Die Schlafforschung deckt immer detaillierter auf, welche vielfältigen positiven Effekte die Nachtruhe auf unseren Körper und Geist hat.

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Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Die Wissenschaft hat ein Wundermittel entdeckt, das imstande ist, sämtliche Krankheiten zu heilen oder ihnen vorzubeugen und psychische Beschwerden zu mindern. All das geschieht ohne negative Nebenwirkungen und völlig kostenlos. Dieses Wundermittel ist der Schlaf. Allzu lange war er ein blinder Fleck der Wissenschaft, erst in den vergangenen Jahren konnten Forscher entscheidende Durchbrüche darin erzielen, seine Bedeutung und positiven Auswirkungen auf unseren Körper zu verstehen.

Inzwischen haben wir nicht nur deutliche Anhaltspunkte, wie sehr wir von regelmäßigem und ausreichendem Schlaf profitieren. Es liegen uns auch Daten dazu vor, wie verheerend sich Schlafmangel körperlich und psychisch auswirkt. Zuletzt hat die Corona-Pandemie unser Schlafverhalten gehörig durcheinandergebracht – mit positiven wie negativen Auswirkungen, aus denen sich mitunter auch ablesen lässt, wie wir unseren Schlaf künftig verbessern könnten.

Stärkste Waffe der Natur

"Schlafen ist das allerbeste Mittel für die Gesundheit unseres Gehirns und unseres Körpers – die stärkste Waffe von Mutter Natur": Der prominente britische Schlafforscher Matthew Walker von der Universität Kalifornien, Berkeley, spart nicht mit Superlativen, wenn es um die positiven Effekte der Nachtruhe geht. Umso mehr bedauert er, dass "zwei Drittel der Erwachsenen in industrialisierten Ländern nicht wie empfohlen acht Stunden pro Nacht schlafen".

Dass die Gesellschaft den Schlaf nicht ausreichend würdigt, hat laut Walker auch damit zu tun, "dass die Wissenschaft lange Zeit nicht erklären konnte, wieso er überhaupt so wichtig ist". Inzwischen ist aber klar, dass chronischer Schlafmangel gleich mit einer ganzen Reihe an Risiken einhergeht: "Wer dauerhaft weniger als sechs oder sieben Stunden pro Nacht schläft, zerstört sein Immunsystem, sodass sich das Krebsrisiko mehr als verdoppelt", betont Walker.

Pandemiebedingte Störungen

Weitere Folgen von Schlafmangel sind die Beeinträchtigung des Blutzuckerspiegels und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für verstopfte und spröde Arterien, was langfristig zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen führen kann. Zudem verschlimmern sich bei Schlafstörungen psychische Leiden wie Depressionen, Angstzustände und Suizidgefahr.

Zuletzt hat sich in der Pandemie gezeigt, dass Schlafstörungen auffällig zugenommen haben. Studien gehen von einer Zunahme von mindestens zehn Prozent gegenüber dem Niveau vor der Pandemie aus. "In manchen Studien ergeben sich sogar bis zu fünfzig Prozent mehr Schlafstörungen in der Pandemie", sagt der deutsche Schlafforscher Hans-Günter Weeß, Leiter der Schlafmedizinischen Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster.

Die Gründe dafür sind vielfältig: "In der Pandemie gab es für viele Menschen außergewöhnliche Belastungen und Stressoren. Immer wenn wir Stress haben, schüttet unser Körper mehr Cortisol aus. Und dieses verträgt sich nicht gut mit Schlaf", sagt Weeß.

Frauen und junge Menschen betroffen

Wer von pandemiebedingten Schlafstörungen betroffen ist und wer nicht, dazu ergeben die Studien kein einheitliches Bild. Christine Blume vom Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel weist auf eine Studie aus den Niederlanden hin, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Menschen, die bereits vor der Pandemie mit Schlafproblemen zu kämpfen hatten, im Lockdown Verbesserungen bemerkt haben. Hingegen hätten Menschen, die zuvor keine derartigen Probleme hatten, in der Pandemie Schlafprobleme entwickelt.

Die österreichische Schlafforscherin Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung, die Veränderungen im Schlafverhalten in der Pandemie im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, dass in Österreich vor allem Frauen und junge Menschen von pandemiebedingten Schlafstörungen betroffen sind.

In Einklang mit dem Chronotyp

Andererseits hat die Pandemie aber auch positive Auswirkungen – nämlich auf die Schlaflänge und die Schlafzeit. Weltweit haben Studien gezeigt, dass die Menschen in den Phasen der Lockdowns später schlafen gegangen, aber sogar noch später aufgestanden sind. Insgesamt ergeben sich daraus im Schnitt etwa 25 Minuten mehr Schlaf täglich. "Die Profiteure der Corona-Pandemie in Bezug auf das Schlafverhalten haben durch die Lockdowns mehr Zeit zum Schlafen", sagt Weeß.

"Wenn man im Homeoffice arbeitet, kann man die Schlafenszeit flexibler wählen, und zudem fällt das Pendeln weg", nennt die Schlafforscherin Christine Blume zwei der Gründe, warum sich das Schlafverhalten vieler Menschen in der Pandemie verbessert hat. Positiv daran ist nicht nur, dass sich die Schlafdauer verlängert hat. "Wir sehen auch, dass sich der soziale Jetlag reduziert: Die Menschen schlafen eher so, wie sie an freien Tagen schlafen – in Einklang mit dem inneren biologischen Rhythmus", sagt Blume.

In Österreich war "im ersten Lockdown ab März 2020 für uns sehr spannend zu beobachten, dass die Menschen auf einmal super geschlafen haben", sagt Holzinger. "Viele Menschen fühlten sich erlöst vom Alltagsstress und konnten das für sich nutzen." Dieser Effekt hat aber nur wenige Wochen gewährt. "Je länger die Pandemie gedauert hat, umso mehr hat sich gezeigt, dass viele Menschen Schlafprobleme bis Schlafstörungen entwickeln", sagt Holzinger.

Verschiedene Chronotypen

Wann man am besten schlafen kann, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt vom jeweiligen Chronotyp ab. Rund 40 Prozent der Menschen laufen bereits kurz nach Morgengrauen zur Höchstform auf. Etwa 30 Prozent gehen gerne erst später ins Bett und bevorzugen es, länger zu schlafen. Die restlichen 30 Prozent liegen irgendwo zwischen den Nachteulen und Lerchen – wie die beiden Chronotypen gemeinhin genannt werden. Welchem Typ man angehört, ist stark genetisch beeinflusst und kann nur begrenzt durch Gewöhnung verändert werden.

Evolutionär machen die unterschiedlichen Chronotypen durchaus Sinn: Im Schlaf sind Menschen besonders angreifbar. Leben mehrere Menschen mit unterschiedlichen Schlaf-Wach-Rhythmen in einer Gemeinschaft zusammen, kann die kritische Zeitspanne deutlich verkürzt werden, wenn nicht alle zur selben Zeit schlafen.

Nachteile für Nachtmenschen

Doch das moderne Berufsleben nimmt kaum Rücksicht auf die unterschiedlichen Schlafrhythmen – meist zum Leidwesen der Nachteulen. Walker, der sich selbst nicht zu den Nachtmenschen zählt, findet, dass diese von der Gesellschaft in zweierlei Hinsicht ungerecht behandelt werden, wie er in seinem Buch "Das große Buch vom Schlaf" (Goldmann 2018) ausführt: "Zum einen werden sie als faul abgestempelt, weil sie erst spät am Tag aufwachen, da sie erst am frühen Morgen einschlafen. Nachteulen müssen sich oft Vorwürfe anhören (in der Regel von Lerchen), weil man fälschlicherweise glaubt, das Schlafverhalten unterliege einer freien Entscheidung und die Eule könnte ohne weiteres früher aufstehen, wenn sie nur nicht so träge wäre." Zum anderen würde die Arbeitswelt hartnäckig auf frühe Beginnzeiten beharren – was den Morgenmenschen zwar entgegenkommt, den Nachtmenschen aber schadet.

Dass sich die Schlaf- und Wachzeiten in der Corona-Pandemie nach hinten verschoben haben, bezeichnet Walker daher als "Rache der Nachteulen". Für Blume ergibt sich aus dieser Entwicklung auch eine Möglichkeit, dass sich die Corona-Pandemie langfristig positiv auf das Schlafverhalten auswirken könnte: Flexiblere Arbeitszeiten würden es den Menschen erlauben, sich bei der Bestimmung der Schlafenszeit verstärkt an ihrem individuellen Rhythmus orientieren zu können.

Schlaf und Immunsystem

Es gibt allerdings auch noch einige offene Fragen in Bezug auf das Schlafverhalten in der Pandemie. Dazu zählt beispielsweise, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen ausreichendem Schlaf und der Effektivität der Corona-Schutzimpfung. Das wäre insofern anzunehmen, als dass Schlaf und Immunsystem eng miteinander verbunden sind.

Dass gerade in dieser unsicheren, herausfordernden Zeit viele Menschen unter Schlafproblemen leiden, dürfte die Medizin noch längere Zeit beschäftigen. (Tanja Traxler, 19.1.2022)