der Probleme an Österreichs Schulen, sagt Mati Randow, Schulsprecher des Wiener Gymnasiums Rahlgasse. "Zu dem ganzen Corona-Chaos kommt, dass der Leistungsdruck nicht nachlässt." Dass nun die Regierung, unbeirrt von der Omikron-Welle, an der mündlichen Matura festhält, gab letztlich den Ausschlag für die Streiks. Randow rechnet mit etwa hundert Schulen, die sich am Dienstag mit unterschiedlichen Aktionen beteiligen werden.

Die von der ÖVP-nahen Schülerunion dominierte Bundesschülervertretung (BSV) will damit jedenfalls nichts zu tun haben – auch wenn sie das Anliegen teile. Vielmehr will sie auf einen Dialog mit dem Ministerium setzen. Auch in Innsbruck wollte man die Tiroler Bildungslandesrätin und den Bildungsdirektor an den Tisch bitten, erzählt Matteo Iori vom Innsbrucker Gymnasium in der Au. "Beide haben uns aber heute abgesagt." (Elisa Tomaselli, 17.1.2022)