Die 85 Meter lange Yacht des ukrainischen Milliardärs Jurij Kossjuk an der französischen Riviera – als Teil der oberen zehntausend kann man sich's leisten.

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"Der STANDARD feiert seine zehntausendste Ausgabe. Aus diesem Anlass beschäftigen wir uns mit der Zahl Zehntausend."

Haben Superreiche zu viel Einfluss auf die Politik? Unter Ökonomen wie Politikwissenschaftern wird über diese Frage schon länger debattiert. Meist dann, wenn es um das politische System der USA geht. Die Vereinigten Staaten gelten als Paradebeispiel dafür, wie sich Multimilliardäre mit Parteispenden Einfluss kaufen – oder wie im Fall von Donald Trump das Zepter selbst in die Hand nehmen.

Das anschaulichste Beispiel dafür, wie wichtig diese Debatte ist, kam in den vergangenen Monaten aber nicht aus Übersee, sondern aus Österreich. Das Material dafür findet sich in den Chats von Thomas Schmid.

Die im Dezember publik gewordenen Nachrichten zeigen, wie der Unternehmer Siegfried Wolf beim früheren Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, für einen Steuernachlass intervenierte. Die Finanz hatte dem Unternehmer Einkommenssteuern in Millionenhöhe vorgeschrieben, nachdem ein Steuerabkommen mit der Schweiz geändert worden war. Ein Kabinettsmitarbeiter von Thomas Schmid war skeptisch wegen der Intervention für Wolf. Schmid ermahnte ihn: "Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!"

Gehaltsexzesse sind unösterreichisch

Die rechtliche Bewertung dessen obliegt der Justiz, es gilt die Unschuldsvermutung. Die politische Dimension ist aber offensichtlich: Wolf liegt im alljährlichen Ranking der wohlhabendsten Österreicher des Wirtschaftsmagazins Trend auf Rang 74. Einer der reichsten Bürger nutzt hier also seine Kontakte in höchste politische Kreise bei dem Versuch, Steuern zu sparen. Viel anschaulicher lässt sich die Verquickung von Geld, Macht und Politik nicht darstellen.

Doch wer sind sie, die Superreichen in Österreich? Gibt es eine klar definierte Gruppe der 10.000 reichsten Menschen? Lässt sich ihr Einfluss vermessen? Bei dem Versuch wird schnell klar, dass den oberen Zehntausend in Österreich kaum beizukommen ist. Die Statistik Austria hat Daten über die 10.000 höchsten Erwerbseinkommen. Diese Elite der Gehaltsbezieher verdiente 2020 in Summe 3,95 Milliarden Euro und damit knapp zwei Prozent jener 215 Milliarden Euro, die Arbeitnehmer im vorvergangenen Jahr erwirtschafteten.

Ganz vorn mit dabei sind die Manager der großen börsennotierten Konzerne, die im Schnitt 1,9 Millionen Euro verdienten, also das 57-Fache eines durchschnittlichen Angestelltengehalts. Wobei Gehaltsexzesse eher etwas Unösterreichisches sind – zumindest, wenn man die Gagen mit jenen von Topmanagern im Ausland vergleicht.

Superreich durch Arbeit?

So finden sich unter den zehn bestverdienenden Managern der ATX-Konzerne laut einer Analyse der Arbeiterkammer gleich fünf der sechs Vorstände der Bawag Group. Die einstige Gewerkschaftsbank wurde mehrheitlich von den US-Hedgefonds Cerberus Capital und Golden Tree übernommen. Damit hielt eine Vorstandsvergütung nach US-Vorbild bei der Bawag Einzug. Die Hedgefonds haben inzwischen ihre Anteile mehrheitlich verkauft – das Vergütungsschema ist aber geblieben.

Um in die illustre Gesellschaft der 10.000 Bestverdiener aufzusteigen, musste man 2020 aber gar keine Millionen machen. Ein jährliches Bruttoeinkommen von rund 240.000 Euro auf dem Gehaltszettel reichte dafür aus. Das entspricht einer monatlichen Nettoüberweisung durch den Arbeitgeber von 9.160 Euro – in Monaten mit Urlaubs- und Weihnachtsgeldauszahlung vermehrt um gerundete 14.500 Euro.

Vermögenseinkommen

Allein wegen solchen Einkommen gehört aber niemand zu den oberen Zehntausend. Mit Erwerbseinkommen vulgo Arbeit allein wird man nämlich nur selten wirklich superreich. "Die hohen Einkommen der Topverdiener bestehen überwiegend aus Vermögenseinkommen und sind damit gar nicht in dieser Statistik erfasst", sagt Volkswirt Pirmin Fessler von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Diese Vermögenseinkommen generieren sich aus Dividenden von Kapitalanlagen, wie sie Aktien oder Unternehmensanteile abwerfen, und aus Einkünften aus Immobilienvermietungen.

Versponnene Firmengeflechte und Besitzungen im In- und Ausland machen es nahezu unmöglich, den Mitgliedern der finanzkräftigsten Schicht ihre wahren jährlichen Erträge zuzuordnen. "Zu den Armen weiß man viel, zu den Reichen nur wenig", drückt es Martin Schürz, ein Kollege Fesslers in der OeNB, lakonisch aus.

Wer sind dann also die wirklich Vermögenden? Eine systematische Analyse dazu findet sich nur bei der OeNB. Auf Basis von mehr als 80.000 Befragungen wird in den Euroländern immer wieder die Vermögenssituation der Bürger erhoben. Die jüngste Auswertung in Österreich stammt von 2017. Sie zeigt: Gut die Hälfte der Haushalte besitzt kein nennenswertes Nettovermögen. 40 Prozent besitzen immerhin Auto und Eigenheim.

Der illustre Kreis der Reichen

Ab einem Nettovermögen von 2,1 Millionen Euro gehört ein Haushalt zum oberen Prozent. Diese Gruppe ist aber groß, ihr gehören 40.000 Haushalte an. Über die oberen Zehntausend gibt es auch bei der Nationalbank keine Informationen. Die Gruppe wird in Erhebungen nicht erfasst: Die Superreichen ließen sich nicht gern befragen, sagen Experten.

Die einzige Annäherung kommt daher aus dem Reichen-Ranking des Trend. Das Magazin trägt viele Quellen zusammen, stützt sich etwa auf Vermögensverwalter. Vorn liegt die Porsche-und-Piëch-Familie, dann folgt Red-Bull-Co-Eigentümer Dietrich Mateschitz. René Benko findet sich auf Platz sechs. 46 Milliardäre gibt es auf der Liste.

Die meisten besitzen Unternehmen, einige sind Investoren, manche Erben wie Ingrid Flick. Weiter unten bei den Millionären finden sich weitere dynastische Unternehmerfamilien und erste Start-up-Größen wie die Gründer der Tradingplattform Bitpanda. Irgendwo, nicht weit unter 20 Millionen Euro, liegt die Grenze: Wessen Vermögen darüber ist, der gehört zu den oberen Zehntausend.

Ungleichverteilung

Wie geht es den Superreichen und ihrem Vermögen? Die Ungleichverteilung hat in Österreich in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwas abgenommen, zeigt der Global Wealth Report der Schweizer Bank Credit Suisse. Das reichste Prozent besitzt heute gut ein Viertel aller Vermögen in Österreich, noch im Jahr 2000 waren es 30 Prozent.

Ganz oben unter den 100 reichsten Menschen und Familien dürfte die Entwicklung aber anders sein: Hier stiegen, befeuert durch den Aktienboom, die Vermögen laut Trend zwischen Mitte 2020 und Mitte 2021 um 15 Prozent an. Das entspricht auch dem globalen Trend.

Laut dem World Inequality Report 2022, den ein Forschungsnetzwerk herausgibt, gehören dem reichsten Zehntausendstel der Weltbevölkerung heute elf Prozent aller Vermögen. Seit 1995 konnte diese Gruppe ihren Anteil am globalen Vermögen um fast 60 Prozent steigern. Solche Berechnungen sind zwar nur Schätzungen, zeigen aber die Dynamik auf.

Privatjets und Steuern

Zu den oberen Zehntausend in Österreich gehören also weniger Topverdiener denn große Kapitaleigner. Die Gruppe wird von wenigen Multimilliardären dominiert, die vor allem Unternehmensanteile halten. Die Vermögenskonzentration hier nahm zuletzt noch zu. Was folgt aus alledem?

In der Ökonomie wird unter dem Schlagwort "Können wir sie uns leisten?" viel über die Rolle von Multimilliardären diskutiert. Dabei geht es um Klimafragen, Stichwort: die Privatjets der Reichen. Und Steuern.

Der wichtigste Gleichheitsforscher, Thomas Piketty, ist der Ansicht, die Gesellschaft brauche Millionäre, typische mittelständische Unternehmer etwa, und ein gewisses Maß an Ungleichheit. Das befördere Wachstum, weil Menschen sich anstrengen, um aufzusteigen.

Aber Milliardäre würden der Gesellschaft nichts nützen. Ihre Vermögen und ihre Einkommen gehörten viel höher besteuert. Das würde helfen, mehr Chancengleichheit zu schaffen, weil der Staat mehr in Bildung investieren könnte. Eine moderate Vermögenssteuer auf die Gruppe der Milliardäre habe zugleich keine wirtschaftlichen Nachteile, so Piketty. Denn hier sei Vermögen so konzentriert, dass es nicht produktiv eingesetzt wird.

Ökonomisch unklug

Dass viele Industrieländer heute niedrigere Spitzensteuersätze einheben als vor 40 Jahren, als 80 Prozent bei Millionärsgehältern nichts Ungewöhnliches waren, sei einem Wettbewerb nach unten geschuldet, sagte Piketty einmal dem STANDARD.

Hohe Steuern für sehr Vermögende einzuheben gelte heute als ökonomisch unklug. Das sei falsch. Tatsächlich brauchen sich Milliardäre um die Substanz ihres Reichtums nicht zu sorgen: "Vermögensbestände bleiben in den meisten Ländern steuerfrei", sagt Margit Schratzenstaller, Ökonomin am Forschungsinstitut Wifo. Oft sind es nur Grund und Boden sowie Erbschaften, die besteuert werden. In Österreich bleiben auch Letztere unangetastet. Die Einnahmen aus Vermögenssteuern liegen daher sogar unter dem Schnitt der reichen Industrieländer.

Experten würden schon einen Fortschritt erkennen, wenn Steuern, die auf dem Papier zu zahlen sind, auch tatsächlich gezahlt würden. Ökonom Wilfried Altzinger von der WU-Wien kritisiert, dass über Offshore-Konstrukte und globale Gewinnverschiebungen Superreiche und deren multinationalen Konzerne legal und effektiv Steuern sparen.

Legale Steuersparmodelle

Zunehmend wird dabei auch diskutiert, dass die Vermögenskonzentration, gepaart mit legalen Steuersparmodellen der Multis, den Wettbewerb und damit die Grundlage des Kapitalismus gefährden.

Wie steht es um den politischen Einfluss der oberen Zehntausend? Ihn zu vermessen sei schwer, weil Absprachen in Hinterzimmern getroffen würden, sagt der britische Soziologe Colin Crouch. Couch attestiert den US-amerikanischen Superreichen, den 0,1 Prozent, auch beträchtliche politische Macht erlangt zu haben. Diese Entwicklung sei durch die wachsende Ungleichheit im Land befeuert worden. Europa stehe besser da, folge aber in der Entwicklung den USA, so Crouch.

Vielleicht sind die Chatprotokolle für Österreich auch deshalb so wichtig, weil hier anschaulich zu sehen ist, wie heikel es wird, wenn Politiker in Demokratien den Interessen einiger weniger zu viel Gehör schenken. (András Szigetvari, Michael Matzenberger, 24.1.2022)