Warum Frauen noch immer nicht gern über schmerzhafte Erfahrungen sprechen, sollte nicht verwundern.

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Viele Antworten unter dem Hashtag #FrauenBeimArzt sind nur schwer zu ertragen. Die Herabwürdigungen, die Verachtung und der unverhohlen zur Schau gestellte Sexismus in Situationen, in denen Menschen äußerst verletzlich sind, sind erschütternd. Auf Twitter hatte eine Userin dazu aufgerufen, sexualisierte Übergriffe bei Arztbesuchen öffentlich zu machen. Zahlreiche Frauen schilderten darauf ihre Erfahrungen. Jede einzelne dieser Geschichten ist wichtig.

Sie sind wichtig, weil sie eine Systematik aufzeigen und so den Einzelnen viel Last von den Schultern nehmen. Wenn wir erfahren, wie oft sich solche Fälle zutragen, wird es womöglich leichter, das Geschehene schneller einzuordnen. Die Berichte helfen den Betroffenen. Sie geben ihnen das Gefühl, dass es eben nicht an ihnen liegt, dass sie nicht die einzigen sind, denen derlei widerfahren ist. Das kann ein Gefühl einer einsamen Erfahrung verändern.

Sie sollte doch, sie hätte doch

Denn dass es sich wohl für viele so anfühlt, davon zeugt die Diskrepanz zwischen den offenbar weitverbreiteten Erfahrungen mit Übergriffen und Sexismus auf der einen Seite und den Anfragen und Beschwerden bei öffentlichen Stellen wie Ärztekammer oder Patienten- und Patientinnenanwaltschaft auf der anderen, die dort kaum aufschlagen. Die Gründe dafür liegen nicht in der mangelnden Solidarität gegenüber anderen Betroffenen, sondern darin, dass insbesondere bei Leiden von Frauen der Drang, sofort zu relativieren, groß ist. Na, da hat sie sich aber blöd angestellt, dass sie das so spät überrissen hat, hätte sie doch dieses oder jenes gesagt oder getan, was für eine Übertreibung, also wenn das schon Sexismus sein soll, weiß ich auch nicht mehr.

Kennen wir alles, Kommentare wie diese hören und lesen wir ständig. Dass es also schwer ist, sich an offizielle Stellen zu wenden, liegt auf der Hand. Und das, obwohl längst erwiesen ist, dass mit den Beschwerden, sowohl im eigentlichen wie im übertragenen Sinne, von Frauen auch im medizinischen Feld anders umgegangen wird. Leidet die wirklich? Ist da wirklich was?

Studien über den sogenannten Gender-Pain-Gap zeigen, wie tief Vorurteile à la "Wird schon nicht so arg sein" sitzen. Eine Studie von 2018 zeigt, dass Begriffe wie "sensibel", "simulieren" oder auch "hysterisch" häufiger auf Schmerzberichte von Frauen angewendet werden. Eine andere Untersuchung zeigt, dass Frauen in Notaufnahmen in den USA im Durschnitt 16 Minuten länger als Männer auf ein Medikament warten, nachdem sie zum ersten Mal Bauchschmerzen gemeldet haben. Und die Wahrscheinlichkeit ist um sieben Prozent geringer, dass sie überhaupt Medikamente erhalten. Bei Endometriose dauert es durchschnittlich sieben bis neun Jahre, bis die teils sehr starken Schmerzen, die die gynäkologische Erkrankung auslöst, mit einer Diagnose erklärt werden. Eine britische Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass Frauen bei sechs von elf Krebsarten länger auf eine Diagnose warteten als Männer.

Die spinnt doch

Noch häufiger ist ein vorurteilsbedingter Umgang mit Patientinnen bei nicht weißen Frauen. Rassistische und sexistische Stereotype verschlechtern laut dem Royal College of Obstetricians and Gynecologists sowohl ihre reproduktive Gesundheit als auch die Gesundheit von Müttern.

Bei all diesen Untersuchungen und Studien kommt wieder dieser Begriff in den Sinn, mit dem Frauen noch immer gern beschrieben werden: hysterisch. Die "Hysterie" geisterte lange durch die Medizingeschichte. Erst galt sie als "Frauen"-Krankheit, bei der die Gebärmutter durch den Körper wandere und andere Organe befalle. Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch Josef Breuer und Sigmund Freud die "Hysterie" immerhin zu einer psychischen Erkrankung. So oder so, "die Hysterie ist eine organische Krisis der organischen Verlogenheit des Weibes", schrieb Otto Weininger 1903. Das Hysterische ist bis heute als etwas genuin Weibliches hängengeblieben, die Übertreibung, die Simulation – kurz: "Die spinnt halt."

Egal ob es organische Schmerzen sind oder die Erfahrung eines Übergriffs oder Sexismus während man gerade teilentkleidet in einem Behandlungszimmer steht: Diese Angst vor so einem "Die spinnt halt" hält sowohl Beschwerden als auch Anzeigen niedrig – und deshalb sind unkomplizierte Wege, darüber zu reden, noch immer so wichtig. Nicht zuletzt auch, weil sie richtig schön wütend machen. (Beate Hausbichler, 20.1.2022)