Positive Tests halten Schulen in Atem. Sie suchen Freiwillige, die im Fall des Falles als Lehrer einspringen.

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Wien – Gülten Karagöz wähnt sich auf verlorenem Boden. Ihre zwei Mitarbeiter wurden positiv auf Corona getestet. Dieser Tage hat es den Lehrling erwischt. Nun schupft sie ihren Friseursalon allein. Alle Kundentermine hat sie abgesagt, um ihr Geschäft zu desinfizieren. Wie viele andere ihrer Zunft, deren Betrieb nahezu stillsteht, sieht sich die Wienerin an ihre Grenzen stoßen.

In drei Monaten erhalte sie die Lohnnebenkosten für ihre kranken Beschäftigten rückerstattet, sagt sie. "Aber wer ersetzt mir den Umsatz, den ich verliere?" Karagöz, die Friseure in der Innung der Wirtschaftskammer Wien vertritt, erzählt von einem boomenden Schwarzmarkt. Ungeimpfte ließen sich im großen Stil von mobilen Dienstleistern bedienen, was keiner kontrolliere. Der Bedarf an frischen Schnitten sei angesichts von Homeoffice und fehlender Veranstaltungen ohnehin enden wollend.

"Von Wien vergessen"

Anders als die Gastronomie könnten Friseure kein Take-away anbieten. Anders als Händler bleibe ihnen der Weg in den Onlinehandel versperrt. "Beide werden mit Gutscheinen gefüttert. Auf uns persönliche Dienstleister hat die Stadt Wien vergessen."

Weder Einzelhändler noch Wirte fühlen sich freilich im Vorteil. Mario Pulker zufolge sperren Restaurants derzeit reihenweise zu. Zum einen, weil ihre Mitarbeiter krank oder in Quarantäne sind, sagt der Gastronomieobmann, zum anderen, weil viele Gäste aufgrund der hohen Inzidenzen auf Lokalbesuche verzichten. "Wir sind im wirtschaftlichen Lockdown, obwohl wir offen halten dürfen. Wenn nicht bald was passiert, rollt eine massive Insolvenzwelle auf uns zu."

Passieren müsse etwa die Aufhebung der Sperrstunde um 22 Uhr. Diese wie aus Pulkers Sicht sinnlose andere Restriktionen würden der ÖVP auf den Kopf fallen. "Sie vertreibt ihre Kernwähler." Der Branchenchef verlangt eine längere mögliche Bewirtung bis Mitternacht. Ob das Risiko von Ansteckungen zu fortgeschrittener und alkoholgeschwängerter Stunde nicht steigt?

"Auf der Nase herumtanzen"

Ohne Kontrolle helfe auch eine Verordnung nichts, meint er mit Blick auf feiernde Jugendliche, denen Corona-Regeln einerlei seien. Als geradezu unerträglich empfindet er, "dass nach Freiheit schreiende Impfgegner" allen anderen, die im Gegenzug eingesperrt würden, weiter auf der Nase herumtanzten.

Personell an allen Ecken und Enden brennt es auch im Handel, warnt Handelsverbandschef Rainer Will. Die Möglichkeit, sich nach fünf Tagen freizutesten, helfe. Gerade bei dezentralen, filialisierten Unternehmen werde es jedoch immer schwieriger, täglich alle Standorte offen halten zu können.

Konzerne wie DM haben sich auf den Worst Case vorbereitet. Die Drogeriekette hat Filialen definiert, die nicht schließen dürfen. Einsatzpläne erlaubten es, die Ressourcen zu bündeln und das Personal standortübergreifend einzusetzen. Die Reichweiten bei Warenbeständen wurden erhöht, Sicherheitsbestände in den Geschäften aufgestockt. "Damit können wir im Worst Case Ausfälle von bis zu einem Drittel der Belegschaft abfedern", sagt DM-Chef Harald Bauer.

Lebensmittelkonzerne wie Rewe arbeiten mit Springerteams. In der sensiblen Logistik wird auf getrennte Mannschaften vertraut. Zwischen 1,5 und zwei Prozent der Mitarbeiter seien derzeit infiziert oder in Quarantäne, erläutert ein Sprecher. Kritisch werde es erst ab fünf bis sechs Prozent.

148.000 aktive Corona-Fälle

Die Gesamtzahl der Personen in Quarantäne ist jedenfalls bereits beträchtlich. Nach den aktuellen Informationen des Gesundheitsministeriums und der Stadt Wien, die Der STANDARD in Erfahrung bringen konnte, sind rund 415.000 Menschen in Österreich von Quarantänemaßnahmen betroffen. Davon sind – mit Stand Dienstag – 148.000 aktive Corona-Fälle. Weitere rund 267.000 sind Kontaktpersonen der Kategorie 1.

Positive Tests und Quarantäneausfälle sind auch bei Lehrkräften ein großes Thema. Allein in Wien gab es seit Anfang der Woche 67 positive Corona-Tests unter dem Schulpersonal. Mögliche kurzfristige Engpässe bei Lehrkräften sollen hier Lehramtsstudierende abfedern: Am Freitag ging von der Bildungsdirektion ein Brief an Pädagogische Hochschulen. Studierende werden darin aufgerufen, sich zu melden und "im Fall des Falles" als Lehrkraft einzuspringen, wie es aus dem Büro von Bildungsdirektor Heinrich Himmer hieß. Die freiwilligen Meldungen sammle man in einem Pool – es gebe bereits einzelne Rückmeldungen. Studierende werden teilweise schon bisher über Sonderverträge eingesetzt.

"Herausforderung"

Parallel dazu werden aktuell 600 Pädagoginnen und Pädagogen telefonisch kontaktiert, die zwischen 2019 und 2021 in Pension gingen. Auch hier hofft die Bildungsdirektion auf Freiwillige. "Wir holen niemanden zurück." Pensionierte Lehrkräfte sollen erst eingesetzt werden, wenn der Pool an Studierenden, die einspringen wollen, erschöpft ist. Einen generellen Engpass gebe es an Schulen bisher noch nicht. An einzelnen Schulen sei die Situation aufgrund der Quarantäneausfälle mittlerweile jedoch "eine Herausforderung".

Krisenpläne für den Fall, dass der Betrieb aufgrund des hohen Ausfalls an qualifizierten Betreuern nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, erstellen auch Kindergärten. Die Diakonie Bildung etwa ließ Eltern in Wien am Mittwoch wissen, dass sie seitens der MA 11 die Möglichkeit erhalten habe, auch nicht qualifiziertem Personal, wie Assistenten oder Reinigungskräften, die die Kinder kennen und denen man die Arbeit zutraue, die Betreuung zu übergeben. (Verena Kainrath, David Krutzler, 20.1.2022)