Produzenten haften bei irreführender Werbung auch direkt gegenüber den Verbrauchern. Das hat der Oberste Gerichtshof in einer aktuellen Entscheidung klargestellt.

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Auch Tresore bieten keine absolute Sicherheit, das musste ein Paar aus Wien schmerzlich erfahren. Als die beiden eines Tages nach Hause kamen, war ihr Tresor leergeräumt – und 60.000 Euro scheinbar für immer verloren.

Jetzt dürfte die Geschichte für die Lebensgefährten aber gut ausgehen, auch wenn sie dafür bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) prozessieren mussten. Aus Sicht der Höchstrichter haftet für den Schaden nämlich der Hersteller, der den Tresor auf seiner Website irreführend beworben hatte.

Das wirklich Erstaunliche an der Entscheidung ist aber deren Begründung: Laut OGH dürfen bei Wettbewerbsverstößen – dazu zählt auch irreführende Werbung – nämlich auch Verbraucher Ansprüche geltend machen, und nicht nur Mitbewerber. Bisher war das unter Juristinnen und Juristen umstritten (OGH 16.12.2021, 4 Ob 49/21s).

Falsche Sicherheitsstufe

Das Paar hatte den Safe im Fachhandel gekauft und sich deshalb dafür entschieden, weil er auf der Website des Herstellers mit der Sicherheitsstufe EN-1 beworben wurde. Das war auch jene Sicherheitsstufe, die die Haushaltsversicherung im Versicherungsvertrag voraussetzte. Als sich die Lebensgefährten kurz nach dem Diebstahl an die Versicherung wandten, blitzten sie aber ab. Der Tresor habe die Kriterien für EN-1 nämlich gar nicht erfüllt.

Von der Versicherung war somit nichts zu holen. Auch der direkte Verkäufer des Tresors war nicht greifbar, weil das Unternehmen aufgelassen worden war. Dem Paar drohte, auf 60.000 Euro Schaden sitzenzubleiben.

In einem zweiten Anlauf wandte es sich daher direkt an den Hersteller. Die falschen Angaben auf der Website seien eine "irreführende Geschäftspraktik" und damit ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht gewesen, der den Schaden verursacht habe. Hätte der Safe die erforderliche Sicherheitsstufe erfüllt, hätte die Haushaltsversicherung die 60.000 Euro nämlich bezahlen müssen.

Anspruch auch für Verbraucher

Vor dem Landesgericht Wien und dem Oberlandesgericht Wien scheiterten die Kläger mit dieser Argumentation. Zwischen den Käufern und dem Hersteller bestehe kein Vertragsverhältnis. Auch ein Anspruch wegen einer "irreführenden Geschäftspraktik" gehe ins Leere. Denn bei Verstößen gegen den lauteren Wettbewerb hätten nur Mitbewerber einen Anspruch auf Schadenersatz.

Der Oberste Gerichtshof sieht das in seiner aktuellen Entscheidung nun anders: Er hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurück ans Erstgericht verwiesen. Warum bei einem Wettbewerbsverstoß zwar geschädigte Mitbewerber, nicht aber geschädigte Verbraucher Schadenersatz fordern können, sei "wertungsmäßig nicht nachvollziehbar". Das Paar dürfe den Schadenersatz daher direkt gegenüber dem Produzenten geltend machen.

Rückschritt im Verbraucherrecht?

"Bisher war das Thema höchst umstritten", erklärt Rechtsanwältin Melanie Haberer, die die Kläger vor Gericht vertrat. Jetzt sei klargestellt, dass bei falschen Werbeangaben künftig auch für Verbraucher ein direkter Anspruch gegen den Hersteller besteht. Das sei vor allem dann von praktischer Relevanz, wenn der Händler insolvent oder sonst nicht greifbar ist.

"Die Entscheidung ist richtig und eine wichtige Klarstellung", sagt Friedrich Rüffler, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Wien. "Und sie kommt zu einem interessanten Zeitpunkt." Österreich setze derzeit eine EU-Richtlinie um, die die Ansprüche von Verbrauchern bei Wettbewerbsverstößen explizit festschreibe.

Im aktuellen Entwurf des Wirtschaftsministeriums sei jedoch ein "empfindlicher Rückschritt im Schadenersatz für Verbraucher vorgesehen", kritisiert Rüffler. Dort sei nämlich geregelt, dass nur "offensichtliche Verstöße" gegen das Wettbewerbsgesetz einen Anspruch begründen. Sollte der Nationalrat das Gesetz beschließen, würde der Schutzstandard also wieder hinter die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zurückfallen. (Jakob Pflügl, 19.1.2022)