Von der bergbäuerlichen Fron hinein in den Literaturbetrieb: Franz Innerhofer (1944–2002), ruheloser Wanderer zwischen den Welten.

Foto: Sepp Dreissinger

Auf jeden noch so entbehrungsreichen Arbeitstag des Bauernbuben Franz Holl folgt derselbe Kehraus. Der Vater, ein Pinzgauer Landwirt, der seinen Hof in absoluter Machtvollkommenheit regiert, züchtigt den Sohn mit Hieben, die er ihm mit dem Strick verabreicht. Holl muss die Hose hinunterlassen und folgendes Sprüchlein runterleiern: "Vater, bittschön ums Durchhauen!" Auf die Entgegennahme der Strafe folgt: "Vater, dankschön fürs Durchhauen!" Der Erzeuger, den das Geschäft der Züchtigung kolossal von Verspannungen befreit, legt Wert darauf, dass Holl sich trotz brennenden Hinterns mit einem "lachenden Gesicht unter die Dienstboten" mische.

Die Verhältnisse in dem Roman Schöne Tage (1974) des Salzburger Landarbeiterkindes Franz Innerhofer sind – von Traktorengeräuschen unterbrochen – durchwegs mittelalterliche. Franz Holl, preisgegeben der inneralpinen Finsternis, ist das unbeugsame Alter Ego des Romanciers. Ein der Willkür zur Gänze ausgeliefertes Kind, das, halb als Dienstbote, halb als Sklave, Ställe ausmistet, Rindern Salz ins Maul stopft, mit der Gabel Heu wirft.

Man muss sich das Erscheinen von Schöne Tage, dieses dokumentarische Verzeichnis des tagtäglichen Unglücks, wahrhaft als Kometeneinschlag vorstellen. Zwei Jahre nach Peter Handkes Requiem auf dessen Mutter (Wunschloses Unglück, 1972) errichtete Innerhofer dem eigenen Leid ein Denkmal: in einem sozialperspektivisch verengten Protokoll, getragen von einer bis dahin unbekannten Kompromisslosigkeit – litaneihaft, wahrhaft, verfasst in kieselharter Prosa.

Es waren die Jahre der ersten Alleinregierung Bruno Kreiskys. Die Kinder aus bäuerlichen Verhältnissen strömten, von den Reformern ausdrücklich dazu ermuntert, in die Abendschulen. Sie ergriffen städtische Lehrberufe oder erlernten, zumeist in mühsamen Trial-and-Error-Prozessen, die Kunst des Schreibens. Innerhofer publizierte beim Residenz-Verlag; auf Schöne Tage folgten die Fortsetzungsbücher Schattseite (1975) und Die großen Wörter (1977), Wegmarken des Vorwärtskommens, Dokumente einer in Stolperschritten vollzogenen Ankunft in der Mitte der Gesellschaft, als Schmiedelehrling, als Autor.

Tränen der Wut

Innerhofer ist seines Erfolges, den er mit anderen Exponenten der neuen "Antiheimatliteratur" teilte, nie recht froh geworden. Seine Grußpostkarten von der Karriereleiter wurden mit jeder neuen Sprossenhöhe immer skeptischer beurteilt. Man sieht Holl in Schöne Tage öfter weinen, aber es handelt sich um die still zerdrückten Tränen der Wut. Sichtbar gemacht wird eine Dreieinigkeit aus Patriarchat, Schule, Kirche. Will das Kind zur Schule gehen, wird es vom Vater am Hof einbehalten. Kehrt das Kind nach Wochen in die Schule zurück, brummt ihm der Lehrer Strafen auf. Begehrt es auf, muss es zur Beichte.

Innerhofers Werdegang war ursprünglich von der Hoffnung auf die unausweichlich progressiven Folgen des Spracherwerbs getragen: Nur wer sich auszudrücken versteht, bietet Gewaltverhältnissen die Stirn. Schon in den 1990ern galt der Widerspenstige als "ausgeschrieben". Er selbst suchte zeitweise Zuflucht in der umbrischen Stadt Orvieto. Versuche, als Händler von italienischer Literatur in Graz Fuß zu fassen, scheiterten. Vor genau 20 Jahren beging Franz Innerhofer in der Mur-Stadt Selbstmord. Er wurde 57 Jahre alt. Sein Werk harrt dringend der Neuentdeckung. (Ronald Pohl, 19.1.2022)