Auch bei milden Covid-19-Verläufen sind die Organe mittelfristig betroffen, wie eine große Hamburger Studie zeigt.

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Die Omikron-Variante des Coronavirus ist ein zweischneidiges Schwert. Für die Gesellschaft ist sie insgesamt gefährlicher. Denn das Virus ist so ansteckend, dass die Hospitäler schnell überlastet sein können. Für den Einzelnen scheint sie indes weniger gefährlich zu sein. Zumindest nach dem derzeitigen Stand sorgt sie tendenziell seltener für schwere Erkrankungen. Doch ist ein milder Verlauf einer Covid-19-Infektion wirklich immer so harmlos?

Das fragten sich Forscher um den Kardiologen Stefan Blankenberg vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Sie nahmen daher mögliche mittelfristige Folgen für Organe wie Lunge oder Herz nach einem milden bis moderaten Verlauf von Covid-19 näher unter die Lupe. Sie untersuchten 443 ungeimpfte Probanden, die 2020 positiv auf Sars-CoV-2-gestestet worden waren und keine, milde oder höchstens mäßiggradige Symptome zum Zeitpunkt der Infektion angegeben hatten. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wurde daher rein ambulant behandelt. Keiner von ihnen benötigte eine intensivmedizinische stationäre Behandlung.

Die Forscher untersuchten im Mittel zehn Monate nach der Sars-CoV-2-Infektion das Herz-Kreislauf- und Gefäßsystem, die Lunge, die Nieren und das Gehirn auf mögliche Folgeschädigungen. Mithilfe von Fragebögen erfassten sie die Lebensqualität der Probanden. Zum Vergleich wählten sie 1.328 Teilnehmer ähnlichen Alters, Geschlechts und mit ähnlichem Bildungsstatus vor Ausbruch der Pandemie aus.

Organe mit schwächerer Leistung

Im Direktvergleich zur Normalbevölkerung fanden die Wissenschafter bei den Probanden nach überstandener Infektion Anzeichen mittelfristiger Organschädigungen. Die Testung der Lungenfunktion ergab bei den ehemals infizierten Teilnehmern ein um etwa drei Prozent reduziertes Lungenvolumen. Hinzu kam ein leicht erhöhter Atemwegswiderstand.

Die Herzuntersuchungen offenbarten eine durchschnittliche Abnahme der Pumpkraft um ein bis zwei Prozent. Die Nierenfunktion war um etwa zwei Prozent schlechter. Zudem ermittelte eine Ultraschalluntersuchung zwei- bis dreifach häufiger Zeichen einer tiefen Venenthrombose. Immerhin positiv: Die Struktur und Leistungsfähigkeit des Gehirns nach einer Sars-CoV-2-Infektion zeigte im Vergleich keine Schädigungen. Und die erfragte Lebensqualität war nicht schlechter.

"Methodisch ist die Studie der UKE-Forscher top", sagt Judith Löffler-Ragg, Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie von der Medizinischen Universität Innsbruck. Immerhin umfasse die Studie eine große Patientenstichprobe. Die Untersuchungen seien sehr aufwendig und exzellent. Und es gebe eine passende Kontrollgruppe. Probleme hat Löffler-Ragg aber mit den Schlussfolgerungen der Forscher.

Die Wissenschafter empfehlen bei Sars-CoV-2-Patienten auch nach einer leichten bis mittelschweren Erkrankung, die Funktionen von Organen systematisch zu screenen. Mit dieser Früherkennung sollen Risikopersonen identifiziert werden, um eine geeignete Therapie zur Prävention einzuleiten. So solle etwa die Lungenfunktion nach der Genesung bei dem geringsten Verdacht untersucht werden, auch bei scheinbar gesunden Personen.

Subtile Veränderungen

"Das geben die Ergebnisse aber nicht her", sagt Judith Löffler-Ragg. Die Studie zeige zwar, dass auch bei einem milden Verlauf Organveränderungen auftreten können. "Aber laut den gemittelten Ergebnissen sind sowohl die Werte für die Lunge als auch die für das Herz noch innerhalb des breiten Bereichs der Normwerte." Somit handele es sich in der Gesamtheit um subtile Veränderungen der inneren Organe, die sich auch nicht in Atembeschwerden oder Veränderungen der Lebensqualität bei den Patienten geäußert hätten. Und da stelle sich die Frage, ob die Veränderungen wirklich klinisch relevant seien. "Wir brauchen hier noch Langzeitstudien, um zu schauen, ob sich solche Veränderungen langfristig wirklich in Beschwerden mit Krankheitswert äußern."

Entgegen der Empfehlung der Studienautoren ist es in der klinischen Praxis eigentlich so, dass Patienten nur mit Symptomen abgeklärt werden sollen. "Wir sollten daher nun nicht beginnen, Patienten ohne Beschwerden zu Untersuchungen zu laden", sagt Judith Löffler-Ragg. "Und Patienten sollten auch nicht aus lauter Angst vor Langzeitfolgen um Untersuchungen bitten, die nicht nötig sind." Überhaupt wolle Löffler-Ragg keine Panik schüren. Sie sagt aber auch: "Die Bevölkerung sollte schon ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auch milde Verläufe nicht immer harmlos sind.

Schließlich beschäftigt sich die Pneumologin selbst mit langfristigen Folgen milder Covid-19-Erkrankungen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie konnte sie zeigen, dass auch Menschen mit mildem Verlauf ohne Hospitalisierung selbst Monate nach der Infektion über vielfältige Symptome klagen: über Müdigkeit, Atembeschwerden, Herzrasen und neurologische Beschwerden. Diese Beschwerden fasst die Wissenschaft schon seit längeren unter dem Begriff "Long Covid" zusammen. Der Begriff umfasst Symptome, die mehr als vier Wochen nach Beginn der Erkrankung an Covid-19 fortbestehen oder neu auftreten.

Wie viele Menschen nach einer überstandenen leichten, moderaten oder schweren Infektion Long Covid entwickeln, ist bislang noch unklar. Die niedrigsten ermittelten Werte liegen bei zehn Prozent der Infizierten. Andere Studien gehen sogar von 40 Prozent aus. Wissenschafter wissen bislang aber nicht, wie viele der von Patienten berichteten Langzeitbeschwerden wirklich auf Covid-19 zurückgehen. Immerhin könnten auch andere überstandene Infektionen wie Influenza eine Rolle spielen und für manche Langzeitbeschwerden verantwortlich sein.

Long-Covid-Schutz durch Impfung?

Unklar ist bislang auch, wie gut eine Impfung vor langfristigen Folgen schützt. Von einem kann man allerdings ausgehen: Die Impfstoffe verringern das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung, indem sie die Wahrscheinlichkeit verringern, sich überhaupt mit Covid-19 zu infizieren. Die Probanden der Hamburger Studie waren nicht geimpft. Möglicherweise wären die Organveränderungen bei geimpften schwächer ausgefallen. Oder es hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt.

Was bedeutet das Ganze nun aktuell für Infektionen mit der Omikron-Variante? Immerhin soll sie ja für tendenziell mildere Verläufe sorgen. Doch wie gefährlich sind solche milden Verläufe mit der Omikron-Variante? "Wir wissen noch nicht, ob sich bei milden Omikron-Verläufen Symptome von Long Covid einstellen", sagt Judith Löffler-Ragg. "Wir sollten also auch bei der vermeintlich milden Omikron-Variante in unserem Alltag weiterhin achtsam sein." Das gilt besonders für ungeimpfte Menschen. Aber auch die Geimpften sollten Omikron nicht unterschätzen. Ein milder Verlauf ist vielfach harmlos, aber eben nicht immer. (Christian Wolf, 17.1.2022)