Prothesen sind in Medizin und Orthopädie vielfach unabdingbar. Ihre individuelle Anpassung wird nun erforscht.

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Medizinische Produkte wie Prothesen oder Orthesen – Letztere werden etwa zur Unterstützung bei der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten eingesetzt – ermöglichen vielen Menschen die Rückkehr in ein weitgehend normales Leben.

An der Fachhochschule Kärnten arbeitet ein sechsköpfiges Forschungsteam an neuen Methoden zur Herstellung dieser Hilfsmittel mittels 3D-Drucks. "Obwohl der 3D-Druck als Technologie schon lange bekannt ist, ist sein Einsatz in der Fertigung von marktreifen Produkten noch relativ jung", sagt Lisa-Marie Faller, Professorin für Robotik und additive Fertigung an der FH Kärnten und Leiterin des Projekts iLEAD. "In der Orthopädietechnik stehen wir noch ganz am Anfang."

Individuell angepasst

Orthopädische Produkte werden herkömmlich mittels Gusses oder zerspanender Verfahren wie Fräsen, Drehen oder Bohren hergestellt. Das ist oft zeit- und kostenintensiv, verursacht Abfall und lässt sich nur eingeschränkt an die individuellen Anforderungen einzelner Patienten anpassen.

Allesamt Mängel, die der 3D-Druck hinter sich lässt, betont die Forscherin. Dementsprechend groß sei das Interesse von Unternehmen aus der Orthopädietechnik. 3D-Druck ist der Überbegriff für ein Ensemble an Verfahren, die Objekte schichtweise aufbauen. Ausgangspunkt ist meist ein Pulver aus Metall oder Kunststoffgranulat, das von einem Laser aufgeschmolzen, anschließend an exakt definierten Stellen aufgetragen wird und sehr schnell aushärtet.

Schicht für Schicht

Auf diese Weise lassen sich vertikal Schicht für Schicht dreidimensionale Objekte nahezu beliebig komplexer Geometrie aufbauen. Das ist gerade in der Orthopädietechnik von Vorteil, wo Prothesen oder Orthesen möglichst individuell an den Körper des Patienten angepasst werden müssen. Dabei fällt so gut wie kein Verschnitt an. Übrig gebliebenes Pulver kann meist wiederverwendet werden.

Ein weiterer Vorteil: "Mit 3D-Druck kann man schnell Kleinserien fertigen", sagt Faller. "Man braucht keine teuren Werkzeuge wie beim Guss. Idealerweise kann man vom Entwurf bis zum Produkt alles im eigenen Haus machen und ist so weitgehend unabhängig von Lieferanten."

Insgesamt stehen den Forschern im Rahmen des Projektes iLEAD ein Budget von 1,26 Millionen Euro während einer Laufzeit von fünf Jahren zur Verfügung. Gefördert wird das Forschungsprojekt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG.

Im Projekt iLEAD kommt hauptsächlich das Verfahren Fused Deposition Modeling zum Einsatz, das mit thermoplastischen Polymeren und Elastomeren arbeitet. Ein Forschungsschwerpunkt der Kärntner widmet sich dem Leichtbau.

Robustes Leichtgewicht

"Die Produkte müssen möglichst fest sein, um den Belastungen beim Gebrauch standzuhalten, aber gleichzeitig leicht, damit die Nutzer sie nicht als unangenehm empfinden", sagt Faller. Dafür werden einerseits effiziente Gitterstrukturen erprobt und andererseits der Einsatz von Verbundwerkstoffen, die durch Endlosfasern verstärkt sind.

Die besondere Anforderung hierbei ist es, die Fasern in der jeweiligen Belastungsrichtung der Prothese oder Orthese einzubringen. "Das mittels 3D-Drucks zu bewerkstelligen ist alles andere als trivial", erklärt die Projektleiterin. Mit herkömmlichen 3D-Druckern ist das nicht machbar.

Der Druckkopf kann sich dabei nur entlang der drei Längsachsen bewegen. Die Wissenschafter arbeiten deshalb mit einem Fünf-Achs-Drucker, der zum Aufbringen des Materials zusätzlich zwei rotatorische Freiheitsgrade besitzt. Künftig wollen sie darüber hinaus auch mit Sechs-Achs-Industrierobotern experimentieren.

Verschiedene Materialien

Ein weiterer Projektfokus liegt auf der parallelen Verarbeitung verschiedener Materialien in einem Prozessschritt. So bestehen beispielsweise Beinprothesen außen aus einem festen Schaft und innen aus einem sogenannten Silikonliner. Dabei handelt es sich um eine Art Strumpf, der über den Beinstumpf gezogen wird.

Die Aufgabe dieses Liners besteht darin, Druckstellen zu vermeiden, die Haut zu schonen und für eine stabile Verbindung zwischen Stumpf und Prothese zu sorgen. Silikonliner gibt es in zahlreichen Varianten. "Unsere Idee ist es, die Herstellung des Schaftes mit der Herstellung des Silikonliners in genau der geforderten Festigkeit und Form an den jeweils definierten Stellen in einem Prozess zu kombinieren", sagt Faller.

Zusätzlich wollen die Forschenden künftig Sensoren in die Prothese integrieren, um etwa Druckstellen zu überwachen oder einwirkende Kräfte zu messen. Ein Fernziel, das allerdings über den Rahmen des aktuellen Projekts hinausgeht, ist, die Sensoren mit intelligenten Materialien zu kombinieren. Diese sollen sich dann selbstständig an den Stumpf anpassen.

Mechanische Stütze

Ein ganz konkretes Projektziel hingegen ist der Bau eines Hand-Exoskeletts mit aktiver motorischer Unterstützung. Diese medizinischen Hilfsmittel, bei denen es sich oft um robotergestützte Apparaturen handelt, werden am Körper getragen und unterstützen beziehungsweise verstärken die Bewegungen der Träger.

Das von den Kärntner Forschenden angedachte Hand-Exoskelett könnte zum Beispiel Patienten, die nach einem Schlaganfall an Spasmen leiden, dabei helfen, die Finger zu bewegen. Eine andere Möglichkeit der Anwendung ergibt sich für Patienten, die nach Sehnenoperationen die Muskulatur ihrer Finger trainieren sollen.

Die Betroffenen müssen hierbei versuchen, die Finger gegen den Widerstand des Gerätes zu schließen oder zu öffnen. (Raimund Lang, 24.1.2022)