Nordkoreas Raketen könnten schon bald wieder intensiver zum Einsatz kommen.

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Lange war es relativ ruhig um Nordkorea, doch nun nimmt die Spannung wieder deutlich zu. Nach mehreren Raketentests in den vergangenen Wochen hat das Politbüro des Staates nun beschlossen, wieder "gründlichere Vorbereitungen für eine langfristige Konfrontation mit den US-Imperialisten" vorzunehmen. Konkret könnte das auch das Aus des seit Ende 2017 geltenden Moratoriums auf Tests von Langstreckenraketen und Atomwaffen bedeuten. Denn, wie es in der Aussendung der Agentur KCNA auch heißt: Bei "allen vorübergehend gestoppten Aktivitäten" solle nun eine Wiederaufnahme geprüft werden.

Machthaber Kim Jong-un hatte den vorübergehenden Verzicht auf Tests von Atombomben und von Raketen, die das US-Festland erreichen können, im April 2018 bekanntgeben und als vertrauensbildende Maßnahmen präsentiert. Damals geschah das im Rahmen der Annäherung an die USA und im Vorfeld des Treffens mit dem damaligen Präsidenten Donald Trump. Auch nach dem zweiten Treffen der beiden in Hanoi, das ergebnislos bleib, beließ Nordkorea diese Maßnahmen aufrecht. Mitte 2019 sagte Kim dann zwar in einer Rede, dass er sich an diese Zusagen "nicht mehr gebunden" fühle. Die neuen, direkteren Ankündigungen gehen darüber aber nun hinaus.

Enttäuscht von Biden

Damals ging man davon aus, dass Nordkorea die Haltung der neuen US-Regierung von Trumps Nachfolger Joe Biden abwarten wolle. Nun, ein Jahr nach dessen Amtsantritt, ist man mit dieser aber wenig zufrieden – vor allem weil Nordkorea für Washington derzeit nicht die gleiche Priorität hat wie zu Regierungszeiten Trumps. Zu neuen Gesprächen hatte es kaum US-Initiativen gegeben. Auf großangelegte Militärübungen mit der südkoreanischen Armee verzichten die USA zwar weiterhin, Gespräche über eine Aufhebung der Sanktionen gegen Pjöngjang scheinen aber nicht auf dem Tapet zu stehen – im Gegenteil wurden diese jüngst etwas nachgeschärft, während sich Nordkorea noch immer in einer seiner schlimmsten Wirtschaftskrisen befindet.

Andererseits versucht Pjöngjang aber wohl auch die Gunst der Stunde zu nutzen: Die USA und viele westliche Staaten sind mit der Ukraine-Krise beschäftigt. Und ähnlich wie China, das die Konfrontation um die Vormacht im postsowjetischen Raum genau verfolgt und auf die eigenen Ambitionen auf Taiwan ummünzt, wittert auch Kim eine Chance. Denn dass es für das Land aus militärischer Sicht vorteilhaft ist, neue Waffen testen zu können, liegt auf der Hand. Ebenso hilft es Kim, wenn er im Fall neuer Gespräche ein Ende der Atomtests wieder als Verhandlungschip in der Hand halten kann. Das Programm wiederaufzunehmen, während keine allzu harte Reaktion der abgelenkten USA zu erwarten ist, wäre daher von strategischem Vorteil.

Vorteil Wahlkampfchaos

Dazu kommt, dass auch Südkorea derzeit nicht voll auf den Nachbarn konzentriert ist. Das Land befindet sich im Wahlkampf. Anfang März wird über den Nachfolger des liberalen Präsidenten Moon Jae-in entschieden, der die Annäherung an den Norden nicht nur zu seinem persönliche Lebensziel, sondern auch zu einem Pfeiler seiner Politik gemacht hatte. Um das Amt kämpfen der liberale Kandidat Lee Jae-myung und der Konservative Yoon Seok-youl. Außenseiterchancen hat auch der liberalkonservative Software-Millionär Ahn Cheol-soo.

Wie sich eine neue Konfrontation auf die Kampagne auswirken würde, ist unsicher. Yoon hat allerdings mit dem ungeschickten Vorschlag Vertrauen verspielt, das nicht nuklear bewaffnete Südkorea müsse beim absehbaren Einsatz von Hyperschallwaffen einen Präventivschlag gegen die Atommacht im Norden starten. Es ist allerdings aus aktueller Sicht zu erwarten, dass sich die Wahl eher anhand innenpolitischer und wirtschaftlicher Faktoren entscheiden wird.

Feiern, wie die Feste fallen

Diese könnten umgekehrt auch wieder bei der aktuellen Eskalation in Nordkorea eine Rolle spielen. Zwar sitzt Kim allen Einschätzungen nach weiterhin relativ fest im Sattel, allerdings stehen in dem dynastisch-kommunistischen Staat in den kommenden Monaten symbolisch wichtige Termine an. Im Februar wird der 80. Geburtstag von Kims verblichenem Vater Kim Jong-il begangen – und im April gedenkt das Land des 110. Jahrestags der Geburt von Staatsgründer Kim Il-sung, dem Großvater Kim Jong-uns. Weil dieser im Land als eines der Symbole des anfänglichen wirtschaftlichen Aufstiegs nach dem Koreakrieg gilt, versucht Kim Jong-un ihm besonders nachzueifern. Dafür trägt er graue Anzüge im Stil der 50er- und 60er-Jahre-Kommunisten, eine ähnliche Frisur wie sein Großvater, und selbst von Operationen zur Angleichung der Gesichtszüge ist die Rede.

Beide Anlässe müssen also gebührend gefeiert werden. Das geschah in Nordkorea in der Vergangenheit oft im Zusammenhang mit Demonstrationen der militärischen Stärke. Es könnte also sein, dass Nordkorea nicht nur bis dahin weiter Hyperschallwaffen testet, sondern dass diese Tage auch Anlass zu Raketen- oder gar Atomtests bieten. (Manuel Escher, 20.1.2022)