Viel buntes Gemüse, gekocht oder gedünstet, dafür kein Fleisch oder Genussmittel wie Zucker oder Alkohol: Reduktion und Verzicht für ein gesünderes Leben liegen im Trend.

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Es ist Jänner, und Vernunft ist Mode geworden. Seine Ernährung zu reformieren, die Entgiftung des Körpers, ist der Dernier Cri im Frühling. Nach den doch bei vielen ernährungstechnisch üppiger ausgefallenen Weihnachtstagen soll gesunder Lifestyle Einzug halten: weniger Alkohol und Fleisch, mehr Gemüse und Sport. Wenn sich dabei noch ein paar Extrakilos verabschieden: ein meist nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt.

Die Social Media sind voll von entsprechenden Angeboten, Versprechungen und Vorsätzen. Dry January, der einmonatige Alkoholverzicht, ist so eine Bewegung, die seit einigen Jahren Fahrt aufnimmt. Eine relativ neue Initiative ist der Veganuary. Teilnehmer dieses weltweiten Neujahrsvorsatzes ernähren sich den ganzen Jänner vegan.

Das am längsten existierende Konzept – und auch das am weitesten verbreitete – ist Detox. Durch generelle Nahrungsreduktion und die Auswahl bestimmter, gesundheitsfördernder Lebensmittel möchte man überflüssige Stoffe, oft bezeichnet als Gifte oder Schlacken, aus dem Körper ausleiten. In den vergangenen Jahren hat sich eine ganze Industrie um diesen Ansatz entwickelt, die auch intensiv beworben wird. Saftkuren für zu Hause, vegane Lieferservices, diverse Tees, aber auch Produkte wie Entgiftungspads für die Füße werden unter diesem Überbegriff angeboten.

Das Thema kann für manche beinahe religiöse Züge annehmen. Die Reduktion, die Teil fast jeder Religion ist – Stichwort Fastenzeit –, wurde von der Lifestyle-Industrie gekapert und wird nun von ihr mit ähnlicher Verve betrieben, wie das früher so manche Eiferer taten.

Alles nur Placebo?

Ein Grund, warum sich bei der akribischen Konzeption und Planung von Nahrungsaufnahme so viele angesprochen fühlen, ist die emotionale Behaftung von Essen, sagt Marlies Gruber. Sie ist Ernährungswissenschafterin und Geschäftsführerin des "forum. ernährung heute", das sich die Aufklärung rund um Ernährungsfragen zum Ziel gesetzt hat. "Essen ist eines unserer Grundbedürfnisse, ohne überleben wir nicht. Dazu sind auch viele gemeinschaftliche Tätigkeiten mit der Nahrungsaufnahme verbunden. Das fängt beim Stillen an, geht über die gemeinsame Zeit am Familienesstisch und prägt unser soziales Leben. Es ist ein kulturell sehr stark aufgeladener Vorgang." Dazu komme, dass in unserer Gesundheitsgesellschaft die richtige Ernährung einen hohen Stellenwert hat.

Und hier kommt Detox ins Spiel. Das Konzept verspricht ein besseres Körpergefühl und einen gesünderen Lifestyle. Doch was genau ist Detox überhaupt? Eine einheitliche Definition gibt es nicht, erklärt Gruber: "Grundsätzlich bedeutet es Entgiftung. Aber es ist sehr unklar, um welche Gifte es sich da handeln soll, wie sich diese akkumulieren und über welche Mechanismen sie ausgeleitet werden sollen. Wissenschaftlich gibt es keinen Beleg dafür, dass sich Stoffwechselgifte oder Schlacken ansammeln, die wir mit einem speziellen Detox-Programm loswerden müssten. Die menschlichen Organe, Leber, Niere, Darm, Haut und Lunge, arbeiten sehr effizient und transportieren die Stoffwechselprodukte permanent ab."

Bittersalz sorgt dafür, dass die Verdauung in Schwung kommt – ein wichtiger Part bei einem Entgiftungsprogramm.
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Doch warum schwören dann so viele Menschen darauf? Vermutlich kennt jeder jemanden, der oder die regelmäßig entgiftet. Einige haben es vielleicht selbst schon probiert oder sogar eine längere Kur gemacht. Fast alle berichten von dem guten Körpergefühl, das sie dadurch bekommen. Sogar gesundheitliche Probleme wie Migräne sollen sich deutlich bessern, ebenso Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Alles nur Placebo?

Bakterien fürs lange Leben

Nein, sagt Alex Witasek, Allgemeinmediziner mit chirurgischer Ausbildung und F.-X.-Mayr-Mediziner. Auch er sieht den Begriff Detox kritisch: "Er wird sehr oft missbraucht, von Pseudotherapeuten, Produktvermarktern und anderen. Dadurch wird das Ganze sehr unseriös." Aber für ihn hat das Konzept definitiv einen gesundheitlichen Mehrwert: "Es verbessert die Selbstreinigungskompetenz des Körpers. Der Begriff Detox ist kein guter. Aber ich habe noch keinen besseren gefunden."

Der Fokus liegt beim F.-X.-Mayr-Ansatz auf dem Darm, dessen Bedeutung für die Gesamtgesundheit und darauf, wie seine Funktion durch Ernährung beeinträchtigt wird. Damit steht diese Medizinrichtung inzwischen nicht mehr allein da. Seit einigen Jahren wird der Darm intensiv beforscht, mit spannenden Erkenntnissen für die Gesamtgesundheit. Spätestens durch den Buchbestseller Darm mit Charme der deutschen Ärztin Giulia Enders sind diese Erkenntnisse auch einem breiten Publikum bekannt.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Zusammensetzung des Mikrobioms, der Gesamtheit aller Bakterien und Mikroben, die im Darm leben. Denn diese Mikrobenwelt bildet bei der Zersetzung der aufgenommenen Nahrung verschiedene Stoffe, die die Gesundheit fördern oder sie auch schwächen. So zeigte etwa eine im vergangenen Jahr im Fachmagazin "Nature Metabolism" veröffentlichte japanische Studie, dass sich die Zusammensetzung des Mikrobioms auf die Lebenslänge auswirken kann. Sie untersuchte das Mikrobiom von 160 über 100-Jährigen und verglich es mit dem von 112 85- bis 89-Jährigen sowie mit jenem von 47 21- bis 55-Jährigen. Der Vergleich zeigte: Im Darm der Hundertjährigen waren bestimmte Bakterienarten, die Stoffwechsel und Immunabwehr positiv beeinflussen, deutlich häufiger zu finden als bei den Jüngeren.

Schonendes Frühstück: Porridge mit Wasser und Kokosmilch, Kakao, Nüssen, gedünstetem Apfel und Mandelmus.
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Genau hier setzt auch Witasek mit der Mayr-Medizin an. Er erklärt: "Das Mikrobiom wird stark durch die Ernährung beeinträchtigt. Die Bakterien im Darm ernähren sich von bei der Zersetzung der Nahrung entstehenden Stoffwechselprodukten. Mit der Ernährung kann man also steuern, welche Arten man fördert." Und weiter: "Es gibt Stoffe, die in zu hoher Konzentration im Körper vorhanden sind. Einer davon ist die Harnsäure, die etwa Arteriosklerose auslöst. Dieser Wert wird auch im Zuge von Vorsorgeuntersuchungen im Blut gemessen." Durch ein Übermaß an kurzkettigen Kohlenhydraten wie Zucker, Weißbrot und mehr wird die Insulinausschüttung permanent angeregt. Dadurch kann Insulinresistenz entstehen, das führt zu Diabetes. Und durch zu viel Fleischkonsum entstehen krebserregende Fäulnisprodukte bei der Verdauung im Darm.

Karfiol mit Kräutern, Walnussöl und Cashews schmeckt auch ohne Detox gut.
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All das kann das Mikrobiom negativ beeinflussen, es kann nicht mehr so effizient arbeiten. Direkt bemerkbare Folgen sind Verdauungsprobleme, Blähungen oder auch ein Reizdarmsyndrom. Die nicht unmittelbar spürbaren sind wesentlich weitreichender. Witasek: "Der Darm ist auch eine Schaltzentrale für die Produktion von Hormonen und Botenstoffen. Arbeitet er nicht richtig, gerät auch dieses sensible System aus dem Gleichgewicht." Sogar Demenz steht im Verdacht, durch falsche Ernährung mitbedingt zu sein, wie einige Forschungsansätze zeigen.

Anti-Aging-Konzept

Eine betreute Detox-Kur, sei es Fasten, wie etwa das Saftfasten nach Buchinger, oder auch eine Mayr-Kur, setzt hier an, sie will das Darmmikrobiom wieder ins Gleichgewicht bringen. Das soll sich nicht nur positiv auf die Gesundheit auswirken, sondern auch quasi verjüngen. Verantwortlich dafür ist der Vorgang der Autophagie. Der Entdecker dieses Prozesses, der japanische Zellbiologe Yoshinori Ohsumi, hat 2016 dafür den Nobelpreis bekommen.

Bei diesem intrazellulären Prozess wird zelleigenes Material wie fehlgefaltete Proteine oder beschädigte Zellorganellen abgebaut – eine Art zelluläre Qualitätskontrolle. Ausgelöst wird dieser Vorgang durch Kalorienrestriktion und lange Essenspausen – zwei Dinge, die bei vielen Detox-Konzepten angestrebt werden. Diese Kalorienreduktion verlangsamt den Alterungsprozess, "weil dadurch die Zusammensetzung der Zwischenzellsubstanz und damit die Reaktion der Zelle verbessert werden", erklärt Witasek.

Kartoffeln in jeder Form: Die Knolle ist voller Nährstoffe, schmeckt gut und macht satt – eine perfekte Kombination beim reduzierten Essen.
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Und neben den gesundheitlichen Auswirkungen kann auch die Psyche profitieren. Das sei ein wichtiger Grund für den breiten Erfolg des Detox-Konzepts, meint Ernährungswissenschafterin Gruber: "Es gibt den Wunsch nach Reinigung, danach, Altlasten abzuwerfen. Man will sich eine Zeit rausnehmen aus dem Alltag, den Fokus auf sich lenken und neue Impulse setzen."

Dabei komme auf mehreren Ebenen etwas in Bewegung, und das merken die Menschen: "Die Gedanken sind anders, man bekommt einen neuen Rhythmus, der Geschmack verändert sich. Man wird auch sensibler in seiner Wahrnehmung, macht vielleicht mehr Bewegung, schläft mehr." Das ist prinzipiell eine gute Sache, findet Gruber. Problematisch sei es nur, wenn man das radikal und nur ein paar Tage im Jahr macht, ansonsten aber nichts in seinem Leben ändert.

Viel wichtiger sei es, langfristig ein gesundes Ernährungskonzept zu finden, bei dem man "energieadäquat, pflanzenbetont und ballaststoffreich isst und Genussmittel wie Süßes und Alkohol nur mäßig konsumiert", sagt Gruber. Dazu soll man sich fürs Essen Zeit nehmen, schmecken und hinspüren. "Das kann man täglich tun, dafür braucht man nicht zu fasten. Aber wenn ein paar Fasten- oder Obsttage als Initialzündung dienen, um in einen gesünderen Lebensstil zu starten, um ein abwechslungsreiches Essmuster zu entwickeln, dann kann so ein Programm gute Dienste leisten." (Pia Kruckenhauser, 23.1.2022)