Der STANDARD feiert seine zehntausendste Ausgabe. Aus diesem Anlass beschäftigen wir uns mit der Zahl Zehntausend.

Leider konnten wir keinen Sponsor für das Vorhaben finden, 10.000 Euro in einer Nacht zu verprassen. 1.000 Euro konnten wir für das Experiment gerade noch zusammenkratzen. Unser Autor (23) zog los, um Spaß zu haben – und ging am Ende baden.

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Das Geld war in einem weißen Kuvert, und um das nicht zu vergessen, schrieb ich mit Kugelschreiber "1.000 €" drauf. Es sollte eine Liste werden, alle Ausgaben wollte ich vermerken, also "–90 €", wenn ich neunzig Euro ausgab, und dann den neuen Betrag, "910 €".

So würde ich nicht den Überblick verlieren an dem Abend, von dem ich tagsüber noch nicht wusste, was er bereithalten würde, wie das mit guten Abenden so ist. Ich wollte das Geld vermehren, aber damit habe ich keine Erfahrung, ich entschied mich, es einfach auszugeben. Auch davon weiß ich so gut wie nichts, also habe ich Stefanie eingeladen, die an diesem kalten Abend bereits in schwarzen Maison-Margiela-Schuhen vorm Schwarzen Kameel auf mich wartete. Wir hatten keinen Tisch reserviert, aber wenn nichts frei wäre, würden wir eben jemanden bezahlen aufzustehen.

Tagsüber hatte ich ein paar Freunde angeschrieben, die sich auskennen mit Geldausgeben. Eva etwa, aus der High-Fashion-Branche, sie war gerade in St. Moritz zum Skifahren. Oder David, der als Journalist die Neunzigerjahre erlebt hat, also jene Zeit, wo Verlage nicht wussten, wie sie ihre Gewinne ausgeben sollten, und ihren Autoren Geld schickten, damit sie firstclassfliegen, champagnertrinken und fivestarhotelschlafen. Mit Leuten wie ihm habe ich viel zu tun, und oft muss ich hören, dass diese Zeiten vorbei sind und nichts mehr jemals gut wird, so gut wie damals sowieso nicht.

Foto: Stefanie Moshammer

Taittinger und Pommery

Ich schickte David also eine dieser Neunzigerjahrenachrichten, nämlich dass ich jetzt 1.000 Euro hätte, in einem Kuvert, und ich müsse sie heute noch ausgeben. "Das ist vorgeschrieben, dass diese Nacht heute ist?", schrieb David, vermutlich wäre er selbst gern dabei. "Leider ja", schrieb ich, es sei schließlich ein Auftrag. Ich musste kurz an Jens Haaning denken, der vor einem halben Jahr eine halbe Million dänische Kronen bekam, um ein Bild zu gestalten. Haaning gab eine weiße Leinwand ab, nannte es "Take the Money and Run" und haute mit dem Geld ab.

Stefanie und ich bekamen einen Tisch direkt beim Eingang, wo einen alle sehen. Wir überlegten, einfach wahllos Leute einzuladen, um den Abend zu starten. Meinen Freund Édouard hatte ich gefragt, welchen Champagner er empfehlen würde (Édouard ist 29, lebt in Paris und qualifiziert sich allein deshalb für die Frage – zusätzlich wusste ich, dass er Restaurants durchaus nach der Champagnerauswahl aussuchte).

"Ah ah ah", schrieb er zurück (so lacht man schriftlich auf Französisch) und dann: "Favoriten: Billecart-Salmon, Brut Sous Bois, gut auch Gosset oder Deutz. Touristenfallen: Taittinger, Moët & Chandon, Pommery." Das waren mir zu viele Namen, ich ließ also einfach Stefanie die Karte zufällig aufschlagen und irgendwas wählen.

Sie trank ein Glas, ich trank ein Glas, sie trank ein Glas, ich trank ein Glas, bis es uns zu viel wurde, dann gingen wir zum Tisch schräg gegenüber und schenkten aus: an einen Rap-Produzenten, der mit Rappern zusammenarbeitet, die in Musikvideos mit schweren Mercedes durch die Stadt brettern, einem Fotografen, der anscheinend auch recht bekannt ist, und einer Künstlerin, die mir erzählte, wenn sie was auf eine Serviette zeichne, sei das gleich ganz viel wert. Stefanie kaufte ihr also einen Kuchen, und sie zeichnete einen Teufel auf eine Serviette und unterschrieb mit ihren Initialen. Ich fand den Deal fair. Leider wollte mir eine Galeristin, die am selben Tisch saß, die Serviette nicht abkaufen. Wir verabschiedeten uns.

Spielgeld

Vorm Hotel Sacher stand ein alter Rolls-Royce, vermutlich ein Nobeltaxi. Stefanie wollte eine Runde drehen, und ich kramte nach dem Kuvert – bereits jetzt hatte ich vergessen, wie viel wir noch hatten; das mit dem Draufschreiben und Zusammenzählen war mir zu blöd, niemand mit Geld würde das machen. Geldausgeben hat ja auch mit Überblick verlieren zu tun, oder?

Ein spannendes Phänomen ist ja, dass Menschen, die innerhalb kurzer Zeit sehr viel Geld machen, besonders gefährdet sind, sich hoch zu verschulden. Der Boxer Mike Tyson etwa, der es schaffte, innerhalb kürzester Zeit sein Vermögen von 400 Millionen US-Dollar auszugeben und dann auch noch 50 Millionen US-Dollar Schulden zu machen.

Stefanie klopft an die Scheibe: "Hi, können wir eine Runde drehen?", fragt sie. "Nix – nur privat", sagt der Chauffeur, lässt die Scheibe rauf und liest weiter Zeitung. Über den Besitzer wollte er nichts sagen.

Wer fährt so ein Auto, oder besser: lässt sich fahren? Wir mussten es herausfinden, denn wer sollte uns besser das Geldausgeben beibringen.

Rolls-Royce im Fahrverbot

Foto: Stefanie Moshammer

Ich sah mich in der Lobby des Hotel Sacher um, und dann in der Bar. Sie trank ein Glas, ich trank ein Glas. Ein Mann im weißen Hemd mit Manschetten und Sprachfehler. Auf einem zweiten Tisch drei Cocktails für zwei Gäste. Wer kann hier nicht Autofahren, dachte ich, wer braucht einen Chauffeur?

Ein dritter Herr, etwas älter, polierte ein Löffelchen am gepolsterten Sessel. Ich ging hin: "Entschuldigen Sie", sage ich, "Ihr Rolls-Royce steht im Parkverbot." Er lachte nur, dass ich ihm das zutrauen würde.

Sacher-Lobby-Boy: Der Rolls-Royce?

Ich: Ja, hier vor der Türe.

Sacher-Lobby-Boy: Gehört einem älteren Herr, sehr wohlhabend.

Ich: Ein Stammgast?

Sacher-Lobby-Boy: Oooh ja.

Ich: Zeigen Sie ihn mir.

Sacher-Lobby-Boy: Wie meinen Sie?

Ich: Gehen Sie zu ihm hin.

Sacher-Lobby-Boy: Er ist gerade nicht hier, er hat nur hier gegessen.

Ich: Wo ist er jetzt?

Sacher-Lobby-Boy: Im Casino.

Das Erste, was im Casino gemacht wird, ist Geld in Spielgeld umzuwandeln, was uns ganz recht war. Plötzlich ist alles gleich groß, Fünfer, Zehner, Fünfziger. Von Roulette hatten wir beide keine Ahnung, obwohl Stefanie einmal in Las Vegas gelebt hatte. Zwei ältere Frauen wollten uns das Spiel erklären, legten uns aber rein, indem sie unsere wertlosen Einsatzchips in wertvolle andere tauschten, die auch an höheren Tischen gespielt werden konnten. Uns war das egal, ist ja eh nichts wert. Den Rolls-Royce-Typ sahen wir nicht mehr, und selbst das Auto war dann weg. Wir versuchten uns am Automaten und scheiterten. Irgendwie war’s fad, das alles. (Den spannenden Teil wollten wir aussparen, schließlich ist er so absurd, dass niemand ihn glauben würde: Mit unseren letzten Chips setzte Stefanie erst auf 5, danach ich auf 26. Beide Zahlen sind gekommen, wir erhielten das 17-Fache unseres Einsatzes und wollten das 1000-€-Experiment abbrechen, da wir plötzlich so viel Geld hatten und es absolut sinnlos war, all das an einem Abend auszugeben. Wir vereinbarten also, niemandem von unserem Gewinn zu erzählen.) Geknickt verließen wir das Casino.

Sie ein Glas, ich ein Glas

Im Bristol aßen und tranken wir, als hätten wir im Casino gewonnen, und da fiel uns auf, dass es schon etwas seltsam war, wie wir mit Mitte 20 und plötzlich Geld so eine Altherrenrundenfantasie durchspielen, Kameel, Sacher, Casino, Bristol, solche Sachen. Und dann sagten wir beide irgendwie, sie ein Glas, ich ein Glas, dass wir konsequenterweise jetzt ins Maxim müssen, offiziell ein edler Stripclub, inoffiziell ein hässlicher. Stefanie hatte in Las Vegas viele Stripperinnen fotografiert, und außerdem hatten wir eine Nobuyoshi-Araki-Fantasie, jener Fotograf, der in den Bordellen Tokios diese poetischen Schwarzweißnacktporträts von Prostituierten machte. Sie ein Glas, ich ein Glas, wir gingen los.

Foto: Stefanie Moshammer

Das Maxim ist echt nicht so aufregend, und Gäste gab’s auch nicht. Wir mussten gleich was trinken, Wodka-mit-irgendwas, ich glaub, nur Mineral. Alle glaubten sicher, wir sind ein Swinger-Pärchen, das passt schon. Gestrippt hat niemand, wir wollten so gern Geld schmeißen, schade. Sie ein Glas, Glas, Glas ich, und dann verschwimmt’s ein bisschen: Wir sind aufs Zimmer mit Linda oder Sara oder Sofia, und Stefanie wollte fotografieren. Dann haben wir irgendwie nochmals zahlen müssen, weil wir nur fotografieren wollen? Keine Ahnung, egal. Sie hat uns dann auch fotografiert, das war süß. Wir haben ihr ganz viel Geld gegeben, sie war lustig.

Danach: Wir torkelten nach draußen und sahen eine Herde Hungriger vor einem Würschtelstand, und ich sagte: Lass uns die alle einladen, und Stefanie sagte: Wie willst du das tun. Und ich ging hin und schrie: Ihr seid alle eingeladen. Und ich drängelte mich bis ganz nach vorne und knallte dem Standler einen Hunderter auf die Metallbudl und schrie: Die sind alle eingeladen. Und ich zeigte auf alle, die eingeladen waren. Und der Standler nahm den Hunderter und steckte ihn ein. Und Stefanie sagte, glaube ich: Du musst schon alle einladen. Und ich sagte auch so was wie: Hearst, alle einladen. Und ich hab überlegt, ob ich einfach allen einen Hunderter geben soll, damit die sich selber einladen, und da seh ich, dass Stefanie noch mit dem Standler spricht, irgendwie so: ALLE einladen, ALLE. Und ich ging zu jedem hin und sagte: Du bist eingeladen, du bist eingeladen, du bist eingeladen. Wie bei so einer Kommunion. Und dann wollte mir Stefanie noch irgend so ein Hausdach mit guter Aussicht zeigen, aber das ging dann irgendwie nicht.

MIT 1.000 EURO DURCH DIE NACHT: Sie trinkt ein Glas, er trinkt ein Glas, im Sacher beobachten sie die Gäste, alle 30 Jahre älter als sie – im Casino wird Geld in Spielgeld umgewandelt.
Foto: Stefanie Moshammer

Hineingeschwebt

Jedenfalls fuhr sie nach Hause, mit dem Taxi, ich weiß nicht, wo sie wohnt, obwohl sie es mir bestimmt dreimal gesagt hatte, und ich ging in mein Büro, was damals auch meine Wohnung war, ich hatte ein Bett hineingestellt. Es gab auch eine Badewanne, und ich ließ Wasser ein, auf der heißesten Stufe. Ich fand noch eine halbe Flasche Wein und stopfte Schokolade in mich rein. Das Geld war weg, und kurz überlegte ich, das Wasser einfach laufen zu lassen, damit alles überschwemmt wird, auch das Büro unter mir und oben der Dachstuhl. Dann stieg ich ein, aber ich prüfte die Temperatur nicht, wie man das normal macht, mit der Handgelenkinnenseite, weil man da so empfindlich ist, wo die Ader läuft. Nein, ich stieg einfach ein, ich kann mich nicht einmal erinnern, dass meine Füße das Wasser berührt hätten – fast, als wäre ich mit dem Hintern voraus hineingeschwebt.

Das Wasser kochte beinahe. Wie heiß kann ein Boiler Wasser machen, siebzig Grad? Irgendwie explodierte ich aus der Wanne raus, ich glaube nicht, dass ich schrie. Ich stand nackt vor dem Spiegel und sah in meine glasigen Augen. Mein Hintern brannte, und das mittlerweile kühle Wasser tropfte über meine Innenschenkel auf den Fliesenboden. Als Kind habe ich gelesen, dass Wildschweine Menschen so töten: Wenn du dich entgegenstellst, springen sie mit dem Schädel zwischen deine Beine, damit die Hauptschlagader platzt. Ich ging schlafen, ohne das Licht abzudrehen. (Gabriel Proedl, 24.1.2022)

Unser junger Autor konnte für ein Experiment 1.000 Euro in einer Nacht ausgeben – eine Summe, die er sonst nicht einfach zum Ausgeben zur Verfügung hat. Was würden Sie mit 1.000 Euro anstellen, wenn Sie sie in einer Nacht verkonsumieren könnten? Wovon träumen Sie?