Ärzte und Probanten konnten nicht unterscheiden, welcher Wirkstoff verabreicht wurde. Dennoch verspürten auch jene mit einem Placebomittel "Nebenwirkungen".

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Boston – Covid-19-Impfgegner führen regelmäßig mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Impfstoffe als Argument für die Verweigerung der Impfung an. Doch eine am Dienstag online in der Zeitschrift der amerikanischen Ärztegesellschaft ("JAMA") publizierte Studie rückt diese Ansichten zurecht: In zwölf Placebo-kontrollierten Impfstoffstudien klagte rund ein Drittel der Probanden trotz einer Scheinimpfung über "Nebenwirkungen", die den ganzen Körper betrafen.

45.380 Studienteilnehmer

Die Metaanalyse von Julia Haas vom Programm für Placebostudien der Harvard Medical School in Boston (USA) umfasste 45.380 Teilnehmer von zwölf randomisierten und mit Placebokontrolle abgelaufenen Covid-19-Impfstoff-Untersuchungen. Ohne dass Probanden oder Ärzte es unterscheiden konnten, hatte ein Teil der Probanden im Alter über 16 Jahre in den Untersuchungen einen Covid-19-Impftsoff (22.802 Personen) erhalten, der Rest (22.578 Personen) ein Placebo.

"Nach der ersten Dosis traten bei 35,2 Prozent der 22.578 Placebo-Empfänger systemische unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf. Am häufigsten nannten die Betroffenen Kopfschmerzen und Müdigkeit mit 19,3 Prozent bzw. 16,7 Prozent. Über mindestens ein lokales Ereignis wie Schmerzen an der Injektionsstelle, eine Rötung oder Schwellung berichteten 16 Prozent der Placebogruppe. Nach der zweiten Placeboinjektion traten noch bei 31,8 Prozent der Placeboempfänger Noceboreaktionen auf", schrieb dazu am Dienstag das "Deutsche Ärzteblatt". Unter "Noceboeffekt" versteht man eine negative Auswirkung eines Scheinmedikaments.

Getäuschtes Körpergefühl

Naturgemäß berichteten die Personen, die wirklich einen experimentellen Impfstoff erhalten hatten, häufiger über unerwünschte Reaktionen. 46,3 Prozent gaben zumindest eine den ganzen Körper betreffende unerwünschte Arzneimittelwirkung an, 66,7 Prozent berichteten von zumindest einer lokalen Impfreaktion, also zum Beispiel von Rötungen oder Schwellungen an der Einstichstelle.

"Das Verhältnis zwischen der Placebo- und der Impfstoffgruppe zeigte, dass Nocebowirkungen für 76 Prozent der systemischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen nach der ersten Teilimpfung in der Gruppe der Covid-19-Vakzin-Empfänger verantwortlich waren, ebenso für 51,8 Prozent dieser unerwünschten Wirkungen nach der zweiten Teilimpfung", schreiben Julia Haas und ihre Mitautoren. Es ist ja laut den Wissenschaftern davon auszugehen, dass der negative Placeboeffekt auch in der Gruppe jener Studienteilnehmer auftritt, die den echten impfstoff bekommen haben.

Jedenfalls sollte man bei Impfkampagnen auch darauf hinweisen, dass in solchen Studien selbst unter Placebo oft von unerwünschten Wirkungen berichtet wird, betonen die Forscher. Unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit würden nach der Zulassung der Impfstoffe oft in den Fach- und Gebrauchsinformationen angeführt. Das führe dazu, dass Menschen ähnliche Beschwerden fälschlicherweise einer Impfung zuschreiben, erklärt einer der Autoren, Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School. (APA, 19.1.2022)