Bild nicht mehr verfügbar.

Niemand schläft immer gut. Wenn Schlafprobleme aber über Monate fortbestehen, ist eine medizinische Abklärung sinnvoll.

Foto: Getty

Der Prager Versicherungsangestellte Franz Kafka fieberte den Nächten in grauenvoller Erwartung entgegen. Schlaflosigkeit und quälende Träume raubten ihm die Kräfte, waren aber zugleich eine wichtige Quelle seiner literarischen Arbeit. "Schlaflose Nacht. Schon die dritte in einer Reihe. Ich schlafe gut ein, nach einer Stunde aber wache ich auf, als hätte ich den Kopf in ein falsches Loch gelegt", schrieb er im Oktober 1911 in sein Tagebuch. Phasenweise gelang es ihm, seine Wach- und Dämmerzustände produktiv zu nutzen, doch das schlaflose Träumen, wie Kafka es nannte, hatte seinen Preis. Er fühlte sich "stumpf wie ein Klotz und dabei unruhig wie ein Waldtier".

Heute wäre Kafka ein klarer Fall fürs Schlaflabor. Seine Tagebücher und Briefe zeichnen das Bild einer klinisch relevanten Schlafstörung, die sein Alltagsleben beeinträchtigte. Solche Störungen des Schlafverhaltens sind weitverbreitet – Studien lassen annehmen, dass acht Prozent der erwachsenen österreichischen Bevölkerung von einer chronischen Insomnie betroffen sind. Dazu kommen noch einmal so viele, die an Schlafproblemen leiden, aus denen sich chronische Störungen entwickeln können. "Fast jeder fünfte Erwachsene ist also betroffen", sagt der Neurologe und Schlafmediziner Stefan Seidel. "Und das ist kein österreichisches oder mitteleuropäisches Phänomen, Studien aus anderen Teilen der Welt zeigen ein ähnliches Bild."

Abklärung empfohlen

Seidel, der das Schlaflabor der Universitätsklinik der Med-Uni Wien leitet, rechnet mit einer weiteren Zunahme des Problems: Denn Schlafstörungen zählen zu den häufigsten Post-Covid-Beschwerden. Umso wichtiger sei es, dass Betroffene zeitnah professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, sagt Seidel. Umfragen zeigen, dass viele Patienten erst nach Jahren der Beschwerden ärztlichen Rat suchen: "Leider wissen wir aber: Wenn das Problem einmal chronisch geworden ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit, es wieder ganz wegzubekommen, enorm. Das ist ernüchternd, es gibt aber immer Behandlungsansätze, durch die sich der Schlaf verbessern lässt."

Ein paar schlechte Nächte, speziell in belastenden Situationen oder in einer neuen Umgebung, sind weder ungewöhnlich noch beunruhigend. Wann liegt aber eine Schlafstörung vor, die ernst genommen werden sollte? Mehrfaches Aufwachen in der Nacht ist völlig normal, sagt Seidel. Wer aber lange nicht einschlafen kann – mehr als 30 Minuten – oder Probleme beim Durchschlafen hat, die länger als drei Monate anhalten und zumindest dreimal pro Woche auftreten, sollte eine Abklärung andenken, sagt der Schlafmediziner. "Vor allem, wenn es tagsüber zu einer Beeinträchtigung kommt, wenn die Konzentrationsfähigkeit abnimmt oder die Stimmung leidet." Auch unerklärliche Tagesschläfrigkeit, ohne selbst Schlafprobleme bemerkt zu haben, könnte auf unerkannte Störungen hindeuten.

Von Baldrian bis Schlaflabor

Gegen die Einnahme pflanzlicher Arzneimittel wie Baldrian, Melisse oder Hopfen auf eigene Faust spreche zwar nichts, sagt Seidel. Eine leichte schlaffördernde Wirkung sei bei einigen Pflanzen belegt, ein Potenzial für Schädigungen oder gar Abhängigkeit gebe es nicht. "Wichtig ist aber, wenn der Leidensdruck über ein gewisses Maß hinausgeht, dass professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird." Erste Informationen könnten bei der österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin eingeholt werden. Der Hausarzt könne abklären, ob eingenommene Medikamente oder andere Erkrankungen die Ursache für die Schlafschwierigkeiten sind.

Was konkret hinter einer chronischen Schlafstörung steckt, kann ein Besuch im Schlaflabor ans Licht bringen. Dort schlafen Patienten eine, besser aber zwei Nächte hintereinander und werden einer sogenannten Polysomnografie unterzogen: Dabei werden verschiedene Sensoren am Körper angebracht, die während des Schlafs unterschiedliche Körperfunktionen aufzeichnen, darunter die hirnelektrische Aktivität, Augenbewegungen, Atmung, Muskelspannung und die Sauerstoffsättigung des Blutes.

Psychische Faktoren

Aus diesen Daten lässt sich ein detailliertes Schlafprofil erstellen, aus dem sich die unterschiedlichen Schlafstadien ablesen und mögliche Ursachen für eine verminderte Schlafqualität identifizieren lassen. Nicht selten sind Atemstörungen wie die Schlafapnoe oder das von unkontrollierbarem Bewegungsdrang in den Beinen gekennzeichneten Restless-Legs-Syndrom für den schlechten Schlummer verantwortlich. In Untersuchungsgesprächen wird aber auch nach Faktoren im Alltag der Betroffenen und nach psychosozialen Stressoren geforscht, die den Schlaf beeinträchtigen könnten. Häufig treten Schlafstörungen auch in Zusammenhang mit Depressionen und Angststörungen auf. Und nicht zuletzt verstärkt die Furcht vor der schlaflosen Nacht das Problem noch zusätzlich.

Oft können Experten den Betroffenen in der Nachbesprechung im Schlaflabor schon konkrete Vorschläge machen, wie sich ihre Schlafhygiene verbessern ließe. Der Verzicht auf Alkohol, Koffein und späte Mahlzeiten, auf abendlichen Sport oder Bildschirmzeit sind Grundvoraussetzungen. Auch die eigene Erwartungshaltung an die Bettruhe ist oft ein Teil des Problems, sagt der deutsche Schlafforscher Hans-Günter Weeß vom Pfalzklinikum Klingenmünster: "Was man auf keinen Fall tun sollte, ist, ins Bett zu gehen und dringend schlafen zu wollen. Das ist die beste Methode, um sich wach zu halten."

Denkmuster durchbrechen

Bei chronischen Schlafstörungen kann der Einsatz von Schlafmitteln oder Antidepressiva sinnvoll sein. Bei deren Verträglichkeit gebe es aber große individuelle Unterschiede, sagt Schlafmediziner Seidel. "Das ideale Medikament, das Betroffenen qualitativen Schlaf ganz ohne unerwünschte Effekte bringt, existiert bisher leider nicht." Das sei eines der großen Forschungsthemen der Schlafmedizin.

Längerfristige Erfolge bei der "Umprogrammierung" hinderlicher Denkmuster lassen sich häufig mit der kognitiven Verhaltenstherapie erzielen. Dabei werden mithilfe von Entspannungstechniken, Änderungen des Schlafsettings und der vorübergehenden Begrenzung der Schlafdauer eingelernte Verhaltensweisen geändert, die dem Schlaf im Weg stehen. Betroffene können sich an Psychotherapeuten oder Ärzte mit entsprechender Zusatzausbildung wenden.

Vielleicht hätte sich auch Kafka auf eine solche Therapie eingelassen. Die Verantwortung für seine Schlaflosigkeit verortete er jedenfalls sehr deutlich, als er 1920 an seine Freundin Milena Jesenská schrieb: "Der Schlaf ist das unschuldigste Wesen und der schlaflose Mensch das schuldigste." (David Rennert, 23.1.2022)