Die Präsidenten George Bush und Michail Gorbatschow bei einem Treffen am 31. Juli 1991 in Moskau.

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Keine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine, keine militärischen Aktivitäten der Nato in Osteuropa: Unter anderem diese "Sicherheitsgarantien" fordert Russlands Präsident Wladimir Putin, um die Truppenkonzentration nahe der Ukraine und damit monatelange Spannungen zwischen Russland und dem Westen zu beenden. Als Rechtfertigung erinnert er immer wieder daran, dass der Westen Moskau in einer Schwächephase betrogen, ausgetrickst, über den Tisch gezogen haben soll.

Anfang der 1990er-Jahre, in jener turbulenten Zeit, als die Sowjetunion auseinanderbrach und der Kalte Krieg endete, soll die Nato versprochen haben, sich nicht gen Osten auszuweiten, und schon gar nicht bis an die russische Grenze. Im Gegenzug soll Moskau mit der deutschen Wiedervereinigung einverstanden gewesen sein. Tatsächlich aber wurden keine derartigen Versprechen gemacht.

Bakers berühmte Worte

Mangels schriftlicher Belege verweist Putin stets auf James Baker, der als US-Außenminister im Februar 1990 mit dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow Gespräche geführt hat. Dabei hat Baker laut einem Memorandum Folgendes gesagt: Die Amerikaner verstehen, dass für die Sowjetunion und andere europäische Länder Garantien wichtig seien, dass sich die Nato "nicht ein Zoll in östlicher Richtung ausdehnen" werde, sollten die USA ihre Militärpräsenz in Deutschland im Rahmen der Nato beibehalten. Gemeint war damals aber das Gebiet der DDR.

Das wird auch deutlich durch eine Aussage des damaligen deutschen Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner im Mai 1990, auf die sich ironischerweise auch Putin immer wieder bezieht – aber nur zu einem gewissen Teil. Folgender Satz ist für Putin Beleg für das angebliche Nato-Versprechen: "Schon die Tatsache, dass wir bereit sind, die Nato-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien." Doch ein weiterer Satz Wörners verdeutlicht, dass eben nur DDR-Territorium gemeint war: "Wir könnten uns eine Übergangszeit vorstellen, in der eine verringerte Anzahl von Sowjettruppen in der heutigen DDR stationiert bleiben."

Denkunmögliche Osterweiterung

Als all diese Aussagen getätigt wurden, waren die osteuropäischen Staaten noch Teil des Warschauer Pakts, das Nato-Pendant des Ostblocks. Dass sich der Pakt ein Jahr später auflösen würde und diese Länder einmal die Flagge der Nato hissen würden, daran konnte 1990 niemand ernsthaft denken. Doch für die russische Seite wurden Bakers Worte vom Februar 1990 "nicht ein Zoll in östlicher Richtung" zum geflügelten Wort. Und kurz darauf gab Gorbatschow sein Okay für die deutsche Wiedervereinigung, was für Moskau den Verdacht erhärtet, dass hier explizit ein Versprechen vonseiten des Westens abgegeben wurde.

Der hingegen meint, dass bei den Gesprächen maximal Möglichkeiten ausgelotet und definitiv keine Versprechen gemacht wurden. Horst Teltschik, damals außenpolitischer Berater des deutschen Kanzlers Helmut Kohl, erklärte zudem später laut einem Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, er sei damals bei allen Treffen seines Chefs mit Gorbatschow dabei gewesen. Es sei dabei immer um den Übergangsstatus der DDR und Berlins gegangen, niemals um eine Nato-Osterweiterung über Deutschland hinaus. Diese sei damals denkunmöglich gewesen.

Gorbatschows unterschiedliche Antworten

Derjenige, der zweifelsfrei klären könnte, ob es nun Versprechen gab oder nicht, hat diese Frage unterschiedlich beantwortet. Michail Gorbatschow selbst zitierte öfter Bakers Nicht-ein-Zoll-Sager und sprach lange vom Betrug des Westens. Doch in einem Interview 2014 mit "Russia Beyond the Headlines" erklärte er, dass die spätere Nato-Osterweiterung dem Geist der Verhandlungen Anfang der 1990er-Jahre widersprechen würde – es aber nie Versprechen gab, diese nicht durchzuführen.

In den 1990er-Jahren gab es dann auch kaum Anlass zur Sorge für neue Spannungen zwischen Nato und Russland. Mitunter wurde sogar überlegt, ob nicht auch Russland dem Nordatlantikpakt beitreten solle. So weit ging die Partnerschaft dann nicht, doch wurde 1997 in Paris die Nato-Russland-Grundakte unterzeichnet, eine rechtlich nicht verbindliche Absichtserklärung. Unter anderem durch Zugang für russische Diplomaten zum Nato-Hauptquartier in Brüssel und die Etablierung des Nato-Russland-Rates sollte ein Vertrauensverhältnis geschaffen werden, um gemeinsam für Stabilität und Sicherheit zu sorgen.

Davon ist man derzeit weiter entfernt denn je. Versprechen hin oder her. (Kim Son Hoang, 19.1.2022)