Vor ihrer Reise nach Moskau besuchte Annalena Baerbock am Montag den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba.

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Die deutsche Wiedervereinigung vor mehr als 30 Jahren unter aktiver Beihilfe der Sowjetunion schien ein versöhnlicher Schlusspunkt nach einem Katastrophenjahrhundert der deutsch-russischen Beziehungen zu sein. Der Strickjackendiplomatie folgte die Saunafreundschaft. Als Wladimir Putin, "der Deutsche im Kreml", die Macht in Russland übernahm, waren die Erwartungen hoch. Doch das Verhältnis kühlte ab. Von einer strategischen Partnerschaft ist längst nichts mehr zu spüren beim Antrittsbesuch der deutschen Außenministerin am Dienstag.

Frage: Warum flog Annalena Baerbock zuerst nach Kiew?

Antwort: Hauptthema der Gespräche sowohl in Moskau als auch in Kiew sind die aktuellen Spannungen rund um die Ukraine. "Wir führen keine Gespräche über die Ukraine an der Ukraine vorbei", begründete Baerbock schon im Vorfeld die Routenplanung. Zudem gibt es Pläne, die Ukraine mit deutscher Hilfe zum Lieferanten grünen Wasserstoffs aufzubauen – ein Kernthema für die Grünen-Politikerin.

Frage: Welche Termine hat Baerbock in Moskau?

Antwort: Offiziell bekannt ist, dass sie die im Rahmen des Deutschlandjahrs laufende Ausstellung Diversity United in der Neuen Tretjakow-Galerie besucht und auch einen Kranz auf dem Grab des Unbekannten Soldaten niederlegt, bevor sie sich mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow trifft.

Frage: Warum bekommt sie keinen Termin bei Putin?

Antwort: Laut Protokoll wird eine Ministerin von einem Minister empfangen. In der Vergangenheit hatte Putin aber auch deutsche Außenminister wie Frank-Walter Steinmeier oder Sigmar Gabriel empfangen. Die beiden SPD-Politiker galten jedoch als deutlich russlandfreundlicher als Baerbock, die schon bisher mit scharfer Kreml-Kritik aufgefallen ist.

Frage: Welche Erwartungen hat Moskau an die deutsche Regierung?

Antwort: Moskau hofft darauf, dass die Beziehungen sich zumindest nicht weiter verschlechtern. Der Kreml setzt dabei darauf, dass die Außenpolitik in Deutschland von Kanzler Olaf Scholz (SPD) gestaltet wird. Die russische Führung sieht dabei die Bruchlinien in der Koalition sehr genau. Die FDP und vor allem die Grünen mit ihrer Betonung der Menschenrechte gelten in Moskau als Hardliner, während die SPD mit der Tradition der neuen Ostpolitik von Willy Brand und Egon Bahr als angenehmerer Verhandlungspartner empfunden wird. Und Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist als Rosneft- und Nordstream-Aufsichtsrat der beliebteste Deutsche im Kreml.

Frage: Welche Erwartungen hat Moskau bezüglich Nord Stream 2?

Antwort: Russland setzt auf die Inbetriebnahme der Pipeline. Dies sei auch im deutschen Interesse, argumentiert der Kreml. Die Regierungsbeteiligung der Grünen und die Verzögerungen bei der Zertifizierung der Pipeline haben diesbezüglich aber die Skepsis erhöht.

Frage: Warum ist speziell zu den Grünen das Verhältnis gespannt?

Antwort: Hier gibt es grundsätzliche ideologische Widersprüche. Das betrifft sowohl die Umwelt- und Klimapolitik, bei der Russland beispielsweise auf Atomenergie setzt, als auch das Thema Menschenrechte. Zuletzt wurde in Moskau die NGO Memorial geschlossen, deren enger Partner die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung war.

Frage: Hat denn nur der Regierungswechsel die Beziehungen belastet?

Antwort: Nein, das Verhältnis ist bereits unter der deutschen Kanzlerin Angela Merkel sukzessive schlechter geworden, dramatisch seit Beginn der Ukraine-Krise 2014. Dazu kamen zunehmend bilaterale Verstimmungen. Neben dem Hackerangriff auf den Bundestag haben vor allem die Nawalny-Affäre und der Tiergartenmord die Atmosphäre zwischen beiden Staaten vergiftet.

Die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten hat eine gefährliche Regularität gewonnen. Auch die Rhetorik hat sich auf beiden Seiten verhärtet – bis hin zu persönlichen verbalen Attacken. (André Ballin aus Moskau, 17.1.2022)