Nicholas Ofczarek findet als Kommissar Winter in "Der Pass 2" zurück ins Leben. Oder auch nicht.

Foto: Sky Deutschland/W&B Television/epo-film/Sammy Hart

An Krimiserien herrscht in TV- und Streamingangeboten wahrlich kein Mangel. "Der Pass" sticht trotzdem hervor. Als Weiterentwicklung des schwedisch-dänischen Krimiereignisses "Die Brücke" hat das alpenländische Pendant auf Sky seinen Platz gefunden und gilt als erzählerische, schauspielerische und stilistische Ausnahmeerscheinung. Am Freitag geht sie in die zweite Staffel.

Ins Ermittlerteam von Nicholas Ofczarek und Julia Jentsch reihen sich Andreas Lust und Franziska von Harsdorf ein. Wieder treibt ein Serienmörder in acht Folgen sein Unwesen im deutsch-österreichischen Grenzgebiet, wieder steckt mehr dahinter, und wieder ist es eiskalt und dunkel. Über die Art, wie der äußerlich verletzte und innerlich arg zerrissene Kommissar Winter ins Leben zurückfindet, will sein Darsteller Nicholas Ofczarek nicht reden. Nur so viel: Es ist ein langer Weg zurück.

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STANDARD: Es muss eine Herausforderung gewesen sein, an das Ende der ersten Staffel anzuschließen. Welche Überlegungen stellten Sie an?

Ofczarek: Eine zweite Staffel ist immer schwierig. Wenn du die exakt gleichen Ingredienzen nimmst, wird es fad. Komplett neu erzählen darfst du es aber auch nicht. Wir haben eine andere Dramaturgie, sind dieses Mal mehr in der Welt des Täters und etwas weniger in der Welt der Kommissare. Wir Schauspieler haben aber nicht groß besprochen, was wir uns wünschen. Wir haben einfach den Autoren Cyrill Boss und Philipp Stennert vertraut.

STANDARD: Gedeon Winter ist ein klassischer Zerrissener. Was interessierte Sie an der Figur für die zweite Staffel?

Ofczarek: Die Frage, was ein so massiver Impact mit einem Menschen macht. Wie ihn die Todesnähe verändert. Wie diese Nähe seine Psyche, sein tägliches Leben beeinflusst und wie schwach man dann wird. Und was passiert, wenn man wieder einigermaßen hergestellt ist? Ist man dann ein anderer? Oder nicht?

STANDARD: Was ein weiteres Mal – und wir spoilern hier nicht! – zu einem genialen Staffelfinale führt.

Ofczarek: Ich denke, das ist etwas, das ich selbst an mir wiedererkenne: Man geht ja viele Umwege im Leben und hat seine Katastrophen. Die verändern einen auf eine gewisse Art und Weise, auf eine gewisse Art und Weise bleibt aber alles beim Alten. Das hat auch eine Komik.

STANDARD: Das heißt, Veränderung ist schwierig, aber nicht ausgeschlossen.

Ofczarek: Menschen mögen grundsätzlich keine Veränderung, die meisten haben sogar Angst davor. Mich hat gewundert, dass das Schlagwort unseres Altkanzlers war, Österreich zu verändern. Ich selbst wünsche mir manchmal Veränderung und habe Angst davor. Gleichzeitig merke ich, trotz allem bleibe ich der Alte. Oder auch nicht.

STANDARD: Wo würden Sie sich gern verändern?

Ofczarek: Angst war bei mir immer ein großes Thema, wobei ich selbst nie wusste, woher das kam. Das hat mit dem Nicht-im-Jetzt-Sein zu tun, und daran habe ich sehr an mir gearbeitet. Viele haben Glaubenssätze, die sie von den Eltern und von ihrem Umfeld übernommen haben, die sie für völlig normal halten, die sie leben und weitertragen, die aber unweigerlich in eine Einbahnstraße führen. Dann gilt es, eine andere Perspektive einzunehmen und seine Denkweise zu hinterfragen.

STANDARD: Welcher Glaubenssatz war Ihnen hinderlich?

Ofczarek: Mir fällt mein Vater ein. Wann immer ich mit einem Problem zu ihm ging, sagte er stets denselben Satz: "Burschi, des druck ma weg." Ein Klassiker – ja, ich versteh das. Aber verdrängen und geht schon? Das hat sich toll angehört, es hat für mich nur nie funktioniert. Wegdrucken hat überhaupt keinen Sinn, wie wir wissen. Daran habe ich etwas verändert.

STANDARD: Was ist die Alternative?

Ofczarek: Sich dem Problem in aller Klarheit stellen, dann verliert es meistens auch an Monstrosität.

STANDARD: Wie stellt man sich seiner Angst?

Ofczarek: Meistens ist es ja nicht nur eine. Ich hatte zum Beispiel früher enormste Probenangst. Im Theater und auch beim Drehen. Da war es sogar noch schlechter, weil es da um totale Entspannung geht, trotz aller Umstände, die hinter der Kamera passieren. Du spielst eine intime Situation, es sind aber 30 Leute im Raum, die nur mit ihrem Fachgebiet beschäftigt sind. Mit "wegdrucken" kam ich da nicht viel weiter, und dann findet man mit der Zeit Strategien, wie man es sich und den anderen leichter macht. Mein Problem war außerdem, dass ich die Angst gespürt habe, die anderen aber nicht. Wahrscheinlich, weil ich dann immer ein bissl aggressiv war, und sie dachten, der spinnt.

STANDARD: Welche Strategien?

Ofczarek: Eine ganz fantastische Strategie ist zum Beispiel, "Guten Morgen", "Guten Tag" und Danke zu sagen. Also, wie geht man miteinander um? Wie erzeugt man so etwas wie Freiheit für sich im Arbeiten? Theater, und Film noch mehr, sind rigide, hierarchische Systeme, eine künstlich hergestellte Situation für einen gewissen Zeitraum. Aber Hierarchie heißt nicht unbedingt, dass ich die Menschen neben mir unterdrücken und einengen muss, sondern dass ich eine gewisse Verantwortung habe. Ein gewisser gesunder sozialer Umgang der gegenseitigen Wertschätzung löst sehr viel Angst.

STANDARD: "Der Pass" ist auch in der zweiten Staffel eine düstere, dunkle Serie. Wie haben Sie die Lichtverhältnisse erlebt?

Ofczarek: Veranschlagt waren fünf Monate Drehzeit von Ende Jänner bis Ende Juni 2020. Dann kam Covid, wir hatten einen Drehabbruch im März. Es wurde Frühling, es wurde schön, und dann wusste man nicht, wie es weitergeht. Bis alles entschieden war, war es Herbst. Wir haben Ende September wieder begonnen zu drehen – mit Maske am Set, Lüften, Tests, und natürlich hatten wir nach drei Wochen den ersten Fall im Team. Ich wurde auch angesteckt, hatte einen mittelgradigen Verlauf, und dann haben wir halt wieder vier Wochen pausiert.

STANDARD: Klingt fordernd.

Ofczarek: Ein tolles Team, aber so freudvoll die erste Staffel war, umso größer war die Prüfung dieses Mal. Mein bester Freund starb während des ersten Lockdowns, mein Vater starb während des zweiten Drehblocks an Covid im Pflegeheim. Interessanterweise durfte ich in dieser letzten Drehwoche alle Krankenhausszenen drehen. Das war komisch. So gesehen war mir die Lichtsituation eher egal.

STANDARD: Uneingeschränkte Freude für die Zuschauer ist hingegen das Wiedersehen mit Claudia Kottal, mit der Sie bei "Wir Staatskünstler" das kongeniale Duo Michi und Mary (Häupl und Vassilakou) bzw. Niko Pelinka und Laura Rudas gaben. Soweit erkennbar, hatten Sie in "Der Pass" keine einzige gemeinsame Szene – aber wie kam Claudia Kottal zu "Der Pass"?

Ofczarek: Ich habe sie empfohlen. Ich kenne Claudia schon lange, sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin.

STANDARD: Mit Serien kann man als Schauspieler im Moment international sehr weit kommen. Reizt Sie die große weite Streamingwelt?

Ofczarek: Jetzt bin ich 50, ich muss nicht nach "America", ich lebe gerne hier. Es geht mir eh gut, das sind Themen für jüngere Menschen.

STANDARD: Zuletzt spielten Sie auffallend weniger Theater.

Ofczarek: Das ist richtig. Ich war ein wenig theatermüde, weil ich sehr viel auf der Bühne stand, fast immer am selben Haus. Dazu kaum auch, dass ich zunehmend weniger Angst vor der Kamera habe und immer mehr zu verstehen glaube, worum es geht. Ich möchte meine Erfahrungen aus dem Theater ins Drehen transferieren – und insgesamt einfach ein bissl weniger machen. Ich will nicht mehr hoch hinaus.

STANDARD: In "Die Ibiza-Affäre" spielten Sie den Anwalt Julian H. Das führt zur Frage: Wie viel von Julian H. steckt in Gedeon Winter?

Ofczarek: Na, die sind wahrscheinlich verschwägert. Cousins zweiten Grades, beides eher abgerockte Menschen. (Doris Priesching, Thorben Pollerhof 20.1.2022)

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