Demonstranten mit sogenannten Judensternen am 20. November 2021 in Wien.

Für Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gibt es bei dem Thema keine Diskussion: Das Tragen sogenannter Judensterne mit der Aufschrift "ungeimpft" auf Corona-Demonstrationen sei "eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust", derartige Verharmlosungen seien unentschuldbar, sagte er vor wenigen Wochen. Er betonte, dass die Polizei bei solchen Vorfällen konsequent einschreite und Verstöße gegen das Verbotsgesetz anzeige – was auf den Kundgebungen auch oftmals passiere.

Allerdings wurde bisher noch niemand deswegen verurteilt, zahlreiche Verfahren wurden eingestellt, bestätigt Nina Bussek von der Staatsanwaltschaft Wien. Es stünde aber noch mindestens eine Verhandlung an, sagt Bussek. Auch werde jeder Einzelfall geprüft.

Hitler-Plakat auf Demo

Das Durchgreifen der Polizei hat sich bei den Demonstranten und Demonstrantinnen mittlerweile herumgesprochen, auf den Kundgebungen und Umzügen tauchen nur mehr selten Personen auf, die sich gelbe Sterne an ihre Kleidung heften. Bei der von der FPÖ mitorganisierten Demonstration am vergangenen Samstag in Wien war jedoch eine Frau dabei, die ein Plakat trug, auf dem Adolf Hitler abgebildet und "Impfen macht frei" zu lesen war. Eine weitere Verharmlosung des NS-Terrors. Das Plakat wurde von der Polizei beschlagnahmt und die Frau wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz angezeigt.

Hitler-Plakat auf Demonstration in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Von anderen Teilnehmern werden derartige Plakate toleriert. Ebenso, wenn ihnen unliebsame Personen als "Nazis" und "Faschisten" bezeichnet werden. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) wurde auf Plakaten mit dem berüchtigten NS-Arzt Josef Mengele verglichen.

Inbegriff von "Empathielosigkeit, Verblendung und Zynismus"

Die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin sieht generell "jeden NS-Vergleich als unverhältnismäßig und Holocaust-relativierend, da die Shoah ein unikales Menschheitsverbrechen war, das Leid und Tod über sechs Millionen Jüdinnen und Juden brachte". Dass Anti-Corona-Demonstranten sich mit damals Verfolgten vergleichen, den stigmatisierenden gelben Stern tragen – welcher seinerzeit Verdammnis und Tod bedeutete – und KZ-Sprüche in Bezug auf die Corona-Maßnahmen umdeuten, "ist eine besonders perfide und pietätlose Form der Shoah-Relativierung", so die Wissenschaftlerin.

Maram Stern, der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, nannte es "besonders widerlich", wenn Corona-Verharmloser versuchten, für sich selbst eine Opferrolle in Anspruch zu nehmen, die den Opfern des Holocaust gleichkomme. "Ich weiß nicht, was schändlicher sein könnte, als sich im Angesicht der hochbetagten Überlebenden von Auschwitz, Majdanek und tausender anderer Konzentrationslager und Ghettos an deren Leidensgeschichte zu vergreifen. Es ist der Inbegriff von Empathielosigkeit, Verblendung und Zynismus."

Anzeige gegen FPÖ-Chef Kickl

Die Staatsanwaltschaft beschäftigt derzeit auch ein weiterer Fall. Die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) haben FPÖ-Chef Herbert Kickl wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus angezeigt. Grund ist eine Aussage Kickls, die während eines "ZiB 2"-Interviews Ende Dezember fiel.

Laut JöH habe Kickl im Rahmen des Interviews die Shoah verharmlost, indem er – konfrontiert damit, dass sich bei Demos gegen die Corona-Maßnahmen Menschen mit Juden und Jüdinnen verglichen – sagte, "dass der Nationalsozialismus ja nicht mit einem Weltkrieg begonnen hat und nicht mit irgendwelchen Vernichtungslagern, sondern er hat damit begonnen, dass man Menschen systematisch ausgegrenzt hat. Er hat damit begonnen, dass man zum Beispiel Kinder, weil sie jüdischer Abstammung gewesen sind, nicht in die Schule gelassen hat."

Protest entlang der Route einer Corona-Demonstration in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Diese Aussage sei nicht nur "moralisch verwerflich, sondern auch strafrechtlich relevant", argumentierte die JöH.

Paragraf 3h des NS-Verbotsgesetzes

Nach ihrem Dafürhalten erfüllt die Aussage den Straftatbestand des Verbotsgesetzes, der die gröbliche Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermordes und anderer nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellt – ein Verstoß gegen Paragraf 3h des NS-Verbotsgesetzes. Dieser sieht Strafen vor, wenn "wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht".

"Der Vergleich mit dem NS-Regime und die ständige und offene Verharmlosung der Shoah sind eine bewusste Taktik und ebnen den Weg zur Normalisierung von Antisemitismus und Geschichtsrelativierung", kritisierte Sashi Turkof, JöH-Präsidentin. Bini Guttmann, Mitinitiator der Sachverhaltsdarstellung und Exekutivrat im Jüdischen Weltkongress, bezeichnete Kickl und die FPÖ als "geistige Brandstifter dieser Demonstrationen und der antisemitischen Shoa-Relativierung".

Die FPÖ hat die Vorwürfe zurückgewiesen. (Markus Sulzbacher, 21.1.2022)