Lehrlinge fühlen sich in der Corona-Debatte nicht wahrgenommen.

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Linz/Wien – "Wir alle sind sauer", stellt Jeremie Dikebo, AKS-Sprecher der Berufsschüler, klar. Jeden Tag werde über die Matura geredet, aber nie über die Lehrabschlussprüfung. Auch die Berufsschülerinnen und Berufsschüler seien stark von der Pandemie betroffen, besonders die psychische Gesundheit leide. Es habe aber nie Erleichterungen wie in den vergangenen beiden Jahren bei der Matura gegeben, sagt Dikebo, der sich selbst im dritten Ausbildungsjahr als Telekommunikationskaufmann befindet und vor der Lehrabschlussprüfung steht.

"Ich bin zutiefst enttäuscht, dass nie auf die Lehrlinge geschaut wird", betont der 18-jährige Oberösterreicher und Rieder Gemeinderat (SPÖ). "Wir sind die vergessenen Töchter und Söhne der Bildungspolitik." Er wünsche sich zumindest einen direkten Ansprechpartner für die Berufsschüler im Bildungsministerium. Bisher würden die Lehrlinge zwischen der Wirtschaftskammer und dem Bildungsministerium hin- und hergeschoben werden, ärgert sich der ehemaliger Landesschulsprecher der Berufsschulen Oberösterreichs. "Wir wollen nicht mehr ignoriert werden."

Wieder mehr Lehrlinge

Erste Prognosen schürten Sorgen, es könnte zu einem Rückgang der Lehranfängerinnen und -anfänger um bis zu 20 Prozent wegen der Corona-Krise kommen. Die Befürchtungen sind nicht eingetreten. Laut Lehrlingsbilanz der Wirtschaftskammer entscheiden sich wieder mehr junge Menschen für einen Lehrberuf. Mit Stichtag 31. Dezember 2021 gab es in Österreichs Ausbildungsbetrieben 29.592 Lehrlinge im ersten Lehrjahr. Das sind um 1342 oder 4,8 Prozent mehr Lehranfänger als ein Jahr davor. Bei den Gesamtzahlen über alle Jahrgänge machen sich die beiden Corona-Krisenjahre jedoch noch bemerkbar. Mit 100.714 Lehrlingen per Ende 2021 gibt es hier noch einen kleinen Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 0,5 Prozent. 2019, also vor der Corona-Pandemie, gab es im Dezember 109.111 Lehrlinge. Auf die Erfolgsquote und die Antrittszahlen bei der Lehrabschlussprüfung habe sich die Pandemie laut Wirtschaftskammer nicht ausgewirkt.

"Die müssen einmal in die Lehrbetriebe schauen. Es passt bei der psychischen Gesundheit nicht. Viele sind am Ende und können nicht mehr", sagt Dikebo. Laut einer aktuellen Studie der Donau-Universität Krems leiden 62 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Buben zwischen 14 und 20 Jahren unter einer mittelgradigen depressiven Symptomatik.

6800 Lehrstellen unbesetzt

Es gebe zwar Nachhilfeangebote für die Lehrabschlussprüfung, aber die würden zu wenig beworben werden, sagt der AKS-Sprecher. Das Wirtschaftsministerium fördert Ausbildungsmaßnahmen und Vorbereitungskurse für Lehrabschlussprüfungen mit zwölf Millionen Euro. Fünf Millionen Euro fließen in Vorbereitungskurse für die Abschlussprüfung. Zum Nachholen Corona-bedingt versäumter Ausbildungsinhalte steht der sogenannte Digi-Scheck in der Höhe von bis zu 1500 Euro pro Lehrling zur Verfügung.

Doch es bleiben auch einige Lehrstellen unbesetzt. Laut AMS gibt es österreichweit momentan um 6836 weniger Lehrstellenbewerber als offen gemeldete Stellen. (Stefanie Ruep, 21.1.2022)