Die Partei sollte sich von Wissenschaftsfeindlichkeit, Medizinskeptizismus und Esoterik klar distanzieren, sagt die Politikwissenschafterin Lore Hayek im Gastkommentar.

Madeleine Petrovic, früher Grünen-Chefin, trat nun bei einer MFG-Demonstration auf.
Illustration: Fatih Aydogdu
"Hier steht niemand, der von Pfizer bezahlt wird. Hier steht niemand, der von der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung bezahlt wird."
Petrovic am vergangenen Samstag
"Das ist ganz sicher keine grüne Position. Madeleine Petrovic ist in Pension, sie hat keine Funktion bei den Grünen."
Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer am Montag in der "ZiB 2"

Es war ein gefundenes Fressen für all jene, die die Kritik an der geplanten Impfplicht und an den Corona-Maßnahmen allgemein gern "in der Mitte der Gesellschaft" verorten möchten: Vergangene Woche meldete sich eine Initiative namens "Grüne gegen Impfpflicht und 2G" zu Wort. Neben einigen (ehemaligen) grünen Kommunalpolitikerinnen und -politikern ist es vor allem die ehemalige grüne Bundessprecherin Madeleine Petrovic, die als Proponentin der Initiative, aber auch als Rednerin auf einer MFG-Demonstration in Wien auftritt. Vonseiten der Grünen distanziert man sich zwar klar von Petrovics Aussagen und hält fest, diese seien deren "Privatmeinung". Eine weitergehende inhaltliche Abgrenzung der Partei gibt es derzeit allerdings nicht.

Dabei wäre es für die Grünen als Partei eine Chance, hier einen scharfen Strich zu ziehen. Die überwiegende Mehrheit ihrer Wählerinnen und Wähler hat Vertrauen in die Corona-Impfung, hat angegeben, sich impfen lassen zu wollen, und lehnt die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen ab, wie regelmäßige Umfragen der Austrian National Election Study und des Austrian Corona Panel Project zeigen. Wählerinnen und Wähler der Grünen weisen traditionell einen hohen Akademikerinnen- und Akademikeranteil auf, in Universitätsstädten erzielen die Grünen ihre besten Wahlergebnisse – es scheint offensichtlich zu sein, dass Politik, die auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung fußt, im grünen Wählerinnen- und Wählerpotenzial auf fruchtbaren Boden fällt.

Esoterische Strömungen

Trotz dieser Daten zögern die Grünen, sich offensiv gegen esoterische Strömungen in den eigenen Reihen zu stellen. Bis heute lautet eine Passage im Abschnitt "Gesundheit" des geltenden grünen Grundsatzprogramms: "Der immer rasantere Fortschritt der medizinischen und naturwissenschaftlichen Forschung und Entwicklung wirft gesellschaftliche Probleme auf, die eine öffentliche und fachübergreifende Diskussion über allgemeine und spezielle medizinische Ethik erfordern."

Immer wieder melden sich einzelne Proponentinnen und Proponenten der Grünen mit technologie- oder wissenschaftsfeindlichen Positionen zu Wort: Im Tiroler Ort Landeck formte sich 2020 eine von einem grünen Gemeinderat getragene Initiative gegen den Mobilfunkstandard 5G, da dieser für "elektrosensible Personen" besonders gefährlich sei. Die Wirtschaftskammer-Fachgruppe der persönlichen Dienstleister, zu der etwa Astrologinnen und Astrologen, Human- oder Tierenergetikerinnen und -energetiker gehören, ist eine der Fachgruppen, in der die Grüne Wirtschaft ihre meisten Mandatarinnen und Mandatare stellt.

Neue Generation

Irgendwie stecken die Grünen hier zwischen ihrer eigenen Vergangenheit und Zukunft fest. Zum einen sind sie in ihrer eigenen Gründungsgeschichte verhaftet: Die Ökologiebewegung war in ihrem Grundwesen kapitalismus-, globalisierungs- und damit auch gewissermaßen fortschrittskritisch. In dem fast 20 Jahre alten Grundsatzprogramm ist die Handschrift dieser Gründungsgeneration der Grünen an vielen Stellen zu lesen. So manche ihrer Vertreterinnen und Vertreter sind noch immer politisch aktiv (oder kommentieren zumindest von der Seitenlinie), und diese will man wohl nicht gegen sich aufbringen.

Zum anderen gibt es eine neue, umweltbewusste Generation, die sich vegan ernährt, Yoga macht, Kleidung recycelt, naturnah urlauben will und ihre Kinder ohne Plastikspielzeug erzieht. Es ist jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass solche Lebensentscheidungen eine klischeehafte Empfänglichkeit für Esoterik signalisieren. Im Gegenteil: Die Generation Fridays for Future stützt sich aktiv auf wissenschaftliche Erkenntnisse ("I want people to unite behind the science", Greta Thunberg) und zieht aus diesen Fakten Konsequenzen für ihr eigenes Handeln.

Die Grünen könnten ein starkes Signal an diese potenzielle zukünftige Gruppe von Wählerinnen und Wählern senden, wenn sie sich personell und inhaltlich – also auch mit einem den Anforderungen der Postpandemiegesellschaft entsprechenden Grundsatzprogramm – klar von Wissenschaftsfeindlichkeit, Medizinskeptizismus und Esoterik distanzieren. (Lore Hayek, 19.1.2022)