Die Rollenverteilung war vielleicht für manche überraschend: Denn auf den Sujets, die das Interviewformat "Österreich fragt den Kanzler" am Donnerstagabend auf Puls 4 ankündigten, wirkte Karl Nehammer wie der Co-Moderator neben Corinna Milborn. Tatsächlich stellte neben Milborn auch Michael Jungwirth von der "Kleinen Zeitung" die Fragen, Nehammer lieferte Antworten.

Corinna Milborn hatte einen Co-Moderator an der Seite, aber es war nicht Karl Nehammer.
Foto: screenshot puls4.at

Dem Sendungstitel entsprechend wurden dafür auch Sequenzen fragender Bürgerinnen und Bürger eingespielt – deren Wortmeldungen fand Nehammer allesamt "wichtig", "richtig" oder "wichtig und richtig". Das galt sogar für die Frage eines Herren, der den Lockdown für Ungeimpfte kritisierte – und meinte, dann müsste man auch Raucher in die Isolation schicken.

Regelkonformer Hüttenfauxpas

Auch auf seinen eigenen Corona-Fauxpas wurde Nehammer angesprochen: auf das Foto in einer großen Gruppe auf einer Skihütte, zeitnah zum Neujahrskonzert, dem er ja pandemiebedingt nicht beiwohnen wollte. Die Erklärung des Kanzlers: Die Gruppe auf der Hütte hätte ihn und seine Familie zunächst von der Seite fotografiert. Er hätte gebeten, das zu unterlassen – und im Gegenzug ein gemeinsames Foto angeboten. Regelkonform, wohlgemerkt. Die Absage ans Neujahrskonzert sei patschert kommuniziert gewesen, ihm sei es nur um die Symbolik gegangen.

Schwach blieb Nehammer beim Korruptionsthema – dabei ist seine Partei als Organisation Beschuldigte in einem Korruptionsverfahren. Auf Milborns Frage, was er gegen solche Missstände tue, negierte Nehammer gar das Problem an sich: "Ich sehe nicht, dass es ein Systemproblem gäbe." Postenvergaben seien "ein transparenter Prozess", er wehre sich gegen pauschale Vorwürfe gegen die ÖVP. Für eine Partei, die dermaßen stark von Affären und Skandalen gebeutelt ist, wäre ein bisschen Problembewusstsein an der Spitze wohl wichtig und richtig. (Sebastian Fellner, 20.1.2022)