Vier fundamentale Kräfte bewegen die Welt: Gravitation, Elektromagnetismus, schwache Wechselwirkung und starke Wechselwirkung. Das moderne Standardmodell der Elementarteilchenphysik konnte bereits die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen, aber vor allem die Integration der Gravitation in dieses Modell bereitet Probleme. Vom "heiligen Gral" der Physik, der theoretischen Vereinigung aller dieser Grundkräfte mit der Quantentheorie, ist man daher noch ein ganzes Stück entfernt.

Ein neuer Weg öffnet sich

Nun aber haben Quantenphysikerinnen und Quantenphysiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien und der Stanford University in Kalifornien einen Pfad entdeckt, der eines Tages zu einer möglichen Quantentheorie der Gravitation führen könnte. Den Wissenschaftern ist im Experiment der Nachweis gelungen, dass makroskopische Quantensysteme sich in Gravitationsfeldern anders verhalten als ihre klassischen Geschwister.

Ein Atom im Überlagerungszustand, das sich nah und zugleich entfernt von einem Wolframring befindet.
Illustr.: Peter Asenbaum/ÖAW

Die Gravitation gilt unter den vier Grundkräften der Physik als Ausreißer, weil sie den Regeln der Relativitätstheorie gehorcht und bisher nicht als Quantenfeldtheorie formuliert werden kann. "Wie eine Quantentheorie der Gravitation auszusehen hat, ist derzeit noch unklar", sagt Peter Asenbaum vom Wiener Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Quantensystem im Gravitationsfeld

Das könnte sich aber bald ändern: Technische Fortschritte in der Quantenphysik machen es seit kurzem möglich, Quantensysteme unter dem Einfluss von Gravitationsfeldern experimentell zu untersuchen. Das Team um Asenbaum hat dazu ein Laborexperiment aufgebaut, bei dem ein großes Quantensystem in die Nähe eines massiven Objekts aus Wolfram gebracht wird. Das System besteht dabei aus einem einzelnen Atom, das sich in einem Überlagerungszustand von zwei Aufenthaltsorten befindet.

In der Quantenwelt sind Positionen nie genau bestimmt, die Wahrscheinlichkeiten, dass sich ein Atom an einem bestimmten Punkt befindet, lassen sich aber aus der Schrödinger-Gleichung ableiten, die eine Welle beschreibt. Mithilfe von gezielten Laserpulsen lässt sich diese Wellenfunktion in zwei Teile zerteilen und strecken, wodurch der Abstand zwischen den möglichen Aufenthaltsorten des Atoms wächst.

Extrem "unscharfes" Atom

Für die aktuelle Publikation im Fachjournal "Science" haben die Physiker den Abstand zwischen den zwei möglichen Positionen des Atoms auf 25 Zentimeter ausgedehnt. Dieses "unscharfe" Atom haben sie dann im Experiment an einem Stück Wolfram mit etwa einem Kilogramm Masse vorbeifliegen lassen. Durch die große Ausdehnung dieses Quantensystems "spürt" das Atom die Masse des Wolframs nur an einer der zwei Positionen.

Bei dem Experiment konnten die Forschenden nachweisen, dass die Quanteneigenschaften und die Gravitation sich im untersuchten Bereich nicht in die Quere kommen. "Wir haben gezeigt, dass die Gravitationsinteraktion großer Quantensysteme klassisch nicht erklärbar ist", sagt Asenbaum. Im Experiment kann die Gravitationsbeschleunigung mit einem klassischen Teilchen bestimmt werden. Wird stattdessen aber das unscharfe Quantenatom ins Experiment eingebracht, ist das nicht mehr möglich.

"Im Quantensystem können wir nur die Gravitationsenergie zwischen Atom und Wolframmasse messen, die Gravitationsbeschleunigung bleibt verborgen. Durch wiederholtes Manipulieren des Atoms mit Laserpulsen entsteht ein Interferogramm, aus welchem der Phasenunterschied der zwei Teile der Wellenfunkton bestimmt wird", sagt Asenbaum. Der Unterschied wirkt subtil, ist aber elementar.

Weitere Experimente

"Der Phasenschub durch die Gravitationsenergie hängt von der Masse des Atoms und dem Planckschen Wirkungsquantum ab und kann nie null oder positiv sein. Das ist bei der Beschleunigung anders. Dass wir die Beschleunigung mit dem Quantensystem nicht messen können, zeigt, dass die Regeln der Quantenmechanik auch für Gravitation halten", sagt Asenbaum.

In einem nächsten Schritt will das Team ein Experiment realisieren, in dem beide Akteure der Gravitationswechselwirkung sich in einem großen Quantensystem befinden. Wenn das gelingt, wäre unumstößlich, dass auch die Gravitation sich wie ein Quantenfeld verhält. "Das wäre eine qualitative Bestätigung, dass die Gravitation sich in die Quantenwelt integrieren lässt. Wie eine Quantentheorie der Gravitation aussehen muss, wissen wir deshalb aber noch nicht", sagt Asenbaum. (red, 18.1.2022)