Wer sich zu weit in die Welt der Illusionen begibt, droht darin verlorenzugehen: Bradley Cooper und Rooney Mara in "Nightmare Alley".

Foto: Searchlight Pictures

Der Zirkus ist hier jener Ort, an dem die Entbehrungen des täglichen Lebens kurz ausgeblendet werden können. Neben gängigen Attraktionen wie einer Geisterbahn und einem Karussell präsentieren eine Reihe von Sonderlingen ihre Fähigkeiten. Freaks hießen diese Gestalten in Tod Brownings gleichnamigem Klassiker (1932), auf den sich Nightmare Valley unter Garantie bezieht. Die junge Molly (Rooney Mara) vermag mit ihren Fingerspitzen elektrischen Strom zu bündeln, während Zeena (Toni Collette) ihre Zuschauer damit bannt, dass sie über die allerprivatesten Dinge Bescheid weiß. Sogar über die Zukunft kann sie einiges erzählen.

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Es ist das Jahr 1939, die Menschen sehnen sich nach einem Ausweg aus jahrelanger Depression. Der Zirkus ist auch jener Ort, an dem man erleben kann, wie leichtfertig sich Menschen von Illusionen verführen lassen. So denkt zumindest Stanton Carlisle, ein Mann mit mysteriöser Vergangenheit. Er heuert bei den Nomaden an, um seinem Leben eine Wendung zu verleihen. Mit glühenden Augen verfolgt er deren Trickfertigkeit. Dass er nicht nach Ruhm, sondern nach Macht strebt, dass er keinen Respekt vor dem Handwerk der Täuschung hat, auch das kann man in seinem Blick lesen.

Der Mexikaner Guillermo del Toro hat für seinen neuen Film einen Roman von William Lindsay adaptiert, der 1947 schon einmal mit einem ungewöhnlich finsteren Tyrone Power verfilmt wurde. Gemeinsam mit der Film-noir-Expertin Kim Morgan hat er den Stoff nun zu einer seiner charakteristisch breit orchestrierten Hymnen auf die fantastischen Seiten des Kinos erweitert. Doch anders als in Arbeiten wie Pans Labyrinth oder dem Oscar-gekrönten Shape of Water, in denen noch die seltsamsten Kreaturen etwas Liebenswertes behielten, lauert das Monströse diesmal im Menschen selbst: Es geht um Niedertracht, Größenwahn und blinde Ambitionen. "You’re not good, neither am I" – das Böse verbindet später auch Carlisle mit der Psychiaterin Dr. Ritter (Cate Blanchett), der schillernd rotlippigen Femme fatale des Films.

Schmierig, aber gut

In Powers Rolle des ehrgeizzerfressenen, manipulativen Aufsteigers ist bei del Toro nun Bradley Cooper zu sehen. Egal ob man dem immer etwas aufdringlichen Charme des Darstellers schnell erliegt oder eben nicht: In diesem Part ist er goldrichtig besetzt. Er macht sich in der Zirkusfamilie beliebt und der leicht naiven Molly den Hof, es gelingt ihm sogar, den gerissenen Betreiber (Willem Dafoe) um den Finger zu wickeln. Doch dahinter bleiben eben auch ständig die Absicht, die Verstellung und das schmierige Schauspiel, mit dem er seine Ziele verfolgt, erkennbar.

Für del Toro bietet die Zirkuswelt, die die erste Hälfte von Nightmare Alley bestimmt, natürlich auch Gelegenheiten abzuschweifen. Er erinnert indirekt daran, dass das Kino selbst einmal eine Jahrmarktskunst war. Nun beschwört er in gedeckten Farben nostalgisch die Tricks der Schausteller herauf, verhehlt aber auch manche Grausamkeit nicht – ein Mann wird als Bestie vorgeführt und dafür im Zwinger gehalten. Anhand eines Wahrsagers (David Straithairn), der menschliche Verhaltensmuster genuin zu deuten versteht, demonstriert er, wie wenig Aufwand bisweilen genügt, um sein Publikum zu fesseln.

Opulente Inszenierung

Leider hält sich del Toro selbst nicht ganz an diese Weisheit und treibt seinen Film bald von einer Idee zum nächsten Einfall. Carlisle verlässt den Zirkus mit Molly, um als Magier in vornehmen Clubs der Stadt Karriere zu machen. Der große Erfolg bei seinen Zuschauern blendet ihn, er riskiert zu viel und übersieht, dass er inzwischen in einer weitaus gefährlicheren Liga spielt. Die Anbindung an den Film noir wird nun besonders opulent ausformuliert: Blanchetts schlangenhafte Psychiaterin wirkt weniger wie eine lebendige Frau als wie eine zum Leben erwachte Wachsfigur, vor der der Aufschneider Carlisle plötzlich mauseklein erscheint.

Visuell bietet Nightmare Alley zweifellos ein eindrucksvolles Panoptikum auf. Die Kamera von Dan Laustsen arbeitet effektvoll mit Lichtkegeln, die die Figuren wie Schauobjekte herausschälen. Die Ausstattung ist durchgehend exquisit, und del Toro inszeniert mit viel Freude an surrealen Motiven – so sind es Augen, die den Weg des Helden wie ein böses Omen säumen.

Doch die Erzählung selbst, die immer tiefer in den moralischen Filz der Großstadt führt, erscheint zunehmend überkonstruiert, ja überfrachtet. Nicht alles, was man sieht, muss man am Ende auch wirklich glauben. (Dominik Kamalzadeh, 20.1.2022)