Für den vor einer Woche verstorbenen EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli gab es bereits am Freitag einen Staatsakt in Rom, das Plenum des Parlaments ehrte ihn Montagabend in Straßburg.

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Frau Präsidentin: die Juristin Roberta Metsola aus Malta.

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Alles neu macht in einigen EU-Institutionen nicht der Mai, sondern der Jänner. Das gilt nicht nur im Europäischen Parlament, wo am Dienstag eine neue Präsidentin, 14 Vizepräsidenten und die fünf Quästoren (Verwalter) des Präsidiums gewählt werden.

Ungewöhnlich viele neue Gesichter gibt es auch, wenn die 27 EU-Finanzminister in Brüssel zusammentreten, um den Wiederaufbau nach der Eurokrise zu bereden. Nicht weniger als acht neue Minister werden am Tisch Platz nehmen, das gab es noch nie. Der Wechsel ist in diesem Fall die Folge von Regierungskrisen als Folge der Pandemie, teils von Neuwahlen. Mit Spannung wird erwartet, was das für die Europolitik und die vor allem von den südlichen Ländern geforderte Aufweichung des Stabilitätspakts und dessen Sparvorgaben bedeutet.

Denn die traditionell frugalen Länder sind neu aufgestellt: Aus Österreich kommt Magnus Brunner statt Gernot Blümel. Aus den Niederlanden reist Siegrid Kaag an. Deutschland wird bei den Finanzministern erstmals von FDP-Chef und Vizekanzler Christian Lindner vertreten. Da er einen sozialdemokratischen Kanzler, Olaf Scholz, hat, der die große fiskal- und wirtschaftspolitische Linie vorgibt, sehen Experten Anzeichen für eine "weichere Linie" auch auf EU-Ebene. Laut Lindner wird sich an der Fiskalpolitik der Währungsunion "im Prinzip" nichts ändern.

EVP-Kandidatin

Nicht so konkret, aber voller Symbolkraft könnten hingegen die personellen Änderungen an der Spitze des EU-Parlaments sein. Gemäß den Vorabsprachen zwischen den wichtigsten Fraktionen zeichnete sich schon im Vorfeld klar ab, dass die aus Malta stammende Konservative Roberta Metsola von der Europäischen Volkspartei (EVP) mit großer Mehrheit gewählt wird. Dienstagmittag wurde sie im ersten Wahlgang gewählt.

Ihre Wahl war von besonders tragischen Umständen überschattet. Vor einer Woche war der seit 2019 amtierende David Sassoli, ein Sozialdemokrat von der S&D-Fraktion, völlig überraschend gestorben. Anstatt in einem großkoalitionären Aufbruch mit einem Bekenntnis zu einem gestärkten gemeinsamen Europa einen geordneten Wechsel vorzunehmen, wie das die beiden größten Gruppen im Parlament in Abstimmung mit den Liberalen und den Grünen geplant hatten, musste die Plenarsitzung Montagabend mit einem Trauerakt beginnen.

Reden zu Sassolis Ehren

Erstmals starb ein Parlamentspräsident im Amt. Sassoli, ein früherer TV-Starjournalist, war über die Fraktionsgrenzen hinweg sehr beliebt. Er galt trotz seiner strikten politischen Haltung vor allem in Grundrechtsfragen als Garant des Zusammenhalts. Sassoli war auch eine ideale Person, um die vom Europaparlament traditionell besonders engagierte Politik zugunsten politisch Verfolgter und des Eintretens für Menschenrechte und humanitäre Politik zu vertreten.

Zu seinen Ehren sollten daher Montagabend nicht nur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Ständige Ratspräsident Charles Michel, sondern auch der französische Präsident Emmanuel Macron, dessen Land gerade den EU-Vorsitz führt, Reden halten. Die Traueransprache hielt Sassolis Weggefährte Enrico Letta.

Weber will Chef werden

Metsola hatte unmittelbar nach Sassolis Tod geschäftsführend dessen Platz eingenommen. Sie war bereits Vizepräsidentin, eine von 14 (darunter der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas). Ihre Wahl wurde vor allem von EVP-Fraktionschef Manfred Weber vorangetrieben, obwohl er selbst gemäß einem Fraktionsabkommen mit den Sozialdemokraten zur Halbzeit ins höchste Amt hätte aufrücken sollen. Weber strebt jedoch an, Chef der Europäischen Volkspartei zu werden, des Dachverbands aller Christdemokraten in Europa – nach dem Polen Donald Tusk, der in die Wahl in Polen einsteigen will.

Metsola wird die dritte Frau sein, die ins Präsidentenbüro einzieht. Sie hat Rechtswissenschaften studiert, wird am Wahltag 43 Jahre alt, ist mit einem Finnen verheiratet und hat vier Kinder. Die erste Präsidentin in Straßburg gleich nach der Einführung der Direktwahl der Abgeordneten war die Französin Simone Veil, eine Holocaustüberlebende. Ende der 1990er-Jahre kam Nicole Fontaine, eine französische Konservative, zum Zug. Sonst war die Spitze stets männlich besetzt. Mit der Maltesin wird nun weiter ein Trend zu mehr Frauen in EU-Spitzenämtern bestärkt.

Chancen für Regner

Das zeigt sich auch auf Ebene der 14 Vizepräsidenten. Ihre Hauptfunktion ist die Leitung der Plenarsitzungen. In einem großen "Personalpaket" werden diese Posten und auch die von hohen EU-Beamten und Ausschussvorsitzenden je nach Stärke der Parteien und Stärke der Herkunftsländer im Proporz verteilt.

Österreich könnte diesmal gleich zwei Vizepräsidentenposten bekommen. Zum einen hat sich Evelyn Regner (SPÖ), seit 2009 Europaabgeordnete, beworben und wurde von ihrer S&D-Fraktion auf Platz fünf gereiht. Sie hat also gute Chancen auf eine ausreichende Mehrheit an Abgeordnetenstimmen. Meist sind aber mehrere Wahlgänge erforderlich.

Karas wurde von der EVP erneut als einer von drei der Fraktion zustehenden Vizepräsidenten nominiert. Er hat dann gute Chancen, wenn ein Kandidat der extrem rechten Fraktion Identität und Demokratie (in der die FPÖ vertreten ist) weniger Stimmen bekommt, was in der Regel der Fall ist, weil die proeuropäischen Fraktionen der ID-Gruppe jede Zusammenarbeit verweigern. (Thomas Mayer, 18.1.2022)