In der Pandemie-Sprache formuliert: Österreichs Demokratie braucht einen Booster.

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Der Befund ist eindeutig: Unsere Demokratie, unser politisches System, unsere politische Kultur krankt an etlichen, potenziell gefährlichen Infektionen: Das Vertrauen in Demokratie, Rechtsstaat und generell Good Governance (gutes Regieren) ist noch da, aber erschüttert. Der Demokratie-Monitor für 2021 des renommierten Sora-Instituts zeigt alarmierende Werte.

Derzeit seien beinahe sechs von zehn Menschen (58 Prozent) davon überzeugt, dass das politische System in Österreich weniger oder gar nicht gut funktioniert. Rund 90 Prozent sind überdies der Ansicht, dass die österreichische Demokratie ein Korruptionsproblem hat. So weit der Erstbefund.

Was ist die Therapie? Im Demokratie-Monitor ergab sich auch eine "weit verbreitete Forderung nach Stärkung der Demokratie". Knapp zwei Drittel (64 %) verlangen mehr Transparenz im Regierungshandeln. Mehr als die Hälfte (56 %) fordern eine grundlegende Änderung der politischen Kultur von Politikerinnen und Politikern. 58 Prozent der Menschen sprechen sich für eine unabhängigere Justiz und 40 Prozent für mehr Oppositionsrechte aus.

In der Pandemie-Sprache formuliert: Österreichs Demokratie braucht einen Booster. Davon ausgehend und gestützt auf diverse, bereits vorhandene Reformvorschläge, vor allem auch auf das Antikorruptionsbegehren, sollen hier nun "Zehn Booster für die Demokratie" skizziert werden.

Dazu benötigt man jedoch Motivforschung. Woher kommt diese Eintrübung in der politischen Stimmung, die doch um einiges stärker ist als das übliche österreichische Raunzen und Stänkern? Auslöser für diese Verschlechterung im Systemvertrauen sind im Wesentlichen zwei Phänomene.

Erstens

Die Zweifel und Verunsicherung über die Anti-Corona-Maßnahmen tragen zur Eintrübung in der politischen Stimmung in Österreich bei.
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Die Zweifel und Verunsicherung über die Anti-Corona-Maßnahmen. Das betrifft sowohl Corona-Leugner und Impfgegner als auch Personen (die Mehrheit), die die Maßnahmen grundsätzlich akzeptieren, aber die konkrete Handhabung kritisieren.

Zweitens

Die Skandale der letzten Monate, ausgedrückt in den berühmten Chats: Von Klüngelbildung ("Du bist Familie") über Missbrauch von Steuergeld zur Popularisierung eines Politikers per getürkter Meinungsumfrage ("Welches Tier ist Kurz?") sowie Steuerdeals für Milliardäre ("Hure der Reichen") bis zu dem zuletzt bekannt gewordenen Postenschacher im Bereich der Justiz ("Deine Leute sind alle versorgt – Danke für meine Demütigung").

Booster 1: rasche Stärkung der Rechtsstaatlichkeit

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Verpolitisierung der Justiz, aber auch der Sicherheitsorgane extreme Ausmaße angenommen hat. Es wäre naiv zu glauben, dass man Schlüsselpositionen durchwegs mit "politisch neutralen" Personen besetzen kann. Aber was zuletzt ans Tageslicht kam, ist zu krass. Massive Einflussnahmen durch hohe Justizfunktionäre auf die Aufklärungsarbeit der Staatsanwaltschaften, haarsträubende Manöver, um unliebsame Staatsanwältinnen und -anwälte auszubremsen, etc.

Um diese Zustände hintanzuhalten, hat das Antikorruptionsbegehren einiger honoriger Persönlichkeiten, überwiegend aus dem Justizbereich, eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen vorgeschlagen: "Wenn die Politik von Korruptionsermittlungen betroffen ist, kann sie nicht die Korruptionsermittlungen selbst kontrollieren".

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) soll daher verfassungsrechtlich abgesichert werden. Sie soll eine eigene Einheit von Ermittlungsbeamtinnen erhalten, da sich die Polizei in der Ibiza-Affäre als teilweise wenig diensteifrig erwiesen hat (ein Strache-Fan und müder Ermittler wurde jetzt sogar befördert). Die durch ihre Kritik an den bremsenden Vorgesetzten bekannt gewordene Staatsanwältin Christina Jilek, Mitinitiatorin des Volksbegehrens, fordert eine Abschaffung der politischen Weisungsspitze, Ersatz durch eine Bundesanwaltschaft und Streichung der ausufernden Berichtspflichten nach oben.

Booster 2: Stärkung des Parlaments

Nach den Vorstellungen des Antikorruptionsbegehrens soll das Parlament in seiner Funktion als Gesetzgeber und Kontrollorgan gestärkt werden; hauptsächlich durch bessere personelle Ausstattung mit Experten. Eine solcherart ausgestattete Volksvertretung hätte eine bessere Stellung gegenüber den Apparaten der Ministerien, der Interessenvertretungen und der Parteien und könnte eigenständiger agieren.

Booster 3: stärkere Kontrollebene im öffentlichen Sektor

"Ausschreibungen und Bestellungen im öffentlichen Sektor sowie staatsnahen Unternehmen sollen ausschließlich in transparenten Verfahren, nach objektivierbaren Kriterien und unbestrittener fachlicher Eignung erfolgen", verlangt das Antikorruptionsbegehren. Wie genau? Durch "die Beiziehung von unabhängigen Personalberatungsunternehmen nach objektivierbaren und öffentlichen Kriterien. Im öffentlichen Sektor sowie in staatsnahen Unternehmen soll ein Public-Corporate-Governance- bzw. Compliance-Management-System (CMS) nach internationalen Standards eingerichtet werden. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) ist das durch staatliche Mittel zu fördern."

Das klingt nach dem Einziehen einer zusätzlichen Ebene und damit nach mehr Bürokratie, aber wäre immerhin eine Instanz, an der man im Idealfall nicht so leicht vorbeikann.

Booster 4: Wiederermächtigung des Berufsbeamtentums

In den letzten Jahren ist – nicht nur, aber vor allem auch in türkis-schwarzen Ministerien – die traditionelle Hochbürokratie durch politisch besetzte "Generalsekretäre" und Mitglieder von Ministerkabinetten beiseitegeschoben worden. Wie der frühere Sektionschef im Finanzministerium und EU-Finanzfunktionär, Thomas Wieser, in einem vielbeachteten STANDARD-Gastkommentar schrieb, sind seit mindestens 15 Jahren Entscheidungen von Fachbeamten hin zu "politisch enthusiastischen Jugendlichen ohne Fachwissen" in den Ministerkabinetten verlagert worden. Ob man dieses Phänomen mit Compliance-Vorschriften in den Griff bekommt, ist fraglich. Es bedürfte eines Sinneswandels in der Politik.

Booster 5: ein anderes Auswahlsystem für die Politik

Wie verschiedene Beobachter feststellen, sind die Auswahlkriterien für Politik in den letzten Jahrzehnten zusehends verlottert. Die jüngere Generation wurde bis Corona nicht ernsthaft gefordert, konzentrierte sich auf Inszenierung und Machtspiele, verzichtet auf intellektuelle Befruchtung von außen. Diese Negativauslese zu beheben ist schwierig, auch weil das Politikerdasein nicht mehr attraktiv ist. Shitstorms aus nichtigem Anlass, Anschüttungen durch Krawallmedien und in letzter Zeit auch Drohungen durch radikalisierte Verschwörungstheoretiker sind Alltag.

Institutionell oder durch Gesetze ist da wenig zu machen. Wahrscheinlich liegt es an den Parteien selbst, auch im Sinne des eigenen Überlebens, nach integren Persönlichkeiten Ausschau zu halten und nicht nach Blendern.

Booster 6: Integrität in der Politik absichern, so gut es geht

Dazu heißt es im Text des Begehrens: "Die Nichtbefolgung von höchstgerichtlichen oder sonstigen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen durch höchste Organe des Staates (Politiker; Anm.) soll einen Funktionsverlust nach sich ziehen." Das heißt, Finanzminister Blümel hätte abgesetzt werden können, nachdem er die Herausgabe von Akten verweigerte. Mandatsträger sollen öffentliche Integritätserklärungen abgeben müssen.

Booster 7: Reform der Parteienfinanzierung

Korruption in der Politik hat nicht nur mit persönlicher Bereicherung, sondern auch mit Geldbeschaffung zur Machtabsicherung für die Partei zu tun. Die Präsidentin des Rechnungshofs, Margit Kraker, hat kürzlich unüblicherweise einen eigenen Entwurf für ein verschärftes Parteienfinanzierungsgesetz vorgelegt, weil die Parteien säumig sind. Der Rechnungshof soll ein direktes Einschaurecht erhalten.

Booster 8: moderne Transparenz- und Antikorruptionsgesetzgebung

Hier ist das Antikorruptionsbegehren besonders detailliert: Es sollen die Kandidatenbestechung und -bestechlichkeit sowie der "Mandatskauf" im Korruptionsstrafrecht verankert werden; bei öffentlichen Auftragsvergaben sollen die Vertragsparteien – sonst droht Nichtigkeit und Pönale – verpflichtet sein, weder Offshore-Firmen noch "Verkaufsberater" einzuschalten. Strafrechtliche Verurteilungen wegen Korruption oder Amtsdelikten sollen zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen. Auch soll das Lobbying-Gesetz nachgeschärft werden, um alle Lobbying-Aktivitäten zu erfassen und öffentliche Kontrolle zu ermöglichen.

Ohne kritische Öffentlichkeit ufert der Machtmissbrauch aus. Daher:

Booster 9: ein neues Informationsfreiheitsgesetz

"In einem neuen Informationsfreiheitsgesetz soll sichergestellt sein, dass Informationsbedürfnissen der Bevölkerung und Medien unbürokratisch und rasch nachgekommen wird und nicht das bisherige Amtsgeheimnis über die Hintertüre, etwa von Geschäftsgeheimnissen (insbesondere bei öffentlichen Auftragsvergaben) oder nur vorgeschobenen Datenschutzargumenten, weitgehend aufrecht bleibt."

Und schließlich: In Zeiten von Message-Control, Fake News, Inseratenkorruption und autoritären Tendenzen muss eine kritische, qualitätsvolle Medienwelt gesichert werden.

Booster 10: Förderung von Qualitätsjournalismus

Das Volksbegehren verlangt, dass "die Medienförderung und Inseratenvergabe durch öffentliche Stellen, insbesondere nach Qualitätskriterien, objektiviert werden; durch Gesetz personelle und budgetäre Höchstgrenzen für die Öffentlichkeits- und Informationsarbeit der Bundesministerien geregelt werden" (mit Rechenschaftsberichten). In Verlagen, Redaktionen, Rundfunkanstalten und anderen Medienunternehmen sollen Compliance-Management-Systeme nach internationalen Standards eingeführt werden.

So weit eine erste, noch zu verfeinernde Booster-Impfung. Die Grundimmunität ist trotz allen Unmuts nicht so schlecht. Laut Demokratie-Monitor denken nach wie vor 88 Prozent der Befragten im Erhebungszeitraum, dass die Demokratie trotz mancher Probleme die beste Staatsform ist. "Das grundlegende demokratische Bewusstsein der Bevölkerung ist also nicht so leicht zu erschüttern", konstatiert Sora-Studienautorin Martina Zandonella. (Hans Rauscher, 22.1.2022)