Die drei Wissenschafter des Instituts für Höhere Studien Katharina Gangl, Florian Spitzer und Thomas Czypionka argumentieren in ihrem Gastkommentar, warum eine Impfpflicht nicht die einzige Maßnahme gegen die Corona-Pandemie sein sollte. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar von Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak: Letzte Waffe Impfpflicht.

Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Auch in den nächsten Jahren müssen wir immer wieder mit mehr oder weniger schlimmen Wellen rechnen, die das Potenzial haben, nicht nur unsere individuelle Freiheit, sondern die Gesellschaft und Wirtschaft stark einzuschränken. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die Impfung ein zentraler Bestandteil der Pandemiebekämpfung ist.

Die Impfbereitschaft in Österreich lässt allerdings zu wünschen übrig. Aktuell haben 71 Prozent der Bevölkerung einen aufrechten Schutz, der allerdings in den kommenden Wochen bei 900.000 Menschen ablaufen wird. Das bedeutet, es ist nicht nur die Bereitschaft zur Erstimpfung, sondern auch zur Auffrischungsimpfung ausbaufähig. Dieses Phänomen aus der ökonomischen Epidemiologie ist leider bei vielen Infektionskrankheiten bekannt: Bei wahrgenommen sinkender Gefährlichkeit und Prävalenz leiden Präventionsbemühungen, was ein Wiederaufflammen begünstigt.

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Geld gegen Impfung? Eine Impfprämie in Unternehmen kann die Impfbereitschaft steigern.
Foto: Getty Images

Die Erkenntnisse aus den Verhaltenswissenschaften können dazu beitragen, die Impfbereitschaft zu erhöhen. Man geht davon aus, dass Menschen nur begrenzt rational handeln und in ihrem Verhalten systematisch von sozialen Einflüssen, Emotionen oder kognitiven Verzerrungen beeinflusst sind. Einer der bekanntesten Einflussfaktoren sind soziale Normen. Menschen orientieren sich (meist unbewusst) in ihren Verhaltensweisen an anderen Menschen, die ihnen ähnlich sind oder die sie bewundern. Wenn alle Freunde oder Kolleginnen und Kollegen geimpft sind, wird man dieser Norm sehr wahrscheinlich folgen und sich auch impfen lassen. Wenn jedoch alle Freunde oder Kolleginnen und Kollegen nicht geimpft sind, wird man sich wahrscheinlich eher nicht impfen lassen.

Auf Basis einer genauen Analyse der individuellen Ursachen für Verhalten, im Kontext der Impfung besonders Gründe für Zweifel, Zurückhaltung oder Ablehnung, werden in den Verhaltenswissenschaften dann zielgruppenspezifische Maßnahmen zur Steigerung der Impfbereitschaft entwickelt. Sind zum Beispiel soziale Normen als Ursache identifiziert, könnten diese in der Einladung zum Impftermin erwähnt werden: "In Ihrem Betrieb haben sich bereits 80 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Boosterimpfung geholt."

Gesichtswahrender Effekt

Die verhaltenswissenschaftliche Perspektive fokussiert besonders auf das Anerkennen individueller Beweggründe für ein Verhalten. Eine einzige Lösung zur Erhöhung der Impfbereitschaft gibt es daher wahrscheinlich nicht. In diesem Sinne ist das Hoffen auf die eine Wunderwaffe, die alle unsere Probleme kurzfristig löst, unberechtigt. Das betrifft natürlich auch die aktuelleEinführung der Impfpflicht. Die Impfpflicht erlaubt es, sich impfen zu lassen, ohne dass man seine Meinung zur Impfung ändern muss. Dieser gesichtswahrende Effekt, neben anderen Aspekten wie der Angst vor einer Kontrolle und Strafe, wird sicherlich einige zur Impfung motivieren.

Dass die Impfpflicht aber allein, die ja am Arbeitsplatz gar nicht gilt und deren konkrete endgültige Ausgestaltung noch nicht fix ist, die Impfquoten ausreichend erhöht, um eine Überlastung des Gesundheitssystems schon im nächsten Winter zu verhindern, ist unsicher. Tatsächlich zeigt eine Studie in acht europäischen Ländern, dass sowohl die Gründe für eine geringe Impfbereitschaft als auch wirksame Maßnahmen zu ihrer Erhöhung individuell und gesellschaftsspezifisch sind. Das bedeutet, dass es sinnvoll ist, viele verschiede Maßnahmen zur Erhöhung der Impfbereitschaft zu entwerfen, diese auch gleichzeitig einzusetzen und idealerweise auf ihre Wirksamkeit hin zu evaluieren.

"Wenn alle Freunde oder Kolleginnen und Kollegen geimpft sind, wird man dieser Norm sehr wahrscheinlich folgen und sich auch impfen lassen. Wenn jedoch alle Freunde oder Kolleginnen und Kollegen nicht geimpft sind, wird man sich wahrscheinlich eher nicht impfen lassen."

Die betriebliche Impfprämie, also eine finanzielle Entschädigung für die Impfung durch den/die Arbeitgeberin/Arbeitgeber, kann eine von vielen Maßnahmen sein, die Impfquote zu steigern. Prämien in der Höhe von 500 Euro können den individuellen Nutzen einer Impfung und damit die Impfbereitschaft stark erhöhen. Der Nachteil einer Prämie ist, dass finanzielle Belohnungen dieaus einem selbst entstehende Motivation reduzieren. Wer einmal eine Prämie erhalten hat, erwartet sich auch für die Zukunft bei jeder Impfung eine Prämie.

Negativer Nebeneffekt

Dieser negative Nebeneffekt ist für Staaten schwer zu managen. Für Unternehmen kann es jedoch sinnvoll sein, eine Impfprämie einzusetzen, um gezielt, beispielsweise während einer akuten Welle, die Boosterimpfungen zu steigern und damit Krankenstände und Quarantäneausfälle zu reduzieren. Eine betriebliche Impfprämie kann auch vergleichsweise einfach langfristig eingesetzt werden, um rechtzeitig vor der nächsten Wintersaison die Grundimmunisierung durch Erst- und Zweitimpfungen anzuheben.

Eine betriebliche Prämie funktioniert deshalb gut, weil sie in die bestehenden Bonuszahlungen eingebettet werden kann und damit auch langfristig und zielgenau eingesetzt werden kann. Neben vielen anderen Gründen (Vertrauen zum eigenen Unternehmen, die "Stimmigkeit", eine Bezahlung vom Arbeitgeber zu erhalten), die für den Erfolg einer betrieblichen Impfprämie sprechen, wird diese sehr wahrscheinlich auch über soziale Normen und Vergleiche wirken. Der Eindruck, dass alle, auch die engen Kolleginnen und Kollegen, sich impfen lassen haben und jetzt 500 Euro bekommen, kann ein starker Motivator sein.

Hohe Wirksamkeit

Umfassende empirische Studien zur Wirksamkeit der betrieblichen Impfprämie fehlen. Immer mehr Beispiele von Unternehmen, die die Impfprämie schon umgesetzt haben, deuten aber eine hohe Wirksamkeit an. Die ARA, ein Unternehmen aus der Abfallwirtschaft, oder das Bauunternehmen I&R Gruppe Lauterbach konnten ihre Impfquote durch unterschiedliche Prämiensysteme auf über 90 Prozent steigern. Die Wirksamkeit ist sicherlich individuell und in Bezug auf die soziodemografische Zusammensetzung der Belegschaft hin abzuschätzen. Auch sollte die Impfprämie nicht andere Maßnahmen wie betriebliche Impfaktionen ersetzen.

Eine pragmatisch und umsichtig eingesetzte betriebliche Impfprämie hat aber sicherlich das Potenzial, vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Unternehmen die Pandemie zu erleichtern. (Katharina Gangl, Florian Spitzer, Thomas Czypionka, 20.1.2022)


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