Grace Cummings veröffentlicht "Storm Queen" – der Albumtitel steht synonym für die Kunst der australischen Singer-Songwriterin.

Foto: Ian Laidlaw

Vorige Woche ist Ronnie Spector gestorben. Die Sängerin der Girlgroup The Ronettes wurde mit Songs wie Be My Baby in den 1960ern weltberühmt. Spector kam aus New York, war ein Einwandererkind und das, was man in Amerika "street smart" nennt: goschert und selbstbewusst. Hilfreich dabei war ihre Stimme. Die klang immer heiser, wie nach einer langen Nacht – oder einem heftigen Streit. Das war im Pop eher neu.

Bis dahin waren zumindest im Mainstream die Stimmen der Sängerinnen möglichst engelsgleich, man denke nur an Doris Day und ihr Image als begabte Hausfrau, ein Albtraum. Doch die Zeiten standen auf Veränderung, auch der zuerst gewöhnungsbedürftige Gesang des jungen Bob Dylan machte das klar. Mit diesem langen Anlauf landen wir im Heute.

Diese Stimme

Da veröffentlicht die australische Sängerin Grace Cummings gerade ihr zweites Album. Es heißt Storm Queen, und wie schon bei ihrem Debüt vor drei Jahren ist das Erste, das auffällt, ihre Stimme.

Die klingt geeicht, und man kann nur mutmaßen, worauf genau. Denn da gibt es einige Möglichkeiten, wahrscheinlich ist sie das Resultat von allen zusammen.

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Einmal, das scheint abgesichert, an ihrer ersten Kunst: Cummings ist eigentlich Bühnenschauspielerin. Da muss ihr Vortrag noch im letzten Winkel zu hören sein, und man kann sich darauf verlassen, dass dem so ist. Cummings’ Stimme besitzt das Volumen dazu. Sie tönt wohl, doch wenn sie nur etwas mehr Nachdruck auf ihre Texte legt, wird es heftig. Der Himmel geht auf, wenn sie ihn im Opener Heaven besingt, wenngleich die dunklen Wolken nur weichen, nicht verschwinden. Das ist kein Kunstgriff, den sie übertreibt.

Kleine Ochsentouren

Schließlich spielt Cummings Folk, ist Singer-Songwriterin, und viele ihre Lieder sind sehr ökonomisch instrumentiert. Manchmal reicht ihr die Akustische, etwas Tamburin, Hall, passt. Eine weitere Eichung – die scheint ebenfalls abgesichert – verantwortet ihre Vergangenheit in Bands, mit denen Cummings durch die Dive-Bars von Melbourne tourte. Als tingelnde AC/DC- und Jimi-Hendrix-Jukebox lernte sie, die Erwartungen in diesen Kaschemmen zu erfüllen. Ochsentouren im Kleinen, aber hart.

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Aus der Zeit ist ihr geblieben, dass sie live verlässlich mit Band tourt und dabei die akustische öfter gegen die elektrische Gitarre tauscht. Doch nicht auf dem Album. Schon ihr Debüt brachte ihr Vergleiche mit Joni Mitchell ein – ohne deren zerbrechliches Moment. Beim Armdrücken der beiden hätte Mitchell keine Chance. Dabei wäre es falsch, Cummings grobe Hemdsärmeligkeit anzudichten, bestechend ist letztlich doch die Mischung aus Gefühl, Text und feingliedriger Instrumentierung, die ihre Balladen so betörend macht als wäre sie die Tochter von Nico und John Cale.

Storm Queen ist digital bereits erschienen, physisch ab Mitte Februar erhältlich. Es ist ein Album wie aus einem Guss, dabei abwechslungsreich, mitreißend, einschmeichelnd. Man hängt an Cummings’ Lippen und lauscht einer Achterbahnfahrt aus schweren Zeichen und jenen, die ein wenig leichter sind: American Gothic aus Down Under – eine Entdeckung. (Karl Fluch, 19.1.2022)