In seinem Gastbeitrag beschreibt Clemens Schmoll das Vatersein und wie er gelernt hat, mit Ratschlägen umzugehen.

Mitten in einer unbekannten Gegend: Rechts oder links? Keine Ahnung. Alles schaut fremd aus. Ich kenne mich nicht aus und irre weiter. Jemand steht auf der Straße. Ich könnte ihn fragen, aber gehe weiter, irgendwann werde ich den Weg wohl finden. Stunden später irre ich noch immer herum und muss mir eingestehen, dass ich besser jemanden gefragt hätte, der sich auskennt.

So neu und unbekannt ist es auch ab der Geburt eines Kindes. Von heute auf morgen ändert sich einfach alles. Lebens- und Tagesrhythmus werden auf den Kopf gestellt und durch das Kind oder die Kinder fremdbestimmt. Es ist einfach alles neu, obwohl man sich intensiv darauf vorbereitet hat – Fachliteratur hat man ebenso gelesen wie diverse Vorbereitungskurse besucht.

Nicht jeder darf sich einmischen

Als ich das erste Mal Papa geworden bin, habe ich mir oft ein Kinder-Navi gewünscht. Nicht um das Kind zu finden, aber etwas, das mir auf die Sprünge hilft. Um Rat fragen wollte ich nur ungern. Und ungebetene Ratschläge kamen zuhauf. Vor allem von fremden Müttern, am Spielplatz, in der Straßenbahn, beim Kinderarzt. Ich erinnere mich noch an die Blicke, wenn mein Junior in der Straßenbahn mal etwas lauter oder agiler war. Meine Frau konnte das besser wegstecken, sie kann nach dem Weg fragen oder ist nicht genervt von Tipps. Ich wollte es immer selbst schaffen.

Ein Ratschlag. Das klingt schon so gefährlich, ein bisschen nach Schmerzen. Aber gut gemeinte? Oder wichtige? Ich habe für mich beschlossen, dass es darauf ankommt, von wem und in welcher Situation die Ratschläge kommen.

Von wem den Ratschlag annehmen? Meiner Frau? Natürlich, die kennt unser Kind genauso gut wie ich. Meiner Mama? Ja, auch, sie hat das ja schon einmal ganz gut gemacht. Meiner Schwiegermutter? Na gut. Meinem Papa? Ja, aber das war noch eine ganz andere Generation, mit anderem Rollenverständnis und Vaterbild. Aber wo sind die anderen Papas in meinem Alter? Die vor dem gleichen Dilemma stehen wie ich? Ich hätte mir gewünscht, mich mit ihnen auszutauschen, auf einer Ebene miteinander zu reden und zuzuschauen, wie die mit ihren Kindern tun, um so die eine oder andere Anregung zu bekommen. Natürlich war ich in diversesten Eltern-Kind-Gruppen, aber da waren keine Papas.

Ratschläge in Stresssituationen

In welcher Situation die Ratschläge annehmen? Oft kommen die gutgemeinten Ratschläge in Momenten, die eher angespannt sind. Wenn alles wie am Schnürchen läuft, würde niemand einen Ratschlag geben. Ich erinnere mich noch gut, wie es mir bei der Zubereitung des Abendessens gegangen ist. Möglichst pünktlich sollte das Essen fertig sein, wenn meine Frau von der Arbeit nach Hause kommt. Beide Kinder quengeln, sind unruhig, weil sie Hunger haben und der Tag anstrengend war. Wer kennt das nicht? Kochlöffel schwingen, Rohr aufdrehen, umrühren, weil das Essen sonst verbrennt, Kinder beruhigen – und schnell soll es auch noch gehen, weil ja die Kinder verhungern könnten.

Danach war ich regelmäßig verschwitzt und vollkommen fertig. Und in dem Moment kam von meiner Mutter, die zu Besuch war und die ich auch bekochen wollte, ein Ratschlag. Ich weiß nicht einmal mehr, was sie gesagt hat. Es hat mich nur noch mehr gestresst und verärgert. Und eigentlich dachte ich mir, dann hilf mir doch einfach nur beim Kochen. Aber ich muss auch gestehen, um Hilfe fragen konnte ich in der Situation auch nicht.

In solchen stressigen Situationen ist oftmals wenig Zeit, da muss es schnell gehen – und daher nur der schnelle Rat. Aber manchmal wäre es vielleicht hilfreicher, nicht einfach eine Handlungsanleitung zu geben, sondern durch Fragen herauszufinden, warum gerade so gehandelt wurde – und dadurch den Befragten auf neue Perspektiven zu bringen. Das muss ja auch nicht in der unmittelbaren Situation sein, aber vielleicht später. Auch geht das natürlich nicht in der Straßenbahn oder am Spielplatz. Dafür braucht es Raum und Zeit und ein entspanntes Umfeld. Nicht ganz unerheblich ist auch, wie der Ratschlag formuliert wird, denn oft wird darin auch ein Vorwurf herausgehört. Für mich macht es einen Unterschied, ob man einleitend "Mach das doch so …" oder "Vielleicht probierst du es mal so …" sagt.

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Ratschläge sind schön und gut, aber es kommt darauf an, von wem sie kommen und in welcher Situation.
Foto: Getty Images/laflor

Selbst probieren, selbst draufkommen

Neben den wichtigen Faktoren "von wem" und "zu welchem Zeitpunkt" der Ratschlag kommt, beschloss ich für mich persönlich, das Wort Ratschlag in Tipp oder Vorschlag oder Idee zu ändern. Das klingt besser und fühlt sich nach mehr Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit an. Es liegt dadurch in meiner Verantwortung, wie, auf welche Weise und in welchem Umfang ich den Tipp umsetze. Das Vorgeschlagene muss ja auch nicht unbedingt zu meinem Kind oder zu mir passen.

Ich erinnere mich an Situationen, in denen ich einfach keinen Tipp haben wollte. Ich wollte selbst ausprobieren, was passiert, wie reagiert das Baby, wie geht es mir damit. So zum Beispiel, wenn mein Junior weinte und sich mal nicht sofort von mir beruhigen ließ. Ich probierte und probierte, er weinte weiter. Fläschchen angeboten, getätschelt, an mich gedrückt, später mit leicht federndem Gang auf- und abgegangen, mit ruhiger Stimme mit dem Baby geredet, gepuckt und versucht abzulenken. In dem Moment wollte ich keine Tipps – und schon gar nicht, dass mir das Baby aus der Hand genommen wird. Ich wollte Raum und Zeit zum Ausprobieren. Irgendwann hat er dann aufgehört – es hat halt länger gedauert, aber es hat funktioniert. (Clemens Schmoll, 21.1.2022)