Verteidigungsministerin Tanner ehrte am Dienstag jene vier Soldaten auf die am Montag ein Schlepper schoss – ob mit echter Munition oder einer Schreckschusspistole ist noch unklar.

Foto: APA/BUNDESHEER/DANIEL TRIPPOLT

Etwa 40.000 Asylwerber kamen im vergangenen Jahr nach Österreich. Die Hälfte davon über die burgenländisch-ungarische Grenze. Da wurde der Migrationsdruck besonders spürbar, erklärt Helmut Marban, Sprecher der burgenländischen Polizeidirektion. "Und die Schlepper wurden im Vorjahr rücksichtsloser und gewaltbereiter." Bis hin zu den Schüssen, die am Montag ein – mittlerweile als 26-jähriger Moldawier identifizierter – Schlepper auf einen ihn verfolgenden Assistenzsoldaten abgefeuert hat. Verletzt wurde niemand. Am Dienstag war der Schütze noch auf der Flucht, höchstwahrscheinlich in Ungarn.

Marban erinnert an die zwei toten Flüchtlinge im Oktober an der Grenze bei Siegendorf; an die Schüsse ungarischer Grenzer auf ein nach Neckenmarkt durchbrechendes Schlepperfahrzeug vor zwei Wochen; an die rücksichtslose Flucht, die im Sommer in Eisenstadt nur durch Schüsse der verfolgenden Polizisten gestoppt wurde. Dass nun auf Soldaten geschossen wurde, sei noch einmal eine neue Qualität.

Mehr illegale Übertritte

Vor allem in den Dörfern an der Grenze wurde es, wie man hier sagt, entrisch. Johannes Igler, VP-Bürgermeister im mittelburgenländischen Neckenmarkt, kritisiert, dass der Güterweg nach Harka nicht bewacht werde, während "am offiziellen Grenzübergang in Deutschkreutz streng der Impfstatus kontrolliert wird".

Walter Temmel, VP-Bürgermeister im südburgenländischen Bildein, wo am Montag das Schlepperfahrzeug über die Grenze kam, merkt "seit gut einem Monat" eine Zunahme der illegalen Grenzübertritte. "Am Montag kamen ja nicht nur die zwölf in dem besagten Schlepperfahrzeug, sondern insgesamt mehr als 20." Temmel hat sein Bildein seit Jahren zum "Dorf ohne Grenzen" gemacht. "Wir sind ganz eng mit den Nachbarn." Aber die zunehmende Gewaltbereitschaft lasse auch die Bildeiner – "an sich nicht sehr ängstlich" – nicht unberührt.

Druck auf die Schlepper

400 Schlepper wurden 2021 in Österreich identifiziert, im Vergleich zu 311 im Jahr davor. "Wir beobachten eine Häufung von Fällen, in denen versucht wird, sich der Anhaltung zu entziehen", sagt Gerald Tatzgern, Leiter der Abteilung Schleppereibekämpfung im Bundeskriminalamt. Als Grund für das steigende Gewaltpotenzial vermutet er, dass die Schlepper von kriminellen Netzwerken, die es auf dem Balkan und in der Türkei gäbe, unter Druck gesetzt werden. Sie müssen "liefern". Vermehrt würden auch Waffen sichergestellt, sagt Tatzgern.

Von einer "dramatischen Situation" sprach Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Dienstag während eines Besuchs bei seinem ungarischen Amtskollegen Sándor Pintér in Budapest. Die Polizei müsse "noch konsequenter" vorgehen, kündigte Karner an. Dazu soll die laufende Kooperation mit Ungarn weiter ausgebaut werde.

Seit September 2021 sind in Ungarn 35 österreichische Polizisten im Einsatz, um Migranten schon vor dem Grenzübertritt nach Österreich zu kontrollieren und zu registrieren. In den nächsten Monaten soll das Kontingent auf 50 Beamte aufgestockt werden.

Kritik an Ungarns Asylsystem

Während Gerald Tatzgern die Kooperation mit Ungarn in den höchsten Tönen lobt, hält sie Lukas Gahleitner von der Asylkoordination für kein sinnvolles Mittel zur Schlepperbekämpfung. "Dadurch, dass es keine legalen Fluchtwege gibt, schafft man ja erst die Grundlage für Schlepperei", sagt er. Statt das Polizeiaufgebot an der Grenze zu erhöhen solle man lieber die reguläre Einwanderung erleichtern, um irreguläre Migration zu reduzieren.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Flüchtlinge in Ungarn keinen Zugang zum Asylsystem haben. Seit 2018 erlaubt es ein Gesetz, Asylanträge ohne jegliche Prüfung abzulehnen, wenn jemand über ein Land eingereist ist, in dem ihm keine Verfolgung droht – zum Beispiel Serbien. Der Europäische Gerichtshof verurteilte diese Praxis Ende 2020 als EU-Rechts-widrig. Im Dezember 2021 klagte die EU-Kommission Ungarn erneut, weil Asylwerber nach wie vor systematisch und ohne Prüfung von Anträgen nach Serbien abgeschoben werden. "Das findet nicht statt", sagt Tatzgern auf die Frage, ob sich österreichische Polizisten bei ihrem Einsatz in Ungarn an solchen Praktiken beteiligen. "Ungarn ist kein verlässlicher Partner, wenn es um die Einhaltung von grundrechtlichen Standards geht", kritisiert Gahleitner. (Johannes Pucher, Wolfgang Weisgram, 18.1.2022)