Bild nicht mehr verfügbar.

Für die Energiewende sind Erneuerbare das Um und Auf. Österreich fürchtet die Abwanderung von Investitionen hin zu Atomkraft und Gas.

Foto: AP /Michael Probst

Wien – Der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Martin Selmayr, hält mit seiner Einschätzung nicht hinterm Berg. Österreich werde es mit der von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) angekündigten Klage gegen die EU-Taxonomie für klimafreundliche Investitionen so gehen wie bei Hinkley Point. Man werde beim Europäischen Gerichtshof abblitzen wie vor zwei Jahren gegen die Milliarden-Beihilfen für das britische Atomkraftwerk (AKW).

Mit Blick auf die notwendigen qualifizierten Mehrheiten in EU-Rat und Europaparlament scheine die Debatte ohnehin verloren, sagte Selmayr am Mittwoch. "Die EU-Taxonomie verhindert ja gerade Greenwashing." Denn mit dem neuen Regelwerk müssen Banken und Fondsanbieter bei Anlageprodukten extra ausweisen, wo in Gas oder Atomkraftwerke investiert wird. "AKWs bekommen durch die neue, olivgrüne Kategorie bei Anlageprodukten kein grünes Gütesiegel" nach Art eines Blankoschecks.

Strenge Auflagen

Denn der Einsatz dieser beiden Übergangstechnologien bei der Energieerzeugung durch die souveränen Mitgliedsstaaten und die dazugehörigen Investitionen seien an strenge Auflagen gebunden, strenger als alle geltenden Regeln für Finanzinvestoren – auch zeitlich, nämlich bis längstens 2050, sagte der Vertreter der EU-Kommission mit Verweis auf die Nachhaltigkeitskriterien der Finanzbranche wie ESG (Environmental, Social, Governance).

Mahnt die Österreicherinnen und Österreicher, die Vorteile des EU-Binnenmarkts nicht zu übersehen: Martin Selmayr, der Mann der EU-Kommission in Wien.
Foto: HO / EU-Kommission / Peter Hautzinger

Im Übrigen gehe es bei der Klimataxonomie ausschließlich um den CO2-Ausstoß und nicht um die Art und Weise, wie die Mitgliedsstaaten für ihre Energieerzeugung sorgten, betonte Selmayr. Selbst der Weltklimarat erachte Nuklearenergie als Bestandteil bei der Energiewende. Ohne Investitionen in Gas und Atomstrom sei der Umbau des Energiesystems nicht machbar: Die Kosten dafür – pro Jahr geht es um 350 Milliarden Euro in der gesamten EU – könnten die Nationalstaaten nicht stemmen, deshalb brauche es private Investoren. "Wir können nicht gleichzeitig auf dem Mond und auf dem Mars landen", betonte Selmayr.

Kein Blumentopf

Die Entscheidung der EU-Kommission bezüglich eines grünen Labels für Atomkraft und Gas könnte rasch fallen, kündigte der frühere Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an. Bis Freitag haben die Mitgliedsländer Zeit für ihre Stellungnahmen. Er erwarte, dass der Text "in den nächsten Tagen verabschiedet wird". Ein Blumentopf sei in Österreich mit dem Thema Atomkraft nicht zu gewinnen, gab sich der erklärte Atomkraftgegner abgeklärt. Das gelte auch für die Bedingungen, an die grüne Investitionen von der EU-Kommission geknüpft sind – etwa obligatorische Stresstests für AKWs (sind bis dato freiwillig) und der Bau von Endlagern für hochradioaktiven Abfall. Dabei seien diese Auflagen für Betreiber keineswegs leicht zu erfüllen.

"Große Sorgen" bereitet der Kommission naturgemäß die Ukraine-Krise. Im Lichte dieser Krise sei die EU "besonders erpressbar", sowohl hinsichtlich steigender Gaspreise als auch des angestrebten Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen. Aus sicherheitspolitischer Sicht sei die Bewertung der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 in Händen der Regierung in Berlin – gegebenenfalls mit Konsequenzen, wie sie Angela Merkel im Sommer in Washington in Aussicht gestellt habe.

Familienbeihilfe vor EuGH

Ähnlich wie bei der Taxonomie erwartet Selmayr auch beim Vertragsverletzungsverfahren betreffend die Familienbeihilfe, dass die EU-Kommission das Verfahren gegen Österreich vor dem EuGH gewinnt. In Österreich arbeitende EU-Ausländer dürften nicht diskriminiert werden, auch nicht bei Leistungen für ihre im Ausland lebende Kinder. Es geht um die 2018 von Türkis-Blau eingeführte sogenannte Indexierung der Familienbeihilfe je nach Lebensstandard des Herkunftslandes. "Es wäre anständig, wenn Österreich das Geld automatisch nachzahlen würde und die Betroffenen den Ausgleich nicht einzeln erstreiten müssten", sagte Selmayr.

Zu den Schwerpunkten der EU-Kommission zählt selbstredend der EU-Aufbauplan, der für Österreich 3,5 Milliarden Euro vorsieht. Wiewohl Nettozahler, profitiere auch Österreich von den zinsgünstigen Zahlungen, die das nationalstaatliche Defizit nicht erhöhten. Aufgrund der vernetzten Wirtschaft dürfe man auch die positiven Effekte des Aufbauplans in den Nachbarstaaten nicht unterschätzen, die auch der österreichischen Wirtschaft zugutekämen, betonte Selmayr. (Luise Ungerboeck, 20.1.2022)