Die Leica Camera AG, einst bekannt als Ernst Leitz Wetzlar GmbH, gilt als Erfinder der Kleinbildkamera.

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Im gehobenen Preissegment der Fotografie sind bestimmte Funktionen mittlerweile selbstverständlich. Einen blitzschnellen Autofokus, internen Bildstabilisator und die Möglichkeit hochauflösender Videoaufnahmen will niemand mehr missen – sollte man zumindest meinen. Ein kleiner Hersteller mit Sitz im deutschen Wetzlar setzt sich nämlich gegen diese Annahme zur Wehr. Die Rede ist von Leica, einem Traditionsunternehmen, das mit der Ur-Leica einst die Kleinbildkamera erfunden hat und heute mit seinen luxuriösen Messsucherkameras gegen den Strom schwimmt.

Statt "Features, Features, Features" lautet hier die Devise: "Konzentration auf das Wesentliche"; wohlgemerkt bei satten Preisen, die sich ein Großteil aller Fotografieenthusiasten kaum leisten kann. Die Flaggschiffkamera des Herstellers, die Leica M, muss manuell fokussiert werden, bietet keinen elektronischen Sucher, keinen Bildstabilisator und kostet im Fall der im Jänner vorgestellten M11 stolze 8.350 Euro. Dennoch strahlen die Kameras eine starke Anziehung aus und erfreuen sich einer treuen und sogar anwachsenden Fanbasis.

Digitalisierung verschlafen

Das war aber nicht immer der Fall. Ganz im Gegenteil, Leica stand Anfang der 2000er-Jahre kurz vor dem Aus, weil man dort die Digitalisierung verschlafen hatte. 2006 und 2009 lieferte der Hersteller dann die ersten digitalen Modelle, die trotz schwerwiegender technischer Mängel den Anfang einer digitalen Neuausrichtung markierten.

Inzwischen hat es Leica geschafft, die eigene Vergangenheit und historische Relevanz erfolgreich zu vermarkten, sodass gestrichene Features und die minimalistische Ausstattung für viele sogar zum entscheidenden Kauffaktor geworden sind. Immer wieder hört man von Fans, dass man dem Motiv "näher" sei, wenn man eine Leica nutze; dass die Handhabung puristischer sei, das Foto wertvoller, als wenn man mit Modellen anderer Marken fotografiere.

Mitunter mag das daran liegen, dass viele historisch wichtige Momente mit einer Leica festgehalten wurden. Sie war das Werkzeug ikonischer Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Fred Herzog und des Kriegsfotografen Robert Capa, der während des Zweiten Weltkriegs unter anderem die Landung der Alliierten in der Normandie begleitete.

Gemeinsam mit Cartier-Bresson und weiteren drei Fotografen gründete er 1947 außerdem die weltberühmte Fotoagentur Magnum. Eine M in die Hand zu nehmen, ohne sich an die legendäre Vergangenheit des Herstellers zu erinnern, ist daher fast unmöglich. Zudem schwebt eine verlockende Hoffnung im Raum, dass man irgendwann in denselben Hallen hängen könnte wie Cartier-Bresson.

Legenden und Konkurrenz

Leica hat es perfektioniert, diese emotionale Ebene anzusprechen. So wurde die M11 im Jänner sogar als "Legende" angekündigt, obwohl sie im Vergleich zu anderen Herstellern keine technische Revolution oder gar Weiterentwicklung mit sich bringt. Rationale Gründe dafür zu finden, auch 2022 noch eine Messsucherkamera zu nutzen, ist also gar nicht so einfach. Vor allem im professionellen Kontext, da sie der Konkurrenz wegen des beschränkten Funktionsumfangs drei Schritte hinterherhinkt. Immerhin könnte man statt einer M11 fast vier Exemplare der Sony A7 IV kaufen, mit der man sogar professionelle Filme drehen kann.

Aber darum geht es Leica-Nutzern vermutlich gar nicht. Stattdessen sind sie bewusst auf der Suche nach Reduktion und Entschleunigung. Bis heute nutzen deshalb auch professionelle Fotografen – vor allem aus dem Genre der Street-Fotografie – eine Leica.

Einer von ihnen ist der Brite Alan Schaller, der für seine Arbeiten ganz bewusst eine M-Kamera mit monochromem Sensor nutzt, also exklusiv Schwarz-Weiß fotografiert. Die technische Begrenzung würde ihm kreative Freiheit verschaffen, heißt es in einem Beitrag des Herstellers über Schaller.

Lifestyle oder Historie

Persönlichkeiten wie Schaller dürften für Leica essenziell wichtig sein, da diese die eigenen Kameras über soziale Medien wie Instagram hunderttausenden Menschen schmackhaft machen. Auch der jüngste Hype rund um analoge Fotografie hat dem deutschen Hersteller in die Hände gespielt. Erstens, weil Leica als einziges Unternehmen noch immer hochwertige analoge Kameras produziert. Zweitens, weil ältere Modelle dank der zunehmenden öffentlichen Wahrnehmung immer begehrter werden. Für Sammler gelten seltene Geräte als Wertanlage.

Der einst legendäre Hersteller setzt also bis heute auf seine glorreiche Vergangenheit und vermittelt seinen Kunden, mit einer Leica M ein Stück Fotografiegeschichte zu erwerben. Dass es sich bei der M-Serie um hochwertige Geräte handelt, mit denen Fotografen bis heute beeindruckende Bilder produzieren, steht außer Frage. Dem gegenüber stehen allerdings astronomische Preise, welche die Kameras zusehends zu einem Lifestyleprodukt für die Oberschicht machen. (Mickey Manakas, 18.1.2022)