Jules Massenets "Werther" an der Wiener Staatsoper mit vokaler Exzellenz, schauspielerisch war es hingegen bloß mittelprächtig.

Foto: Staatsoper

Man kann Kunst als existenzielles Reflexionsmittel verstehen, das zu drängenden Lebensproblemen Fragen und Antworten präsentiert, oder als vergnügliche Unterhaltung. Manchmal gelingt auch beides zugleich. Wenn die Wiener Staatsoper nun wieder eine Serie von Jules Massenets "Werther" präsentiert, gehört das allerdings eher in die zweite Kategorie – vor allem auch in der ästhetizistischen Lesart von Regisseur Andrei Șerban, die seit 2005 rund um einen jahreszeitlich wechselnd geschmückten Riesenbaum (und ansonsten in den 1950er-Jahren) spielt.

Immerhin wurden gleich vier Rollendebüts aufgeboten, wobei der Fokus der Aufmerksamkeit selbstredend auf Juan Diego Flórez in der Titelpartie lag. Er lieferte in Perfektion, was man von ihm kennt: makellosen Belcanto, vollendete Legato-Phrasen, strahlende (wenn auch im Volumen etwas begrenzte) Höhen. Viel besser kann man das wohl wirklich nicht singen, überzeugender spielen ginge allerdings durchaus: Verzweiflung sieht bei Flórez nicht wesentlich anders aus als ein Freudentaumel ... Schade.

Voluminös

Auch rund um ihn firmiert ein Ensemble, das von einem Fest der Stimmen sprechen ließe: Clémentine Margaine gibt die Charlotte mit voluminösem, dunklem, sehr persönlich gefärbtem Timbre, Étienne Dupuis den hölzernen Gatten Albert sonor, nobel. Stimmlich und darstellerisch ist die Sophie von Slávka Zámečníková der energetische Mittelpunkt: Sie singt glasklar hell, mit fast instrumentaler Leichtigkeit – und weiß mit ihrer Rolle als Einzige auch szenisch etwas anzufangen, das schauspielerisch von Belang ist.

Orchester? Herrlich satt tönt es unter der Leitung von Giacomo Sagripanti aus dem Graben: eine Reihung angenehmer Klangmomente, immer schön und ein bisschen unverbindlich, eben unterhaltsam. (Daniel Ender, 17.1.2022)