Bild nicht mehr verfügbar.

Eine feste Beziehung erproben: am besten zuerst mit der Zimmerpflanze.

Foto: Getty Images / visualspace

Wer weiß, was die Liebe morgen bringt? Viele Großstadtmenschen befinden sich im permanenten Schwebezustand erwarteter Gefühlstransformationen. Man ist nach allen Seiten offen – deshalb möchte man sich lieber nicht an eine Katze oder einen Philodendron binden. Auch ich dachte bis vor kurzem: Eine der schlimmsten Aufgaben wäre, mich langfristig um ein Haustier oder eine Topfpflanze kümmern zu müssen. Doch es kam anders.

Hallo Drachenbaum

Alles begann in einer dieser trendigen Einkaufsstraßen: Wien-Neubau bei prallem Sonnenschein. Mein Freund, der Fotograf, und ich saßen im Freien, auf einer "Lounge-Insel" aus Beton, und aßen eine Pizzaschnitte. Vor uns ein Geschäft, Auslagenscheiben über zwei Stockwerke. Dahinter hunderte Grünpflanzen in Tontöpfen, in allen Größen.

Erstaunliches spielte sich vor dem Eingang ab: eine lange Schlange von wollmützentragenden Boys und Girls, die geduldig warteten. Der Bezahlvorgang war im Vorfeld mittels App erledigt worden, und so ging alles schnell: Junge Verkäufer im Wes-Anderson-Look übergaben am laufenden Band die in Packpapier gewickelten Drachenbäume und Schwertfarne an ihre neuen Besitzer. Glücklich nahmen diese ihre Pflanze wie ein Neugeborenes in den Arm.

"Was kann dieses Grünzeug? Was haben wir da nicht verstanden?", sagte ich zu meinem Freund. – "Keine Ahnung. Für mich sieht das wie die Staubfänger auf den Fensterbrettern von Tante Anneliese aus." – In seiner Zigarettenpause fragten wir einen Mitarbeiter.

Ja, sagte der, die Gewächse seien tatsächlich dieselben, die man auch im Baumarkt kaufen könne. Nur bei ihnen, da bekämen all die Menschen, die in kleinen WG-Zimmern lebten oder durch Corona vereinsamt seien, die richtige Story dazu. Zurück zur Natur und in Kontakt treten – die schöne Grafik rund um Firmenpräsenz und Social Media transportiere dieses Lebensgefühl.

Stressfaktor

Meine weitere Recherche ergab: Die stummen Partner liegen im Trend. Vor kurzem wurde die Umweltpsychologin Claudia Menzel in der FAZ gefragt: "Wie gelingt ein gutes Zusammenleben von Mensch und Topfpflanze?" Auch auf Youtube und Instagram häufen sich Tutorials.

Ob es wirklich nur nett gemeint war, dass mich mein Freund, der Fotograf, nach unserem Erlebnis mit einer Grünlilie überraschte? Die neue Mitbewohnerin entpuppt sich nämlich als Stressfaktor: Spricht sie auf meine Pflege an, bin ich in einer festen Beziehung mit einem Spargelgewächs. Überlebt sie nicht, werde ich m ich wie Nikita, die gefühlskalte Killerin, fühlen. (Ela Angerer, RONDO, 29.1.2022)