Der STANDARD feiert seine zehntausendste Ausgabe. Aus diesem Anlass beschäftigen wir uns mit der Zahl Zehntausend.

Die Schulmäuse geben mir den Rest. Das vierte Germ-Monster mit Schokofüllung – und mir steht der kalte Schweiß auf der Stirn. Es ist erst 9.30 Uhr, und schon bezweifle ich, ob ich der Herausforderung gewachsen bin. "Du lässt die nächsten Portionen besser aus", sagt Peter Reinthaler und lacht.

Die Schulmäuse steigen mir in den Kopf, Reinthaler isst genüsslich weiter.
Foto: Heribert Corn

Reinthaler ist ein Strongman, einer der stärksten Männer Österreichs. "Ich hebe schwere Sachen von A nach B", beschreibt er seinen Sport. Also 200-Kilo-Betonkugeln, 500-Kilo-Traktorreifen und Autos. Reinthaler ist 1,85 Meter groß und 160 Kilo schwer. Er sieht so aus, als würde er das packen.

Diese Maschine muss gefüttert werden. Normalerweise nimmt er etwa 5.000 Kalorien am Tag zu sich, dafür gibt er täglich rund 40 Euro aus. 10.000 Kilokalorien am Tag sind für Reinthaler eher eine Ausnahme: "Die snacke ich meist einmal im Monat." Snacken sagt er, ehrlich! Anlässlich dieser Schwerpunktausgabe will ich mit ihm den Snack einnehmen.

Wir sind für 8.30 Uhr verabredet. Zur Begrüßung gibt es gleich einmal 200 Gramm Ovomaltine-Müsli mit Milch, dazu einen halben Liter Multivitaminsaft. Macht etwa 1.100 Kalorien.

Ein Bild, das überhaupt nicht aus dem Kontext gerissen wurde.
Foto: Heribert Corn

Vorab habe ich mich bei Ernährungswissenschafterin Katrin Fischer vom Olympiazentrum Linz abgesichert. Können 10.000 Kalorien gesund sein? Unter Umständen ja: "Ein Organismus, der Leistungssport betreibt, hat ein anderes System, mit Energie umzugehen, als ein Organismus, der wenig Sport betreibt." Für den Durchschnitt, zu dem ich mich mit 1,86 Meter Körpergröße und einem Gewicht von 90 Kilo zähle, sei das hingegen eine ziemliche Belastung.

Das merke ich bei den Schulmäusen. Reinthaler inhaliert eine nach der anderen und erklärt, wie er zu seinem Sport gekommen ist. "Gute Gene", sagt er. Erst spielte er American Football. Dann kam er über seinen Cousin zu Strongman.

Die Süße der Schulmäuse steigt mir in den Kopf. Ich werde blass, die Beine zittern, ich muss den Kopf auf dem Tisch ablegen. Kein Wunder. Es ist 9.30 Uhr, und ich habe meine sonstige Tagesration Kalorien verschlungen. Sogar der Bär macht sich Sorgen um mich.

Ein Shake lässt mich shaken

Trotzdem bereitet er die nächste Mahlzeit vor: Eierspeise aus fünf Eiern, dazu Putenbrust. Bei den Austrian Giants 2019 belegte Reinthaler den zweiten Platz, er ist der zweitstärkste Mann Österreichs. Im echten Leben ist er Chef eines Galvanisierungsunternehmens. Von dem Sport kann man in Österreich nicht leben. Der Staat weigert sich sogar, Strongman als Sport zu bezeichnen. Anders als Bodybuilding.

90 Kilo sind für Reinthaler nichts.
Foto: Heribert Corn

Ich setze bei den Eiern aus. "Du solltest das Mittagessen anpeilen", schlägt Reinthaler vor, während er die Portion verspeist und einen Protein-Shake hinterherkippt.

Wirklich gefährlich kann mein Experiment nicht werden, sagt Ernährungsexpertin Fischer. "Ich garantiere Ihnen, Sie platzen nicht! Das kann der Körper verkraften." Auf Dauer hingegen seien Gefahren abzusehen – Übergewicht, Bluthochdruck, eine nichtalkoholische Fettleber.

Zu Mittag habe ich keinen Hunger, aber es geht mir besser. Es gibt Spaghetti bolognese aus einem Kilo Nudeln, dazu ein Kilo Rinderfaschiertes für Reinthaler und 400 Gramm veganes Faschiertes für mich. Einen Teil gibt es zu Mittag, den Rest heute Abend. Ich bin schnell satt. Reinthaler zieht Sportkleidung an, auf zum Training. Vorher packt er mir meine "Hausaufgaben" für den Abend ein: die übrigen Nudeln, zwei Packungen Müsliriegel und Haribo-"Gummibärli".

Vor dem Training: Gerald Gschiel (Instagram: @gschiel.gerald), Lauch und Peter Reinthaler (Instagram: @peterreinthaler)
Foto: Gschiel

Geplant ist ein "leichtes Training. Wenn man so viel gegessen hat, muss man aufpassen, dass nichts passiert", sagt Reinthaler und zwinkert. "Leichtes Training", das bedeutet für mich: auf dem Rad strampeln. Für Reinthaler: Kniebeugen mit 240 Kilo auf der Schulter. Wenn er das Gewicht nach oben drückt, klingt es, als würde eine Lokomotive Dampf ausstoßen. Währenddessen nehme ich die eine oder andere Hantel in die Hand und trainiere meinen Bizeps. Dafür ernte ich ein müdes Lächeln. Für Reinthaler sind die Dinger wie Wattestäbchen. Ich habe Mühe, sie 15-mal zu heben.

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Nach anderthalb Stunden geht es nach Hause. Reinthaler hat einige Hundert Kilokalorien verbrannt. Ich nicht. Trotzdem ist ein wenig Hunger da. Auf dem Heimweg verputze ich alle Müsliriegel. Daheim mache ich mich an die Hausaufgaben, also die restlichen Spaghetti, ein Teller nach dem anderen. Es fällt mir leichter, wenn niemand neben mir das Gleiche in drei Minuten verdrückt.

Nie wieder essen!

Mit Genuss hat das nix mehr zu tun. Hinterher gibt es die Packungen Haribo. Nicht weil ich will. Sondern weil ich muss. Der Zucker dreht mich auf, mein Kopf ist wach, mein Körper will schlafen. Für Reinthaler verläuft der Abend ruhiger. Auch er verdrückt Spaghetti, Gummibärchen und Riegel. Als Nachtisch gibt es für ihn eine Packung Eis. "Laut App komme ich auf 10.500 Kalorien", schreibt er mir am nächsten Morgen. "Und ich habe wieder Hunger." Ich habe 7.000 Kalorien verdrückt. Meine Nacht war unruhig, aber besser als gedacht. Am Morgen fühle ich mich verkatert. Mir ist schlecht, ich habe Kopfschmerzen und das Gefühl, nie wieder essen zu können oder zu wollen.

Für den Oberarmumfang braucht man schon zwei Hände.
Foto: Heribert Corn

Ich habe die Herausforderung nicht ganz geschafft. Die Schulmäuse wurmen mich. Was wäre möglich gewesen, wenn die Zuckerbomben mich nicht für Stunden außer Gefecht gesetzt hätten? Zu welchen Höchstleistungen wäre ich fähig, wenn der Ernährungsplan auf mich zugeschnitten wäre? Ich giere nach Revanche. (Thorben Pollerhof, 23.01.2022)