Auch die Omikron-Variante kann zu einem schweren Verlauf führen – deshalb sollte man nicht fahrlässig eine Infektion riskieren.

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Eine gewisse Schicksalsergebenheit scheint um sich zu greifen. Immer mehr Menschen denken sich, wenn ich mich jetzt mit der Omikron-Variante infiziere, dann habe ich es wenigstens hinter mir. Und irgendwie ist dieses Gefühl ja auch nachvollziehbar. Die aktuelle Kommunikation von der Durchseuchung vermittelt den Eindruck, man komme ohnehin nicht an einer Infektion vorbei – dann doch bitte lieber früher als später.

Es stimmt, man kann und will sich nicht dauernd zu Hause einsperren. Ein erfülltes Sozialleben ist außerdem extrem wichtig für das individuelle Wohlbefinden. Aber eine absichtliche Infektion – oder zumindest nicht darauf aufzupassen, dass man sich nicht infiziert – ist keine gute Idee. Fünf Gründe erklären, warum.

1. Omikron ist nicht einfach eine Erkältung

Ja, bei dieser Variante verläuft die Erkrankung deutlich milder als bei Delta – bis zu 80 Prozent Rückgang der Virulenz, wie das Prognosekonsortium angibt. Die Viruslast ist nämlich viel höher im oberen Bereich der Lunge, die tiefen Bereiche sind weniger betroffen. Das dürfte auch der Grund sein, warum man sich so schnell infiziert – salopp gesprochen ist der Weg nach draußen kürzer.

Doch auch wenn sich die Symptome einer Omikron-Infektion für viele anfühlen wie eine Erkältung – viele berichten von Husten, Heiserkeit, Schnupfen –, es ist immer noch eine Corona-Infektion. Das Reden vom milden Verlauf verleitet dazu, diese auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch die Omikron-Variante ist definitiv nicht harmloser als der Wildtyp, wahrscheinlich führt sie sogar zu schwereren Verläufen als die Ursprungsvariante. Das fällt nur nicht so auf, weil es jetzt die Impfungen und auch erste Medikamente gibt. Und die Ärztinnen und Pfleger haben mittlerweile sehr viel über die Behandlung gelernt, das kommt den Hospitalisierten zugute. Aber es besteht nach wie vor die Gefahr eines schweren Verlaufs, und die sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

2. Sie könnten Long Covid bekommen

Und diese Gefahr ist viel größer, als man meinen würde. Die Zahlen der Long-Covid-Betroffenen schwanken stark, eine konservative Schätzung sieht mindestens zehn Prozent der Infizierten betroffen. Andere Studien gehen von bis zu 40 Prozent mit Langzeitfolgen aus. Diese reichen von Atemnot über Herzprobleme bis hin zu massiven neurologischen Problemen und chronischem Erschöpfungssyndrom.

Natürlich, bei vielen heilen sich die Symptome wieder aus. Aber das ist ein langer und mühsamer Weg. Und ob sie tatsächlich wieder verschwinden, ist nicht klar. Viele Menschen sind dadurch mitten aus dem Leben gerissen worden, müssen sich völlig neu orientieren.

Zu Omikron und Long Covid gibt es – logischerweise – noch keine Zahlen. Aber Experten wie der Neurologe Michael Stingl sehen keinen Grund, warum diese Gefahr bei einer Omikron-Infektion nicht gegeben sein sollte. Ob eine Impfung vor Long Covid schützt, weiß man übrigens nicht. Die Studienlage ist zwiespältig, das Risiko dürfte zumindest reduziert sein. Doch sicher ist, dass eine Impfung gut vor einer Infektion schützt und allein dadurch das Risiko schon deutlich geringer ist.

3. Sie könnten die Infektion an Kinder oder gefährdete Personen weitergeben

Kinder unter fünf sind am stärksten davon gefährdet, sich mit Corona zu infizieren, weil es für sie noch keinen Impfschutz gibt. Es stimmt, sie stecken die Erkrankung zum allergrößten Teil sehr gut weg. Doch es gibt die Gefahr von Langzeitfolgen wie Long Covid oder MIS-C, einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, die vier bis acht Wochen nach einer Infektion auftritt und die Betroffene fast immer ins Krankenhaus bringt. Konservativ geschätzt – genaue Zahlen gibt es nicht – betrifft das eines von 3.000 bis 5.000 infizierten Kindern, wie der Mikrobiologe Michael Wagner von der Med-Uni Wien sagt. Und das ist kein kleines Risiko.

Und es gibt natürlich die Gruppe der vulnerablen Personen. Das sind Personen über 65 Jahren – wobei in dieser Gruppe der Immunschutz durch die Impfung sehr hoch ist –, aber auch kranke Menschen: jene mit Autoimmunerkrankungen, Krebspatienten, bei denen wegen der Therapie das Immunsystem unterdrückt ist, und alle, die organtransplantiert sind. Bei diesen Personen ist der Immunschutz aufgrund ihrer Therapien oft deutlich schlechter, sie reagieren häufig nicht gut auf die Impfungen. Nicht mit dem Virus in Kontakt zu kommen ist für sie der wichtigste Schutz.

4. Sie könnten das Gesundheitssystem belasten

Mehrmals wurde Österreich in den Lockdown geschickt, damit das Gesundheitssystem nicht an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Vom letzten profitiert das Land jetzt noch, trotz der massiv steigenden Zahlen. Die Krankenhäuser und Intensivstationen sind im Verhältnis mit wenigen Corona-Patienten belegt. Das muss und wird aber nicht so bleiben. Erstens weiß man noch nicht, ob die Hospitalisierungen aufgrund von Omikron tatsächlich so niedrig bleiben, wie es jetzt aussieht. Und zweitens werden schon aufgrund der schieren Masse an Infektionen viele Patientinnen und Patienten ins Spital müssen, was das System wieder überfordern kann.

Das ist auch deshalb problematisch, weil die Intensivbetten ja auch in Zeiten ohne Pandemie nicht leer sind. Sind viele Betten mit Corona-Patienten belegt, müssen womöglich wieder wichtige Operationen von Krebs- oder Herzkranken verschoben werden. Und insgesamt sinkt natürlich die Qualität der Pflege, wenn das Pflegepersonal ständig am Limit arbeiten muss.

5. Man sollte mit Krankheiten nie leichtfertig umgehen

Die Geschichte der Seuchen und Epidemien ist eine sehr lange. In der gesamten Menschheitsgeschichte wurden Fortschritt und Entwicklung immer wieder dadurch gestoppt und sogar stark zurückgeworfen, dass unzählige Menschen Krankheiten wie Pest, Pocken, Typhus, Cholera und mehr zum Opfer fielen. Zum Glück sind diese Krankheiten heute nicht mehr präsent in unserer Gesellschaft und in den meisten Fällen auch kein Todesurteil mehr. Aber durch ihr Verschwinden aus der öffentlichen Aufmerksamkeit kann man sich auch nicht mehr an deren fatale Folgen erinnern – das Verständnis dafür, was eine Pandemie ist, wurde nie geschult.

Es gibt aber nach wie vor Krankheiten, die das Potenzial dazu haben, Langzeitfolgen auszulösen. Bei den Kinderkrankheiten etwa zählen die Masern dazu, bei denen eine Hirnhautentzündung mit nachhaltiger Schädigung des Gehirns eine Langzeitfolge sein kann. Besonders Viruserkrankungen sind hier ein Problem, weil ihre Behandlung nicht immer einfach ist, anders als Antibiotika bei bakteriellen Infektionen gibt es hier nicht so schnell Medikamente. Auch bei Corona steckt die Versorgung mit wirksamen Medikamenten noch in den Kinderschuhen. Und das ist definitiv Grund genug, sich nicht absichtlich damit zu infizieren. (Pia Kruckenhauser, 21.1.2022)