Am Donnerstagabend stimmte der Nationalrat über die Impfpflicht ab – und dafür. Damit tritt sie aller Erwartung nach Anfang Februar in Kraft.

Foto: Heribert CORN

Ein Moment illustriert den vergangenen Donnerstag im Parlament recht eindrücklich. "Dieses Gesetz braucht es dringend", sagt Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) zu den Abgeordneten. Da kramen die Blauen Schilder aus ihren Taschen und halten sie hoch: "Nein zum Impf-Abo" steht da drauf – als wären sie unter den Demonstranten, die währenddessen durch die Innenstadt ziehen. Ändern wird all das nichts: Dem Gesetz wollte Donnerstagabend eine große Mehrheit zustimmen.

In den Stunden zuvor wird erwartungsgemäß hitzig über die Impfpflicht debattiert. Grund genug für den ersten Redner, FPÖ-Chef Herbert Kickl, zum Rundumschlag auszuholen. Ein "Attentat" auf die Bevölkerung sei die Impfpflicht, sagt er. Während er zetert, starrt neben ihm auf der Regierungsbank Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) unbeeindruckt geradeaus und richtet sich die Maske. In den Rängen der FPÖ hört man Applaus und sieht man Grinsen – Maske trägt man dort kaum. Doch: "Ich fürchte, dass das alles nichts nützt", sagt Kickl – der übrigens jetzt schon verspricht, das Gesetz brechen zu werden. Sein Verhalten sei zynisch, sagt nach ihm die grüne Klubchefin Sigrid Mauer, und: "Schämen Sie sich."

"Schwerwiegendste" Entscheidung

Und dann zieht es sich ein wenig: Ein Antrag der FPÖ zum Thema "Aspiration bei intramuskulärer Injektion" unterbricht die Debatte, ganz verknappt spricht der blaue Abgeordnete Peter Wurm über Servus TV und des Bundeskanzlers kürzliche Corona-Infektion. Werner Saxinger, ÖVP-Abgeordneter und Arzt, nennt die FPÖ "cringe". Einige Schlaglichter auf die relevanteren Wortmeldungen zur Impfpflicht, die noch folgen: "Ich sehe es als meine Verantwortung, hier heute für eine breite Mehrheit zu sorgen", sagt etwa die Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger – auch wenn sie es "skurril" finde, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem die Impfpflicht beschlossen werde, eine Milliarde Euro in eine Impflotterie gesteckt werde.

"Die Impfung rettet Leben", sagt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Parteikollege Philipp Kucher spricht dennoch von "einer der schwierigsten Entscheidungen", die er heute treffen muss – immerhin sei all das nur wegen des Versagens der Regierung nötig. "It's a dirty job, but someone has got to do it", so formuliert der Grüne Ralph Schallmeiner das. Und die fraktionlose Philippa Strache? Die sagt, sie sei zwar "absolut für die Impfung", aber gegen ein fehlerhaftes Gesetz.

Bannmeile und Demos

Ein paar Hundert Meter entfernt geht ein Mann vor einer Polizeisperrkette schnellen Schrittes auf und ab. Er wirkt gehetzt. In der einen Hand hält er ein Handy, mit dem er die Beamten der Reihe nach abfilmt. Mit der anderen fuchtelt er den Polizisten im Gesicht herum. "Sie verraten unser Volk", sagt er. Das große Unheil aus seiner Sicht: die Impfung, und erst recht die Pflicht dazu. Offenbar streamt er das Geschehen online für Zuseher zu Hause. "Sie verheizen unsere Kinder!", schreit er in sein Telefon. Ein Polizist verdreht die Augen. Plötzlich nimmt der Mann Anlauf und will die Sperrkette durchbrechen, wird aber von den Beamten unsanft zurückgestoßen.

In der Innenstadt wurde am Donnerstag demonstriert.
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Eigentlich dürfte er nicht einmal dort stehen, wo er jetzt steht, wenige Meter vom Heldenplatz entfernt. Weil heute Nationalratssitzung ist, existiert im Umkreis von 300 Metern rund ums Parlament eine Bannmeile. Es darf also keine Versammlung in dem Bereich stattfinden. Das weiß der Demonstrant, und das wissen auch die 500 anderen Mitstreitenden, die an diesem Donnerstagmittag den Ring blockieren. Zuvor haben sie ihn im Rahmen einer Spontandemo umrundet. Die Polizei ließ sie gewähren. Erst als die Versammlung offiziell aufgelöst wird, bewegt sich der Tross widerwillig weg, und der Ring ist wieder befahrbar.

Zurück ins Parlament. Da glänzen einige Abgeordnete auch mit Abwesenheit: Leer war etwa der Stuhl von Ewa Ernst-Dziedzic, grüne Abgeordnete. Sie ist gegen die Gesetzesvorlage und kommt deshalb nicht. Auch beim Koalitionspartner ÖVP wird über eine Abgeordnete gemunkelt, dass sie der Sitzung fernbleibt, weil sie eigentlich nicht hinter dem Plan der Regierung steht: Gudrun Kugler. Erreichbar sind beide am Donnerstag nicht.

170 Abgeordnete stimmten über die Impfpflicht ab – 137 waren dafür.
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Abwesenheiten gibt es freilich auch in der Opposition, so fehlen bei der SPÖ etwa Gewerkschafter Rudolf Silvan – schon zuvor ließ dieser leise Kritik an der Impfpflicht durchhören, er berichtete etwa von zahlreichen Anrufen besorgter Betriebsräte – und Petra Vorderwinkler, auch sie ist dem Vernehmen nach nicht von der Impfpflicht begeistert.

In der FPÖ wiederum muss man all das umgekehrt denken: Da bliebe wohl eher daheim, wer für die Impfpflicht ist, davon ist allerdings bei den der Sitzung ferngebliebenen Dagmar Belakowitsch und Volker Reifenberger nicht auszugehen. Letzterer wetterte bereits gegen einen "Zwang" zur Impfung, Erstere tritt bekanntlich selbst auf Corona-Demos auf.

An diesem Tag muss der Straßenprotest gegen die Impfpflicht allerdings ohne hochrangige Parlamentarier auskommen. Überhaupt sind dem Aufruf zum Protest just an dem Tag, an dem die Impfpflicht eingeführt werden soll, nicht sonderlich viele gefolgt. Einige Hundert finden sich bis am Nachmittag in der Innenstadt ein. 600 Polizisten sind im Einsatz. Die kleinen Gruppen wirken wie ein Querschnitt der üblichen Corona-Demos, die in zigfacher Größe an den Wochenenden stattfinden: Esoterisch angehauchte Impfgegner, Gruppen, die hinter den Corona-Maßnahmen eine Verschwörung der Regierung und Bill Gates' vermuten, und bekannte Rechtsextreme wie Identitären-Chef Martin Sellner, der zwischendurch immer wieder Routenvorschläge liefert. Alles das scheint die Handvoll "Grüne für Grundrechte", die sich der Demo angeschlossen haben, nicht zu stören.

Aus einem Lautsprecher dröhnt die musikalische Untermalung für den Widerstand. "Wir schauen, dass die Impfpflicht vom Tisch gefegt wird", prophezeit ein Redner, während die Demonstration über den Ring marschiert.

Durch die Innenstadt zog eine Demonstration – um die Hofburg gab es eine Bannmeile.
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Widerstand um jeden Preis

So weit kommt es nicht. Die Abstimmung am Abend, nach zehn Stunden Sitzungszeit, läuft eher ungewöhnlich ab, nämlich namentlich. Das heißt: Alle Abgeordneten werden verlesen und werfen in einem Gewusel Zettel in eine Urne – Pink heißt Nein, Weiß heißt Ja. Dabei kam es zu erwartbaren Abweichungen: So stimmte etwa Neos-Abgeordneter Gerald Loacker gegen die Linie der Parteichefin und – überraschenderweise – auch seine Parteikollegin Stefanie Krisper. Im ORF will man außerdem gesehen haben, dass Philippa Strache für das Gesetz stimmte. Das Abstimmungsergebnis ist klar: Von 170 abgegebenen Stimmen waren 137 für das Impfpflichtgesetz und 33 dagegen. Damit steht dem Gesetz nichts mehr im Weg – auch im Bundesrat hat die Regierung die Mehrheit.

In der Nähe des Heldenplatzes hält am Nachmittag, als sich Demonstranten in der Stadt verteilen, ein Maßnahmengegner die Stellung. Er steht auf dem Gehsteig und schlägt auf seine Trommel. Ein älterer Mann verteilt Flugzettel, auf denen vor Corona-Maßnahmen gewarnt wird. "Mehr als sterben kann ich nicht", sagt er und lacht. Er ist im Widerstand um jeden Preis. (Theo Anders, Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, 20.1.2022)

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