Auch wer kein Modellathlet ist, kann mit einem E-Mountainbike (wie hier Kollege Guido Gluschitsch) Erhebungen erklimmen. Einem 57-Jährigen wird allerdings vorgeworfen, versucht zu haben, sich dieses Vergnügen auf strafrechtlich relevantem Weg zu gönnen.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

St. Pölten – Ein Klassiker der Filmgeschichte, der französische Kriminalfilm "Rififi", kommt einem bei der Gerichtsverhandlung gegen Harald L. in den Sinn. Der unbescholtene 54-Jährige muss sich im Landesgericht St. Pölten vor Richter Slawomir Wiaderek verantworten. Der Vorwurf von Staatsanwalt Leopold Bien: L. soll "auf sehr spektakuläre Weise" versucht haben, bei einem Einbruchsdiebstahl in ein Sportgeschäft ein mehrere tausend Euro teures E-Mountainbike zu erbeuten.

Die Tat im Juli 2021 war tatsächlich kein 08/15-Einbruch. Der Täter kletterte auf das Dach des Geschäftes im Mostviertel, schnitt mit einer Akku-Flex eine Oberlichte auf und versuchte schließlich, mit Haken und Seil das Fahrrad aus dem Verkaufsraum nach oben zu angeln. Da es fix montiert war, scheiterte der Täter, der lediglich einen unscharfen Schuhabdruck hinterließ.

Verdächtiges Interesse an E-Mountainbike

Wie kommt nun aber L. auf den Anklagestuhl? Aus Sicht von Polizei und Ankläger hat der selbstständige Handwerker sich verdächtig gemacht, da er vor dem nächtlichen Coup zweimal im Geschäft war und sich für das Fahrrad interessiert hatte. Die zugegebenermaßen nicht seltene Schuhgröße 43/44 passte auch. Und schließlich, so Bien, habe er bei der Vernehmung durch die Polizei "Täterwissen" offenbart – im Einvernahmeprotokoll findet sich nämlich der Passus, das L. bestreitet, etwas aufgeschnitten zu haben, obwohl das zuvor nicht zur Sprache kam.

L. und sein Verteidiger Philipp Slemr widersprechen. "Ich war zweimal in dem Geschäft und habe mich beraten lassen. Als ich zum dritten Mal kam, um das Fahrrad zu kaufen, hat mich ein Verkäufer beschäftigt, dann sind zwei Polizisten gekommen und haben mich mitgenommen", erzählt der Angeklagte. Das Personal hatte die Exekutive alarmiert, L. wurde von den Beamten auf der Fahrt in die Polizeiinspektion nicht verraten, worum es ging. "Wenn ich helfen kann, helfe ich gerne", habe er sich gedacht.

Tatwerkzeug Akku-Flex

Zwei andere Beamte hätten ihn dann einvernommen, er habe nur gewusst, dass es um einen versuchten Einbruch ging. "Und woher wussten Sie, dass etwas aufgeschnitten wurde, wie es im Protokoll steht?", fragt der Richter. "Die Polizisten haben mich vorher gefragt, welche Werkzeuge ich habe und ob auch eine Akku-Flex dabei ist", erklärt der Angeklagte. Diese Fragen seien aber nicht protokolliert worden. "Ich bin mir vorgekommen wie in der Matrix", erinnert L. sich. Als er dann begriff, dass er ein Verdächtiger sei, habe er einfach eins und eins zusammengezählt und bestritten, etwas aufgeschnitten zu haben.

Dass sein Handy in der Tatnacht nicht eingeschaltet war, sei nichts Ungewöhnliches, beteuert der Angeklagte. "Ich schalte es immer auf Flugmodus, wenn ich ins Bett gehe." Er bietet auch eine Entlastungszeugin an: Seine Nachbarin könne bestätigen, dass er mit ihr und den Vermietern an dem Abend zusammen gefeiert und danach seine Wohnung nicht mehr verlassen habe. "Woher soll sie das wissen?", wundert sich der Richter. "Unsere Schlafzimmer liegen Wand an Wand, und die Wände sind leider sehr dünn. Wenn ich in der Nacht mit dem Auto weggefahren wäre, wäre sie aufgewacht", ist L. überzeugt.

Radwechsel aus Gesundheitsgründen

Den Umstand, dass L. sich im Vorfeld für das Rad interessiert habe, hinterfragt Verteidiger Slemr. "Das Rad kostet 6.500 Euro, das ist ja nicht, wie wenn ich Brot kaufen gehe!", argumentiert der Angeklagte, dass er die Investition gründlich überdenken wollte. Dass er bereits ein auf Leasing gekauftes Fahrrad besitze, aber dafür nur eine Rate bezahlt habe, wie die Polizei behauptet, stimme nicht. "Es ist noch eine Rate offen, die haben das falsch verstanden! Aber für meine Wirbelsäule und Gelenke wäre das neue Rad besser gewesen."

Der Prozess endet nach den Aussagen der beiden Polizeibeamten dann abrupt und überraschend. Staatsanwalt Bien zeigt nämlich Professionalität und Größe und zieht die Anklage zurück, L. wird rechtskräftig freigesprochen. Wie sich herausstellt, stimmen die Angaben des Angeklagten: Die Polizisten haben ihn im Vorfeld auf die Flex angesprochen. Auch Richter Wiaderek merkt an, dass L. daher kein Täterwissen gezeigt, sondern eine simple Schlussfolgerung gezogen hat.

Keine Aufnahme von polizeilichen Einvernahmen

Der Fall zeigt einmal mehr ein im Strafrecht immer wieder auftretendes Problem: Ob die Polizei vollständig und richtig protokolliert, kann im Nachhinein nur schwer festgestellt werden. Zwar müssen die Protokolle unterschrieben werden, manche Menschen lesen sie aber in der Stresssituation nicht richtig durch. Im Gegensatz zu anderen Staaten ist in Österreich nicht vorgesehen, dass Einvernahmen mit Audio oder Video aufgezeichnet werden. Derzeit gibt es nur ein Pilotprojekt im Innenministerium, im Regierungsübereinkommen von ÖVP und Grünen findet sich auf Seite 153 im Kapitel "Sicherheit" das Versprechen, diese bestehenden Versuche zur audiovisuellen Einvernahme zu "prüfen".

Auf STANDARD-Anfrage erklärt Innenministeriumssprecher Harald Sörös bezüglich des Pilotprojekts, dass dieses sich auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie bei Vernehmungen von Kindern und Jugendlichen bezieht. Sind weder ein Anwalt oder eine Vertrauensperson bei der Vernehmung anwesend, wird die Einvernahme mit "Body-worn Cameras" aufgezeichnet. Bei einer fünfmonatigen Testphase im vergangenen Jahr wurde das Instrument 49-mal eingesetzt.

Offenbar ist man mit den Erfahrungen mit den "Body-Cams" insgesamt zufrieden. Im Jänner begann ein Ausschreibungsverfahren, in drei Jahren soll jede der rund 1.000 Polizeiinspektionen des Landes sowie die übergeordneten Dienststellen mit zumindest einer Kamera ausgestattet sein. Da die Ausschreibung noch läuft, kann Sörös nichts über die Kosten sagen. (Michael Möseneder, 23.1.2022)