Während die Welt nach der Vulkanexplosion und dem darauffolgenden Tsunami gebannt auf Tonga schaut und die Folgen der Katastrophe auf den Inseln erst nach und nach sichtbar werden, jährte sich am Mittwoch ein bizarres Ereignis aus der Geschichte des Königreichs zum fünfzigsten Mal. Am 19. Jänner 1972 entstand mitten im Südpazifik eine neue Nation: Die Republik Minerva wurde ausgerufen.

Riffe im Nirgendwo

Rund fünfhundert Kilometer südwestlich von Tongatapu, der Hauptinsel des Königreichs Tonga, befinden sich auf dem Kermadec-Tonga-Bogen zwei kleine Riffe, Nord-Minerva und Süd-Minerva, die einen Durchmesser von fast sieben respektive fast fünf Kilometern haben. Die Riffe liegen im Wesentlichen bis zu einem Meter unter der Meeresoberfläche.

Benannt sind die Minerva-Riffe nach dem australischen Walfangschiff Minerva, das hier im Jahr 1829 auf Grund lief. Auch für zahlreiche andere Schiffe davor und danach wurde Minerva zur Falle. Wie und warum sollte hier ein eigener Staat gegründet werden?

Die Minerva-Riffe von der Internationalen Raumstation aus gesehen. Im Bild links liegt Nord-Minerva, rechts Süd-Minerva, das die Form des Unendlichkeitszeichens hat.
Foto: Nasa/ISS

Initiiert wurde die Republiksgründung von dem US-amerikanischen Immobilienmillionär Michael Oliver. Oliver, ein bekannter Libertärer, stellte mithilfe seiner Stiftung, der Phoenix Foundation, die Finanzierung für das Projekt der Gründung eines unabhängigen libertären Staates zur Verfügung. Angeblich standen dafür mehrere Hundert Millionen Dollar bereit, die Stiftung betrieb Büros in London und New York.

"Sea City"

Auf Minerva sollte Sea City, eine Stadt für dreißigtausend Einwohner, errichtet werden. Die Menschen sollten in Minerva frei sein zu tun, was immer sie wollen, erklärte der Projektingenieur Morris C. Davis, genannt "Bud", der Oliver ab Februar 1972 als provisorischer Präsident der neuen Republik diente: "Nichts wird illegal sein, solange es nicht die Rechte anderer Menschen beeinträchtigt. Wenn ein Bürger eine Taverne eröffnen möchte oder Glücksspiel betreiben will oder pornografische Filme machen will, wird sich die Regierung nicht einmischen".

Schon im Jahr 1971 wurde von Australien aus Sand zu den Riffen geschifft, um diese über Meeresniveau zu heben. Eine kleine Plattform wurde errichtet, auf der am 19. Jänner auf einem stählernen Turm schließlich die Flagge der Republik gehisst wurde: eine gelbe Fackel in einem gelben Kreis auf blauem Grund. Gleichzeitig erhielten die Nachbarn die Unabhängigkeitserklärung des neuen Staates übermittelt. Sogar Münzen einer eigenen Währung, des Minerva-Dollars, wurden schließlich geprägt.

Die Flagge der Republik Minerva: eine gelbe Fackel auf blauem Grund.

Die Anrainerstaaten reagierten prompt. Bei einer Konferenz am 24. Februar berieten Australien, die Cook-Inseln, Fidschi, Nauru, Neuseeland, Samoa und Tonga über Minerva. Tonga erklärte seinen Anspruch auf das Gebiet. Am 15. Juni veröffentlichte das Königreich Tonga eine Proklamation von König Tupou IV. : "Da die als Nord-Minerva-Riff und Süd-Minerva-Riff bekannten Riffe den Tongaern seit langem als Fischgründe dienen und lange schon als zum Königreich Tonga gehörend angesehen werden und Teleki Tokelau und Teleki Tonga genannt werden und da es angebracht ist, dass wir nun am Anspruch den Königreichs Tonga auf diese Inseln festhalten, bekräftigen und erklären wir nun, dass die Inseln, Felsen, Riffe, Küsten und Gewässer innerhalb eines Radius von zwölf Meilen Teil unseres Königreiches Tonga sind."

Minerva liegt südlich von Fidschi und Tonga auf dem Kermadec-Tonga-Bogen.

Militäreinsatz

Die "Rückeroberung" Minervas durch tongaische Truppen wurde drei Tage später, am 18. Juni 1972, gestartet. Am nächsten Tag konnte die Flagge Tongas auf Nord-Minerva gehisst werden, am 21. Juni auch auf Süd-Minerva. Tupou IV. ließ es sich nicht nehmen, bei dem Feldzug selbst anwesend zu sein.

Weitere "Staatsgründungen"

Die Phoenix Foundation beendete ihre dubiosen Bemühungen um die Errichtung eines unabhängigen Staates nach dieser Niederlage nun aber nicht. Schon 1973 wurde auf der Bahamas-Insel Abaco der nächste Versuch gestartet, und 1980 wurde auf der zu Vanuatu gehörenden Insel Espiritu Santo die Republik Vemerana ausgerufen. 1982 versuchte Bud Davis mit einer kleinen Gruppe erneut, die Riffe in Besitz zu nehmen, wurde aber nach drei Wochen erneut von Tonga vertrieben.

Auch die Idee eines Minerva-Staates war damit nicht beendet. So reklamierte im Jahr 2003 ein gewisser Prince Calvin aus der Stadt Charleston im US-Bundesstaat South Carolina das "Fürstentum Minerva" für sich.

Konflikt zwischen Fidschi und Tonga

Obwohl das Südpazifikforum Tongas Anspruch auf Minerva noch im September 1972 anerkannte, ist die rechtliche Situation dennoch nicht unumstritten: Auch Tongas westlicher Nachbar Fidschi sieht sich als rechtmäßiger Herr über die Riffe. Die Annexion der Republik Minerva durch Tongas Truppen wurde von Fidschi nicht anerkannt. Im Jahr 2005 reichte Fidschi bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) in Kingston eine Beschwerde betreffend die Besitzansprüche Tongas auf die Minerva umgebenden Gewässer. Tonga antwortete mit einem Gegenantrag.

Affäre um Tevita Mara

Als Tonga sich 2010 anschickte, einen Leuchtturm auf Minerva zu errichten, erklärte die fidschianische Regierung, sich alle Maßnahmen vorzubehalten, um die territoriale Integrität Fidschis zu wahren. Im Mai 2011 vertrieben Marineschiffe Fidschis neuseeländische Yachten aus dem Gebiet und zerstörten Navigationsbaken, die von Tonga errichtet worden waren. Im Juni fuhren tongaische Schiffe vor, um die Baken wiederherzustellen, die Schiffe Fidschis zogen sich zurück und vermieden so eine offene militärische Konfrontation.

Parallel zu dem Zank über die Riffe lief ein Konflikt zwischen den beiden Staaten um einen angeblichen Putschversuch gegen Fidschis Regierungschef Frank Bainimarama. Der ehemalige Armeeoffizier Tevita Mara wurde beschuldigt, Bainimarama stürzen zu wollen, und floh mit einem Boot. Eine tongaische Patrouille griff Mara auf und brachte ihn nach Tonga. Dem Auslieferungsbegehren Fidschis kamen die tongaischen Behörden nicht nach. Mara – der Sohn Kamisese Maras, des Gründungsvaters und langjährigen Regierungschefs und Präsidenten Fidschis – erhielt in der Folge die tongaische Staatsbürgerschaft und diente dem König Tongas als Berater.

Ziel für Segler

Wem auch immer sie nun gehören, die Minerva-Riffe sind ein beliebter Anlaufpunkt für Segler. Von einem solchen Segeltörn sind zahlreiche Fotos von den Riffen und auch von der reichen Unterwasserwelt auf dieser Webseite zu finden. (Michael Vosatka, 19.1.2022)