Sonja Weis sitzt dem Schöffensenat vor, der darüber urteilen muss, ob ein 81-jähriger Angeklagter seinem zwei Jahre älteren Freund bei dessen Selbsttötung geholfen hat oder nicht.

Foto: APA / HANS PUNZ

Wien – Im Februar 2021 starb nach 60 Jahren Ehe die Gattin von Herrn R., einem 83-jährigen früheren Unternehmer. Kurz darauf zog R. sich bei einem Sturz Wirbelbrüche zu und wurde bettlägrig. Am 18. Mai erschoss er sich mit seinem Revolver. Weshalb sich nun sein 81 Jahre alter Freund Herbert vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Sonja Weis verantworten muss. Denn der Staatsanwalt wirft ihm das selten angeklagte Delikt "Mitwirkung an der Selbsttötung" vor – er soll einen Schlosser organisiert haben, um den Tresor zu öffnen, in dem die Waffe verstaut war, und sie dann dem immobilen R. gegeben haben.

"Das ist auch nach neuer Rechtslage strafbar, da zuvor keine ärztliche Aufklärung stattgefunden hat", erklärt der Ankläger, warum die Gesetzesnovelle keine Rolle spielt. Verteidigerin Anita Schattner sieht das rechtlich anders, fordert aber auch aus ganz anderen Gründen einen Freispruch für ihren Mandanten: Niemand habe beobachtet, dass Herbert seinem Freund den Revolver übergab, auf dem sich weder Fingerabdrücke noch DNA-Spuren des Angeklagten fanden.

Mindestens 40 Jahre befreundet

"Wir waren mindestens 40 Jahre befreundet", erklärt der resolute Angeklagte mit lauter Stimme. "Wir haben jeden Tag telefoniert, ich habe ihn auch immer wieder besucht." Von Selbsttötung habe R. nie gesprochen. "Er hat nur einmal, kurz nachdem seine Frau gestorben ist, gesagt, dass er am liebsten bei ihr wäre." Seine Sturzverletzung habe ihm aber nicht die Lebensfreude genommen. "Er hat mit einem Physiotherapeuten geturnt und mir gesagt, dass er schon wieder selbst neben dem Bett stehen kann", behauptet der Angeklagte.

Im Mai habe R. ihm eröffnet, dass er zwei Faustfeuerwaffen und ein Gewehr einem Waffenhändler verkaufen wolle, er aber jemanden brauche, der den Safe öffne. "Warum hat er einen Schlosser gebraucht, um den eigenen Tresor zu öffnen?", wundert Vorsitzende Weis sich. "Er hat gesagt, seine verstorbene Frau hat den Schlüssel verlegt, und er finde ihn nicht mehr."

Waffen weder gesehen noch berührt

Der Angeklagte kam mit dem Handwerker in die Wohnung, wegen technischer Komplikationen dauerte es sechs Stunden, bis das Schloss geknackt war. Auf Bitten R.s hin verbrachte der Angeklagte den Großteil dieser Zeit mit R.s 24-Stunden-Pflegerin in deren Zimmer. Angeblich, da R. nicht wollte, dass die Betreuerin sieht, wie viel Bargeld im Haus ist. "Im Safe war eine Holzschachtel, bis oben hin voll mit 500-Euro-Scheinen", erinnert sich der Angeklagte. Auf Bitten seines Freundes habe er ihm nach Öffnung des Geldschranks die Schachtel gegeben, damit dieser den Schlosser bezahlen kann, und sie danach wieder zurück in den Tresor gestellt. "Ich habe dort Waffen weder gesehen noch berührt!", beteuert er.

Nach Abgang des Handwerkers habe er von der Betreuerin noch erfahren, dass R.s Tochter den Tresorschlüssel hatte, dann habe auch er die Wohnung verlassen. Auf der Straße habe er noch kurz mit dem Schlosser geplaudert, dann sei er heimgefahren. Vom Suizid seines Freundes habe er erst später gehört.

Tresor nahe am Krankenbett

"Nun sagen aber die Tochter und die Pflegerin, dass Herr R. bettlägrig war und sich selbsttätig nicht rühren konnte. Wie soll er also zum Revolver im Tresor gekommen sein?", will die Vorsitzende wissen. "Ich vermute, er hat die Waffe selbst geholt", lautet die Antwort. Der Wandsafe sei maximal eineinhalb Meter von R.s Bett entfernt gewesen, dazwischen sei noch ein Hometrainer gestanden, auf dem R. sich hätte abstütze können.

Die Tochter des Verstorbenen, die als erste Zeugin einvernommen wird, widerspricht. Ihr Vater habe nicht mehr gehen können, ist sie überzeugt, nicht einmal mehr auf die Toilette. Sie korrigiert allerdings auch den Staatsanwalt: Den Tresorschlüssel habe sie nicht wegen der Revolver gehabt, sondern damit die Pflegekräfte nicht an das Bargeld gelangen können.

Ihr Vater, den sie täglich besucht hatte, sei nach dem Tod der Gattin "schon sehr, sehr traurig gewesen", konkrete Suizidgedanken habe er aber nie geäußert. An diesem Tag, dem letzten des Lockdowns, sei sie in der Früh noch vorbeigekommen, habe dann aber ziemlich viel Stress gehabt, da sie ihr Unternehmen für die Wiedereröffnung vorbereiten musste.

Letzter Anruf an Tochter

"Am Nachmittag hat die Pflegerin angerufen und gesagt, dass Herbert da ist. Sie war irgendwie aufgeregt, und ich habe ihr gesagt, dass alles in Ordnung ist." Gegen 19.30 Uhr habe sich ihr Vater telefonisch gemeldet und gesagt: "Ich gehe zur Mama", sie solle sich um die Katzen kümmern. Fast unmittelbar darauf habe die aufgelöste Pflegerin sie kontaktiert und gesagt: "Komm, Papa Pistole!", dann sei ein Schuss zu hören gewesen.

Nachdem der Schlosser der Verhandlung unentschuldigt fernbleibt, belastet die Pflegerin den Angeklagten. Sie sagt, er habe nach einer Tuschelei mit R. dafür gesorgt, dass sie sechs Stunden in ihrem Zimmer blieb. Er habe sie zwar nicht festgehalten, ihr sei aber klar gewesen, dass von ihr erwartet wurde, R.s Zimmer nicht zu betreten. Unmittelbar nachdem der Angeklagte die Wohnung verlassen hatte, habe R. sie gerufen und gebeten, ihm sein Mobiltelefon zu geben. Damit rief er in Gegenwart der Zeugin seine Tochter an.

Die Pflegerin ist überzeugt, dass R. zu diesem Zeitpunkt den Revolver bereits unter der Decke in der Hand hatte. Als sie nachsehen wollte, habe ihr Klient das verboten. "Woher wussten Sie von den Waffen?", fragt die Vorsitzende. "Eine andere Pflegerin hat mir erzählt, dass seine Tochter sie weggesperrt hat." Mit den Worten "Geh aus dem Zimmer, sonst musst du zuschauen" habe R. die Zeugin dann fortgeschickt, schildert sie unter Tränen. In ihrer Panik habe sie die Tochter angerufen, als der Knall ertönte. Sie habe Psychotherapie benötigt, um den Schock zu verarbeiten, verrät die dreifache Mutter. "Und bitte seien Sie ehrlich!", sagt sie am Ende noch zum Angeklagten.

Für Zeugen und medizinische Unterlagen vertagt

Der bleibt trotz der Zeugenaussagen dabei: Er habe keine Waffe gesehen und erst recht nicht berührt, sein Freund müsse sie selbst aus dem offenen Safe geholt haben. Da der medizinische Sachverständige Nikolaus Klupp die Krankengeschichte des Verstorbenen nicht hat, muss die Vorsitzende schließlich vertagen. Beim nächsten Termin am 10. März will sie zusätzlich auch den Schlosser und den Physiotherapeuten als Zeugen hören. (Michael Möseneder, 20.1.2022)