Kennen Sie den? Eine Wiener Wrestlerin geht in Tokio in eine Bar und bestellt ein Bier. Ein anderer Gast spricht sie an: "Was machst du denn hier?" Was wie ein Schenkelklopfer beginnt, ist für Thekla Kaischauri Alltag: "Es passiert mir ständig." Die 28-Jährige ist die Wrestlerin – in Japan. Ihr Ringname "Thekla" deckt sich mit ihrem Vornamen, den Spitznamen "Toxic Spider" verdankt sie der Bösartigkeit mancher Kinder und Biene Maja: "Wenn ich mich früher mit Thekla vorgestellt habe, sagten die Kinder entweder: ‚Wer heißt denn so?‘ Oder: ‚Ah, wie die Spinne in Biene Maja?‘" Ihr Kampfstil habe außerdem etwas Spinnenartiges: "Ich bin schnell, sehr beweglich und verbeiße mich gerne." Noch eine Überschneidung mit Thekla, der Kreuzspinne aus Biene Maja, gibt es: In ihrer Kindheit hat sie Geige gespielt.

Thekla Kaischauri hat ihre Gegnerin im Griff.
Foto: Stardom

Kaischauris Lebensgeschichte liest sich, als würde man Jugendträume aus einem Stammbuch ausschneiden, in eine Kiste werfen, sie schütteln und sich einen Lebenslauf zusammenbasteln. Schon vor ihrem Abschluss an der Universität für angewandte Kunst zeichnete sie Comics, gestaltete Plattencover, entwarf T-Shirts, spielte in der laut ihr "gefährlichsten Punkband Wiens", den Death Row Groupies, machte in ihrer Jugend Ballett und den Kampfsport Wing Chun, bis sie zum Underground-Wrestling in einem Wiener Gürtellokal fand. Heute sitzt sie in ihrer Wohnung in Tokio und erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass sie in Japan lebt und mit professionellem Wrestling ihr Geld verdient: "Seit dem Video geht es richtig ab. Die Social-Media-Kanäle explodierten."

Das Video: Im Jänner dieses Jahres tauchte im Internet plötzlich ein Video aus der japanischen Frauen-Wrestling-Liga auf. Tam Nakano läuft an, will ihre Gegnerin mit ausgestrecktem Arm zu Boden werfen. Aber Toxic Spider taucht ab, geht in die Brücke. Der Oberkörper ist in der Luft, die Wrestlerin bewegt sich umgedreht auf allen vieren weg, steht gekonnt auf und wirft sich mit Anlauf in ihre Kontrahentin. Applaus, bitte. "Diesen Move habe ich seit meinem ersten Match 2017 im Weberknecht in meinem Repertoire. Er scheint den Leuten zu gefallen – besonders den Amerikanern", erzählt Kaischauri.

Dem Kater zum Trotz

Zum Wrestling fand die Wienerin durch Zufall: "Mit 18 oder 19 sind eine Freundin und ich bei einer Wrestling-Show in der Wiener Arena gelandet, und wir waren sofort Feuer und Flamme", erinnert sie sich. "Beim Ausgehen wollten in meinem Freundeskreis dann alle Wrestler werden, wir schmiedeten Pläne, um dann am nächsten Tag verkatert zu sagen: ‚Na, fix nicht.‘" Sie selbst sei dann doch einmal zu einem Training gegangen. Wenn Kaischauri von ihrem Leben, von ihren Anfängen in der wilden Welt des Wiener Underground-Wrestlings erzählt, schweift sie gerne aus, geht ins Detail, ohne sich in belanglosem Tratsch zu verlieren. Das Training sei hart gewesen: "Gerade am Anfang denkt man, dass man coole Moves lernt oder wie man einen Charakter spielt."

Die Realität waren Kraft- und Cardio-Übungen: Liegestütze, Laufen, Sit-ups – also Schmerzen. Nach der Körperarbeit folgten dann Techniken und ein paar erfolgreiche Auftritte später eine Einladung nach Japan, in die dortige Undergroundszene.

Wrestling fremdelt in Europa eher. Es ist eine Mischung aus Sport und Entertainment, Show und atemberaubender Athletik. Der Wettkampfcharakter ist nicht unmittelbar an Resultaten messbar. Abgesprochenes Theater, Klamauk, Zirkus – es sind (Vor)urteile, die gerne kommen.

Kaischauri sieht das entspannt: "Ich verstehe die Kritik und dieses Verlangen nach echtem sportlichem Wettkampf. Aber die meisten, die so urteilen, waren noch nie bei einer Show. Es ist eine ganz besondere Aufgeregtheit." Früher habe sie Wrestling noch öfters verteidigt: "Ich finde es cool, und ich freue mich, wenn Menschen es cool finden. Und wenn sie es nicht cool finden, ist es mir auch wurscht."

Mehr Kampfgeist, weniger Show

In Japan ist Wrestling, wie auch in den USA und Mexiko, eine große Nummer. Hier heißt es Puroresu. Größter Wegbereiter war in den 1950er-Jahren der ehemalige Sumoringer Rikidozan, der in Anlehnung an das US-amerikanische Vorbild Wrestling in Japan etablierte. Der Fokus liegt auf dem Athletischen, weniger auf der aufgeblasenen Show. Tōkon, Kampfgeist, ist eine wichtige Komponente. Die größte Liga für Frauen-Wrestling heißt Stardom, seit kurzem ist Kaischauri Teil davon. Finanziell geht es "mittlerweile ganz gut." Auch das Publikum war anfangs eine Herausforderung: "Das Underground-Wrestling in Wien ist richtig wild, alle sind außer Rand und Band." Es gebe kreative Beschimpfungen und Anfeuerungen. Die Japaner seien nicht so: "Sie schreien nicht, sie saufen auch nicht so viel. Wenn ihnen etwas gefällt, kommt ein Uh oder ein Ah." Während der Pandemie durften sie nur mehr stampfen und klatschen. "Dann ist es sehr still, und man denkt sich: ‚Sind die alle tot, oder bin ich so schlecht?‘"

Man mag es spektakulär.
Foto: Stardom

Wenn Kaischauri eine Taste auf der Fernbedienung wäre, wäre sie wohl der Knopf zum Vorspulen. Man bekommt das Gefühl, die 28-Jährige sei immer auf dem Weg nach vorne, in der Spur. Und trotzdem: "Zu Beginn hatte ich immer wieder Zweifel." In der ersten Zeit in Japan wohnte sie in einem Dojo, einer Trainingshalle, am Stadtrand von Tokio. Immerhin gratis: "Es war eine schwierige Zeit, ich musste klarkommen mit mir und dem relativ einsamen Leben im Dojo. Ich habe mich öfters gefragt, ob es die richtige Entscheidung war." Wenn etwas passiert, könne sie mit den Einheimischen nicht richtig sprechen. "Es fühlt sich auch niemand so richtig verantwortlich für mich." Das Problem mit der Kommunikation hat sie selbst gelöst, nach nur einem Jahr in Japan hält sie bereits Pressekonferenzen auf Japanisch ab.

Stunt mit dem Alter

Vorspulen: Kaischauri erzählt, wie sie in Bars andere ihren Beruf raten lässt. Oder wie ihr Spaß am Körperkult im Wrestling immer größer wurde. Oder dass sie offiziell vielleicht ein bisschen mit ihrem Alter tricksen muss. Frauen-Wrestling ist in Japan eng mit der Idol Culture verbunden: "Wenn man zu alt ist, finden sie das ganz furchtbar. Es ist eine eigenartige und auch unangenehme Seite der japanischen Kultur. Vielleicht lasse ich dieses Jahr mein Alter raus. Nächstes Jahr bin ich dann ein bisschen älter oder ein bisschen jünger. Ich will Chaos in die Sache bringen."

Laut Kaischauri finden die Matches der Stardom-Liga vor rund 1000 Zusehern statt. Manchmal ist es eine große Halle, manchmal ein Hotel. Überall in Japan. Highlight ist die jährliche Veranstaltung im Tokyo Dome. 55.000 haben Platz. Das ist das Ziel für Kaischauri, Toxic Spider. Immer vorspulen. (Andreas Hagenauer, 19.1.2022)