Eine Frau wird in der Nacht von einem Auto überfahren, sie stirbt. Die entscheidende Frage bleibt offen.

Foto: Apisorn

Am Abend des 31. Mai 2017 streitet Sylvia W. (52) mit ihrem Lebensgefährten Bernd Pansold (79). Sylvia W. bittet die Mutter am Telefon, ihr zu Hilfe zu kommen: "Mama ich kann nicht mehr, der macht mich kaputt." Sie läuft aus dem Haus. Kurze Zeit später findet Pansold sie in der angrenzenden Wiese. Sie ist tot.

Was sich zwischen Telefonat und Auffinden der Leiche ereignete, ist dank polizeilicher Vernehmungen, Gerichtsprotokollen und Aussagen der vom STANDARD befragten Beteiligten zum größten Teil gut rekonstruierbar. Nach dem Telefongespräch fährt die Mutter mit einem Taxi zur Tochter. Als sie vor dem Haus ankommt, steht Pansold leicht bekleidet auf der Straße. Nein, er wisse nicht, wo Sylvia sei, sagt er der Mutter. Mit dem Taxi suchen sie Sylvia in der Wiese. Vergeblich. Der Taxler Anton H. erledigt eine Botenfahrt. Pansold holt seinen weißen Audi Q5 und fährt in die Wiese, seine Lebensgefährtin zu suchen.

Er findet Sylvia und ruft die Mutter hinzu. Sylvia liegt regungslos im Gras, die Mutter versucht sie "aufzuwecken". Der Mediziner Pansold hilft ihr nicht und ruft auch nicht die Rettung. Später rechtfertigt er seine Untätigkeit mit Betroffenheit. Er habe geglaubt, Sylvia sei bereits tot.

Widersprüchliche Aussagen

Einige Details sind bis heute unklar. So erzählt ein Nachbar Pansolds den Polizisten noch in derselben Nacht, vor dem Eintreffen des Taxis mit der Mutter habe ein Mann vergeblich versucht, eine Frau in einen weißen SUV zu zerren. Pansold fährt damals einen weißen Audi Q5. Das Gericht befragte den Zeugen nicht. Der Salzburger Verkehrsexperte Gerhard Kronreif ordnete in seinem gerichtlichen Gutachten die Spuren auf Körper und Kleidung der Toten dem Taxi von Anton H. zu. Ein ebenfalls 2017 erstellter Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes äußerte Zweifel an Kronreifs Darstellung. Es sei nicht nachvollziehbar, heißt es da, dass nur das Taxler-Auto Sylvia W. überrollt haben könnte.

Am 4. April 2018 werden die Ermittlungen gegen Pansold wegen unterlassener Hilfeleistung eingestellt. Zwei Wochen später verurteilt das Landesgericht Salzburg den Taxifahrer Anton H. wegen fahrlässiger Tötung. Er sei, so das Gericht, bei der Suchfahrt in der Wiese mit seinem Auto auf Sylvia W. aufgefahren. Durch das Gewicht des Autos sei das Herz der Frau geplatzt, sie sei innerlich verblutet. Die Aussage der Mutter und das Taxlers, Sylvia W. nicht niedergestoßen zu haben, ändern nichts am Urteil. Ebenso das vom Anwalt des Taxlers organisierte Privatgutachten, dem zufolge das Taxi zu klein sei, um auf den Körper der Toten aufgefahren zu sein.

Das Oberlandesgericht Linz bestätigt im Oktober 2018 im Berufungsverfahren das Urteil und reduziert das erstinstanzliche Strafmaß von zehn Monaten, davon sieben Monate bedingt, auf eine Geldbuße von 240 Euro. Das Urteil ist rechtskräftig.

Neues Gutachten

Doch im Sommer führt ein ergänzendes, mit neuen wissenschaftlichen Methoden gefertigtes Gutachten des BKA zur Aufhebung des Urteils. "Aufgrund des Musters und der Dimension konnte das Mercedes-Taxi des H. Anton eindeutig als Spurenverursacher ausgeschlossen werden." Vorausgesetzt, es kommen nur H.s und P.s Autos in Betracht, "können nur die Reifen des Audi Q5 des P. Bernd die Spuren verursacht haben".

Anton H.s Anwalt Michael Langhofer bringt daraufhin einen Wiederaufnahmeantrag beim Landesgericht Salzburg ein. Am 30. Dezember wird dem Antrag stattgegeben. Das Landesgericht Salzburg schreibt dem STANDARD am 5. Jänner 2022: "In der Begründung führte das Landesgericht Salzburg (zusammengefasst) aus, dass der vorgelegte ergänzende Untersuchungsbericht, worin eine neue Untersuchungsmethode angewandt wurde, ein neues Beweismittel darstellt. Dieses erscheint zur Erwirkung eines Freispruchs oder zumindest einer Verurteilung nach einem milderen Strafgesetz geeignet, weshalb dem Antrag auf Wiederaufnahme Folge zu geben war." Die Staatsanwaltschaft erhebt Einspruch. Der Termin für ein neues Verfahren gegen Anton H. steht noch nicht fest.

DDR-Dopingstratege

Das ist freilich auch die Geschichte des ehemaligen DDR-Dopingstrategen und Trainingswissenschafters Bernd Pansold. 1998 wurde er in Deutschland wegen Beihilfe zum Doping minderjähriger Sportler verurteilt. Pansold bespitzelte als inoffizieller Mitarbeiter "Jürgen Wendt" Kollegen und Sportler und berichtete der DDR-Staatssicherheit.

Als die DDR zusammenbrach, gingen Pansold und andere Trainer und Ärzte nach Österreich. Rudern, Judo, Leichtathletik, Schwimmen und Skifahren erlebten einen Leistungsschub. Pansold wurde vom damaligen Leiter des Österreichischen Instituts für Sportmedizin an der Universität Wien, Norbert Bachl, nach Wien gelotst. Er kümmerte sich ab Mitte der 90er auch am Olympiastützpunkt Obertauern um Skirennfahrer wie Hermann Maier und ÖSV-Langläufer. Sein Gehalt betrug für 20 Wochenstunden 35.000 Schilling, das wären heute inflationsbereinigt rund 4.300 Euro. Der wegen Dopings von der Welt-Anti-Doping-Agentur lebenslang gesperrte frühere ÖSV-Langlaufcheftrainer Walter Mayer lernte von Pansold. Wie es der Zufall will, gewann 1999 die von Mayer trainierte ÖSV-Langlaufstaffel Gold bei der Nordischen WM in der Ramsau. Nach Pansolds Verurteilung in Deutschland sorgte ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel für seine Entfernung vom Olympiazentrum in Obertauern.

Engagement bei Mateschitz

Dietrich Mateschitz engagierte Pansold 2003 für die Red-Bull-Athleten und das Trainingszentrum Thalgau. Er schirmte Pansold gegen Kritik ab, "Schnee von gestern" sei das, so Mateschitz. Promis wie Sebastian Vettel (Formel 1), Lindsay Vonn (Skirennfahrerin) und die Red-Bull-Kicker profitierten von Pansolds Know-how. Der ehemalige Nordische Direktor des ÖSV, Toni Innauer, verbot den Skispringern den Umgang mit ihm.

Seit 1. Jänner 2020 ist Pansold Pensionist. Er lebt in einem Haus nahe Salzburg, das Dietrich Mateschitz 2016 Sylvia W. geschenkt hatte. Das Paar hatte öfter Streit, sagte Sylvias Mutter dem STANDARD.

Dem STANDARD sagte Pansold am Telefon, es habe eine Zeit lang gedauert, "bis das Ganze für mich in friedlicher Weise abgeschlossen war". Das neue Gutachten kenne er nicht. Pansold: "Ich weiß nicht, wo da mein Auto herkommen soll." Er vertraue darauf, dass das Gericht und der Sachverständige das richtig gemacht hätten. Für Fragen nach der Aufhebung des Urteils war er nicht erreichbar.

Vielleicht klärt das neue Verfahren offene Fragen. So findet sich im Bericht des Notarztes vom 31. Mai die Feststellung, der Körper der Toten weise "frische Verletzungen" auf, unter anderem "mehrere Hämatome im Bereich des linken Jochbeines und des Auges". Im Obduktionsbericht fehlen diese Hinweise.

Dietrich Mateschitz äußerte sich auch nach mehrfachen Ersuchen nicht zu der Angelegenheit.

Weder Gerhard Kronreif noch der von der Polizei in der Todesnacht befragte Zeuge beantworteten Ansuchen um Kontaktaufnahme. (Johann Skocek, 21.1.2022)